Der stille Bschiss an den Kunden
Die Versicherungsgesellschaften sitzen auf stillen Reserven in Milliardenhöhe. In Deutschland sollen diese Gelder auch den Kunden zugute kommen. Nicht so in der Schweiz.
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K-Tipp 17/2005
19.10.2005
Ernst Meierhofer - ernst.meierhofer@ktipp.ch
Angenommen, Sie wollen ein Auto kaufen. Der Verkäufer sagt, der ausgewählte Toyota koste 20000 Franken und dass Sie vorauszahlen müssen. Dann ergänzt er: «Vielleicht bauen wir Ihnen noch eine Klimaanlage ein, das hängt aber vom Geschäftsverlauf der Firma Toyota ab. Warten Sie die Auslieferung ab - dann sehen Sie ja, was Sie erhalten.»
Würden Sie als Autokäufer auf einen derart unsicheren Handel eingehen? Wohl kaum.
Was im Automobilgewerbe undenkbar scheint...
Angenommen, Sie wollen ein Auto kaufen. Der Verkäufer sagt, der ausgewählte Toyota koste 20000 Franken und dass Sie vorauszahlen müssen. Dann ergänzt er: «Vielleicht bauen wir Ihnen noch eine Klimaanlage ein, das hängt aber vom Geschäftsverlauf der Firma Toyota ab. Warten Sie die Auslieferung ab - dann sehen Sie ja, was Sie erhalten.»
Würden Sie als Autokäufer auf einen derart unsicheren Handel eingehen? Wohl kaum.
Was im Automobilgewerbe undenkbar scheint, ist bei der Lebensversicherung gängige Praxis. Die Versicherung verspricht eine garantierte Rendite; dazu stellt sie - völlig unverbindlich - einen so genannten Überschuss in Aussicht, der aber vom Geschäftsverlauf der Gesellschaft abhängt. Hunderttausende von Schweizerinnen und Schweizern haben sich auf einen solch vagen Handel eingelassen - und viele wurden schon enttäuscht, weil der angetönte Überschuss gekürzt oder gar nicht ausbezahlt wurde.
14 Milliarden Franken als stille Reserven
Jetzt hat das deutsche Bundesverfassungsgericht als höchste gerichtliche Instanz festgehalten: Die Zuteilung der unverbindlichen Überschüsse ist für die Kunden völlig intransparent. Zudem sind die Versicherten benachteiligt, weil die Gesellschaften sie nicht an den stillen Reserven teilhaben lassen.
Die Kritik ist auf die Schweiz übertragbar:
- Auch in der Schweiz sind kapitalbildende Lebensversicherungen mit jährlichen Prämien - auch Sparversicherungen genannt - ein weit verbreitetes Sparinstrument.
- Auch in der Schweiz operieren die Gesellschaften bei den Offerten für Lebensversicherungen mit nicht garantierten Überschüssen.
- Auch in der Schweiz werden die stillen Reserven bei der Zuteilung der Überschüsse nicht herangezogen. Dabei geht es insgesamt um riesige Summen. Das Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) schätzt, dass die stillen Reserven der Versicherungsgesellschaften derzeit insgesamt rund 14 Milliarden Franken betragen. Das sind immerhin 5 Prozent vom Total der Kapitalanlagen von 280 Milliarden.
Dieser Benachteiligung der Kunden hat das Bundesverfassungsgericht in Deutschland nun einen Riegel geschoben. Es hat den Gesetzgeber beauftragt, bis Ende 2007 Vorschriften zu erlassen, damit die Versicherten künftig «angemessen» an den stillen Reserven beteiligt werden. Die Kläger hatten umgerechnet Beträge zwischen 42 und 410 Franken gefordert.
Die Schweizer Versicherer wollen von einer solchen Forderung nichts wissen. Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) schreibt zum Beispiel: «Werden stille Reserven bei der Bemessung der Überschussbeteiligung berücksichtigt bzw. ausgezahlt, müssen die Gewinne realisiert werden, um die Überschüsse zu finanzieren.»
Auch das Aufsichtsamt BPV winkt ab: «Stille Reserven bilden einen Bestandteil des Gesellschaftsvermögens und können erst zugeteilt werden, wenn sie realisiert worden sind.»
Überschusszuteilung nicht nachvollziehbar
Für das deutsche Bundesverfassungsgericht hingegen ist eine Beteiligung an stillen Reserven durchaus denkbar. Es hält Regelungen möglich, «die eine teilweise Berücksichtigung» sämtlicher Vermögenswerte vorsehen, «ohne dass stille Reserven realisiert werden müssen».
