Der grosse Zinsenklau
Viele Pensionskassen-Kunden sind über-obligatorisch versichert - mit böser Folge: Bei einer Nullzinsrunde müssen sie den gesetzlich festgelegten Zins selber zahlen.
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K-Tipp 3/2003
12.02.2003
Ernst Meierhofer - emeierhofer@ktipp.ch
Es klang brutal, was die Pensionskasse der Berner Kantonalbank den Versicherten im Dezember 2002 schrieb: «Die Altersguthaben werden für 2002 nicht verzinst.» Hintergrund: Viele Angeschlossene sparen mehr als vom Gesetz vorgeschrieben, sind also überobligatorisch versichert (siehe Kasten).
Versicherte mit Überobligatorium haben ein höheres Altersguthaben. Das Altersguthaben entspricht dem Stand des individuellen Sparsäulis, das im Laufe des Erwerbslebens mit den Lohnabzüge...
Es klang brutal, was die Pensionskasse der Berner Kantonalbank den Versicherten im Dezember 2002 schrieb: «Die Altersguthaben werden für 2002 nicht verzinst.» Hintergrund: Viele Angeschlossene sparen mehr als vom Gesetz vorgeschrieben, sind also überobligatorisch versichert (siehe Kasten).
Versicherte mit Überobligatorium haben ein höheres Altersguthaben. Das Altersguthaben entspricht dem Stand des individuellen Sparsäulis, das im Laufe des Erwerbslebens mit den Lohnabzügen und Arbeitgeberzahlungen gemästet wird.
Bei einer Nullzinsrunde wie bei der Berner Kantonalbank wird nun das Altersguthaben zur Jongliermasse, weil es (theoretisch) zweigeteilt ist:
- Den Sockel bildet das gesetzliche Minimum. Diesen BVG-Sockel muss jede Kasse für das Jahr 2002 zwingend mit 4 Prozent verzinsen (ab 2003 mit 3,25 Prozent).
- Für den Rest des Altersguthabens sind die Kassen frei; hier gibt es keinen vorgeschriebenen Mindestzins.
Nullverzinsung des Altersguthabens heisst nun: Der obligatorische Teil wird zwar theoretisch wie vorgeschrieben verzinst, das Total des Altersguthabens bleibt aber gleich hoch, weil dieser Zinszuwachs vom überobligatorischen Teil gleich wieder abgezwackt wird.
Für den überobligatorischen Teil ergibt sich somit ein Negativzins.
Beispiel: Ende 2001 betrug das Altersguthaben insgesamt 200 000 Franken. Das obligatorische Altersguthaben gemäss BVG machte 150 000 Franken aus. Ende 2002 ist zwar der Obligatoriumsteil pro forma um 4 Prozent auf 156 000 Franken angewachsen, das gesamte Alterskapital verharrt aber auf dem Vorjahresstand von 200 000.
Bezogen auf den überobligatorischen Teil ergibt das rein rechnerisch einen Negativzins von minus 12 Prozent (ohne den Zuwachs durch die Sparbeiträge im laufenden Jahr gerechnet).
Pointiert ausgedrückt: Die überobligatorisch Versicherten zahlen die gesetzlich vorgeschriebene Verzinsung aus dem eigenen Sack.
Mit diesem Vorgehen nutzen die Pensionskassen eine Lücke im Gesetz; denn das BVG regelt nur das Minimum, nicht aber den überobligatorischen Teil. Der liegt quasi schutzlos da - während die gesetzlichen Vorgaben rein formal eingehalten sind -, was auch die Pensionskasse der Berner Kantonalbank betont.
«Das ist stossend», sagt Hansueli Stauffer, Autor des K-Tipp-Ratgebers zum Thema Pensionskasse. «Die Vorsorgeeinrichtungen besetzen so einen rechtsfreien Raum einseitig für ihre eigenen Zwecke.»
Wie fatal die fehlende gesetzliche Grundlage den Betroffenen zum Verhängnis werden kann, illustriert Stauffer an einem Beispiel: «Ein Mann ist im Rahmen des Obligatoriums versichert und macht Mitte Jahr eine freiwillige Einzahlung, um Steuern zu sparen. Beschliesst nun die Kasse Ende Jahr eine Nullzinsrunde, so zahlt er den gesetzlich vorgeschriebenen Zins genau mit diesem eigenen Geld.»
Viele Kassen weisen Unterdeckung auf
Bei den zuständigen Aufsichtsbehörden scheinen die Kassen damit durchzukommen. Solange das gesamte Alterskapital nicht sinkt, sei das zulässig, heisst es etwa beim Zürcher Amt für berufliche Vorsorge.
Beim Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) hingegen ist man skeptisch. Mehr noch: Sollte sich eine versicherte Person vor Gericht gegen eine Nullverzinsung wehren, so wird das BSV «nach dem heutigen Kenntnisstand» argumentieren, eine solche Beschwerde sei berechtigt. Der Ausgang eines solchen Prozesses ist offen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berner Kantonalbank sind nicht die Einzigen, die mit solchen schlechten Nachrichten leben müssen. Landauf, landab gibt es unzählige Pensionskassen, die ihre Kunden mit einer Nullzinsrunde oder einer Magerverzinsung «beglücken».
