Eigentlich wollte die Frau nur Geld abheben. «Doch der Schalterangestellte der Credit Suisse am Paradeplatz fand, ich hätte zu viel Bargeld», schreibt die 69-Jährige aus dem Zürcher Oberland.
Der Schalterangestellte holte umgehend einen Berater. «Ich bin nicht vermögend und habe ihm gesagt, dass ich keine risikoreiche Anlage mache. Ich wollte keine Aktien.»
Die Frau liess sich zum Kauf eines Produktes der Lehman Brothers überreden und investierte 50 000 Franken. «Seine Verkaufsweise war sehr aggressiv», erinnert sie sich. Von allfälligen Risiken war nie die Rede. Im Gegenteil! «Er hat mir beteuert: ‹Mag kommen was will, Ihr Geld bekommen Sie zurück.›»
Inzwischen ist die Bank Lehman Brothers im Konkurs, das Geld der Anleger futsch. Doch die Credit Suisse als Vermittlerin will die Frau nur mit 30 000 Franken entschädigen.
100 Prozent Kapitalgarantie als Köder
Solche Fälle gibt es unzählige. Inzwischen ist bekannt, dass die CS gezielt ältere Kunden angesprochen hat, um ihnen Lehman-Produkte anzudrehen. «Die haben nur darauf gewartet, dass mein Geld aus der dritten Säule frei wird», klagt ein anderes Opfer.
Geködert wurden die Anleger mit der 100-prozentigen Kapitalgarantie (siehe unten). Diese ist aber nichts wert, wenn der Herausgeber der Geldanlage Pleite geht.
Einige Opfer will die CS nun entschädigen. Je nach Kunde schlägt sie telefonisch vor, 30 bis 90 Prozent des Investments zu ersetzen. Nach welchen Kriterien das geschieht, ist unklar. Das Angebot ist auch heikel: Wer darauf eingeht, verzichtet auf weitere Forderungen. Stossend ist zudem, dass die CS nur kurze Bedenkzeiten einräumt.
Sollen Opfer das Angebot annehmen und sich mit dem Spatz in der Hand zufriedengeben? Viele Juristen sind der Ansicht, eine Klage auf Schadenersatz gegen die CS könnte erfolgreich sein.
Denn die Bank hat die Anleger nicht über das Emittentenrisiko aufgeklärt (siehe unten). Im Gegenteil: Viele Details legen den Schluss nahe, dass die CS sogar aktiv den Eindruck vermittelte, sie selber sei die Herausgeberin.
Das Bundesgericht geht streng gegen Banken vor, die ihre Aufklärungspflicht vernachlässigen. Das zeigte sich an einem Fall, über den die Zeitschrift «K-Geld» in ihrer neusten Ausgabe berichtet: Eine Bank schlug einem Mann noch kurz vor der Pensionierung vor, sein Altersgeld zu 100 Prozent in Aktien anzulegen. Weil er so viel Geld verlor, muss nun die Bank 720 000 Franken ersetzen («K-Geld» 5/08).
Aufklärungspflicht: Stolperfalle für CS
Grund: Die Bank hat die Aufklärungspflicht verletzt. Gemäss Bundesgericht hätte sie den Kunden vor seiner spekulativen Aktienstrategie warnen müssen. Denn angehende Senioren sollten Erspartes in sicherere Instrumente wie zum Beispiel Obligationen umschichten.
Anders ausgedrückt: Wenn die CS nicht nachweisen kann, dass sie insbesondere ältere Anleger ohne jegliche Finanzkennt- nisse sorgfältig aufgeklärt hat, hat sie vor Gericht ein grosses Problem – und es könnte durchaus sein, dass sie dazu verurteilt wird, den Schaden vollumfänglich zu ersetzen.
Sicherheit und Emittentenrisiko
Bei den Lehman-Produkten handelt es sich um strukturierte Produkte, also um eine Kombination von verzinslicher Obligation und der Möglichkeit, bei steigenden Aktienkursen mehr Profit zu erzielen.
Viele dieser Produkte sehen einen 100-prozentigen Kapitalschutz vor. Der Herausgeber (Emittent) verspricht, das ihm anvertraute Kapital nach Ablauf der Laufzeit voll zurückzuzahlen. Die Krux dabei: Der Kapitalschutz funktioniert nur, wenn der Emittent finanziell gesund ist. Geht er Konkurs, ist das Geld verloren, und der «100-prozentige Kapitalschutz» löst sich in Luft auf.
Das ist das Emittentenrisiko strukturierter Produkte – im Unterschied etwa zu Anlagefonds, bei denen der Gegenwert dem Kunden gehört, falls die Bank Pleite macht.