Das deutsche Gericht listet übrigens noch weitere Nachteile der Lebensversicherung auf - und auch diese Punkte sind ohne Weiteres auf die Schweiz übertragbar:
- Die Zuteilung der Überschüsse ist für Laien nicht nachvollziehbar; eine Definition fehlt in den Vertragsbedingungen. Zwar finden sich dazu rudimentäre Angaben in den jährlichen Geschäftsberichten mit den Bilanzzahlen. Doch solche Aufstellungen sind selbst «manchem Bilanzexperten ein Buch mit sieben Siegeln», schreibt der Basler Finanztheorie-Professor Erwin Heri, früher Finanzchef bei der Winterthur Versicherung.
- Aussagekräftige Angaben über Abschlussprovisionen und Verwaltungskosten fehlen.
- Ein Wechsel der Versicherung ist nicht möglich. Zwar kann man vor dem Abschluss verschiedene Offerten einholen - doch nach dem Abschluss ist man der Gesellschaft hilflos ausgeliefert, weil eine Kündigung immer mit Verlusten verbunden ist.
Die deutsche Verbraucherzentrale schätzt, dass in Deutschland bis zu 80 Prozent aller Sparversicherungen mit Jahresprämie vor Vertragsablauf aufgelöst oder prämienfrei gestellt werden - meist mit erheblichen Verlusten für die Versicherten. Entsprechende zuverlässige Schätzungen gibt es für die Schweiz nicht, der Prozentsatz dürfte aber ebenfalls hoch sein.
Dies alles hat 1983 den deutschen Bund der Versicherten zu deutlichen Worten bewogen: «Lebensversicherung zur Altersversorgung ist legaler Betrug.» Dagegen klagten die deutschen Lebensversicherer - erfolglos.
Gewinne - mit Prämiengeld erzielt
Stille Reserven sind Vermögenswerte, die in der Geschäftsbilanz nicht offen ausgewiesen sind. Es handelt sich dabei um Immobilien, Wertpapiere oder andere Wertanlagen, die in der Bilanz zu einem tieferen Ansatz (Buchwert) ausgewiesen sind, als sie effektiv wert sind.
Eine Liegenschaft beispielsweise ist «nur» zum Preis von 1 Million Franken bilanziert, obwohl sie einen tatsächlichen Marktwert (Verkehrswert) von beispielsweise 1,5 Millionen hat. Das Gleiche gilt bei Obligationen und teilweise bei Aktien.
So gesehen sind stille Reserven Gewinne der Gesellschaft - die aber mit Prämiengeld der Versicherten finanziert wurden.
Sparen und Versicherung - am besten trennen
Die kapitalbildende Lebensversicherung - auch Sparversicherung genannt - ist eine Kombination von Sparen und Versichern. Ein Teil der jährlich zu zahlenden Prämie geht für die Versicherung drauf; immer dabei ist ein Todesfallschutz (Hinterbliebene erhalten beim Tod des Versicherten Geld), oft auch eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die dem Versicherten bei Invalidität ein Ersatzeinkommen zahlt.
Der grösste Teil der Prämie geht in den Spartopf, der bei der klassischen Variante zu einem festen Satz verzinst wird. Bei der neueren Fondspolice geht der Sparbatzen in Anlagefonds und damit an die Börsen.
Tipp: Besser ist es, Sparen und Versichern zu trennen. Fürs Sparen sollte man sich an die Bank wenden, für die Versicherung - falls eine nötig ist - an eine Versicherungsgesellschaft. In Frage kommen eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie eine Todesfallrisiko-Versicherung für Familienväter mit Haus und Hypothek; diese zahlt beim Tod den Hinterbliebenen die vereinbarte Versicherungssumme bar auf die Hand aus.
Überschuss
Überschüsse setzen sich aus den Komponenten Zins, Risiko und Kosten zusammen. Sie entstehen also, wenn auf Kapitalanlagen mehr Gewinn erwirtschaftet wurde als der garantierte Zins, wenn die Risikofälle (Tod oder Invalidität) weniger kosten als angenommen und wenn die internen Aufwendungen der Gesellschaft tiefer ausfallen als budgetiert.
Nicht garantierte Überschüsse gibts bei der klassischen Sparversicherung mit Jahresprämie sowie bei den Einmaleinlagen (ganze Prämiensumme wird zu Beginn gezahlt) und bei der Rentenversicherung (Leibrente).