Schuld ist die Börsenkrise, die bei den Anlageerträgen der Pensionskassen teils tiefe Spuren hinterlassen hat. Schätzungsweise jede zweite Kasse weist inzwischen eine Unterdeckung auf, wäre also derzeit nicht in der Lage, sämtliche Verpflichtungen zu erfüllen (für den theoretischen Fall, dass beispielsweise sämtliche Versicherten auf einen Schlag ihr Geld beziehen könnten und wollten). Die Pensionskasse der Berner Kantonalbank legt übrigens Wert auf die Feststellung, ihre Alterskapitalien seien weiterhin zu 100 Prozent gedeckt.
Dennoch trifft die Börsenbaisse nicht alle Versicherten von Pensionskassen gleich:
- Es gibt Kassen, die nach wie vor das gesamte Altersguthaben verzinsen - zum Beispiel die Pensionskasse des Kantons Zug, die das ganze Alterskässeli der Angeschlossenen sowohl 2002 als auch 2003 um 4 Prozent mehren kann.
- Kommt dazu, dass die Verzinsung nur bei jenen Vorsorgeeinrichtungen unmittelbar eine Rolle spielt, die nach dem System des Beitragsprimats organisiert sind (siehe Kasten unten). Bei Leistungsprimatkassen hingegen spielt der Mindestzinssatz keine direkte Rolle.Betroffene müssen Folgendes wissen:
- Falls Ihre Vorsorgeeinrichtung im Beitragsprimat organisiert ist, erhalten Sie zu Beginn jedes Jahres einen neuen Versicherungsausweis. Prüfen Sie darauf den Posten «Vorhandenes Altersguthaben».
- Dieses Altersguthaben muss gemäss Ansicht des Zürcher Aufsichtsamts in jedem Fall um mindestens den Beitrag gewachsen sein, den Sie via monatliche Lohnabzüge als Sparteil (so genannte Altersgutschrift) eingezahlt haben. Falls kein Zins draufgeschlagen wurde, sind Sie Opfer einer Nullzinsrunde geworden.
- Falls Sie nicht überobligatorisch, sondern nur gemäss BVG-Minimum versichert sind, muss die Kasse Ihr Alterskapital im Jahr 2002 in jedem Fall mit 4 Prozent ver-zinsen (ab 2003 mit 3,25 Prozent). An dieser gesetzlichen Vorgabe gibt es nichts zu rütteln.
- Nullverzinsung des Alterskapitals ist nur erlaubt, wenn Sie mehr sparen als gemäss BVG vorgeschrieben ist oder sich freiwillig eingekauft haben. Erkundigen Sie sich bei den Verantwortlichen Ihrer Pensionskasse oder beim zuständigen Arbeitnehmer-Vertreter im Stiftungsrat.
- Der Stiftungsrat, in dem auch Vertreter der Arbeitnehmer sitzen, muss dieser Mass-nahme zugestimmt haben. Und die Versicherten müssen informiert werden.
- Eine allfällige Nullverzinsung lässt sich durch freiwillige Zahlungen des Arbeitgebers verhindern. Machen Sie Ihren Betrieb darauf aufmerksam. Der Betrieb kann freiwillig mehr in die Pensionskasse einzahlen - entweder als Einmalzahlung à fonds perdu oder im Sinne einer Vorfinanzierung als Vorschuss auf das Prämienkonto für spätere Jahre, wenn die Börsensituation wieder besser ist. «Diese Lösung ist in der Praxis ab und zu anzutreffen», weiss Pensionskassenspezialist Stefan Thurnherr vom VZ Vermögenszentrum.
- Eine Nullzinsrunde für das Jahr 2002 heisst noch nicht, dass dies auch im Jahr 2003 so sein wird. Besonders bei jungen Versicherten kann dieses «Loch» später durch bessere Verzinsungen kompensiert werden. Zudem haben viele Versicherte in den vergangenen guten Börsenjahren teils deutlich mehr als 4 Prozent erhalten oder von Beitrags-befreiungen profitiert.
Das Obligatorium legt nur einen Mindestrahmen fest
Gemäss Pensionskassengesetz BVG sind nur Jahreslöhne zwischen 25 320 und 75 960 Franken versichert. Das ergibt einen maximalen versicherten Lohn von 50 640 Franken (Stand 2003).
Aufgrund dieser Summe ergeben sich die Beiträge, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer (meist hälftig) in die Pensionskasse einzahlen, um die spätere Altersrente der Versicherten zu finanzieren.
Doch das BVG ist ein Minimalgesetz; es legt nur den obligatorischen Mindestrahmen fest. Deshalb sind viele im Überobligatorium - entweder weil sie mehr verdienen und damit einen grösseren versicherten Lohn haben oder weil sie Teilzeitler sind und von einer tieferen Eintrittsschwelle profitieren, also schon mit Löhnen versichert sind, die unter dem gesetzlichen Minimum von 25320 Franken liegen. Ein Überobligatorium resultiert auch, wenn die Person bei einem Stellenwechsel von der alten Kasse mehr mitbringt als in der neuen reglementarisch nötig wäre.
Die Kassen kennen zwei Systeme
Pensionskassen nach Beitragsprimat verteilen nach der Pensionierung das, was sich im Laufe des Erwerbslebens im individuellen Sparsäuli des Versicherten angesammelt hat.
Kassen nach Leistungsprimat zahlen dem Versicherten bei der Pensionierung einen bestimmten Prozentsatz seines letzten versicherten Lohnes - beispielsweise 65 Prozent.
Allerdings: Auch bei solchen Kassen sind finanzielle Abstriche bei den Leistungen denkbar, falls sie in eine finanzielle Schieflage geraten und die Auflösung von Schwankungsreserven nicht ausreicht.