Gemäss einem neuen Rating der Umweltschutzorganisation WWF sind Coop und Migros die «nachhaltigsten Detailhändler der Schweiz». Sie nehmen laut WWF eine Vorreiterrolle in Sachen Umweltschutz ein. Bewertet wurden Kriterien wie Flugtransporte, Anbaubedingungen und der Einsatz für umweltpolitische Anliegen.
Im Bericht zum Rating heisst es zum Beispiel, dass Coop als erster Detailhändler einen Standard für eine nachhaltige Wassernutzung entwickelt habe, der bei Früchte- und Gemüseproduzenten in Spanien und Marokko umgesetzt werde. Und die Migros unterstütze verschiedene Forschungsprojekte im Bereich der nachhaltigen Wirtschaft.
Entsprechend jubelte Coop in einer Mitteilung Mitte April: «Wir sind sehr stolz, dass wir im WWF-Umweltrating wieder einen Spitzenplatz erzielt haben.» Das motiviere Coop, «weitere wichtige Taten für Mensch, Tier und Natur zu vollbringen». Auch die Migros betont immer wieder, wie umweltfreundlich das Unternehmen sei. Im «Migros-Magazin» kam der Begriff «nachhaltig» innerhalb der vergangenen zwölf Monate 112 Mal vor. Laut dem Branchenportal Persoenlich.com gibt es bei der Migros ab nächstem August eine Kommunikationsabteilung, die sich ausschliesslich um das Thema Nachhaltigkeit kümmern soll.
Das WWF-Rating ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Es basiert nämlich zum grössten Teil auf den Angaben der Detailhändler selber. Der WWF schickte Aldi, Coop, Denner, Globus, Lidl, Migros, Spar und Volg einen Fragebogen mit 60 Kriterien zum Ausfüllen. Im Auftrag des WWF füllte die Ratingagentur Inrate AG mit Sitz in Freiburg die Fragebögen sogar schon im Voraus aus – «anhand öffentlich verfügbarer Informationen». So sollte der Aufwand für die befragten Unternehmen reduziert werden, heisst es im Bericht.
Detailhändler durften Resultate absegnen
Die Unternehmen mussten die Fragebögen bei Bedarf nur noch ergänzen. Nach dem Ausfüllen bekamen sie zudem die Möglichkeit, «offene Punkte und Fragen» mit dem WWF zu besprechen. Und zum Schluss unterbreitete der WWF die Resultate den Detailhändlern nochmals zum Absegnen.
Auf Anfrage des K-Tipp sagt Damian Oettli, Leiter Markets beim WWF: «Die Detailhändler können uns nicht irgendetwas erzählen.» Gemeinsam gesetzte Ziele würden durch externe Stellen wie Price Waterhouse Coopers überprüft. Zudem frage der WWF nach Belegen und habe eigene Experten, die die Richtigkeit der Angaben einschätzen könnten. Oettli räumt aber ein: «Letztlich ist der Bericht wie jedes andere Rating eine Annäherung an die Wirklichkeit – die absolute Wahrheit gibt es nie.»
Der WWF erhält von Coop und Migros jährlich 2 bis 6 Millionen Franken. Von Denner und Lidl gibts je zwischen 100 000 und 250 000 Franken. Die beiden Discounter figurieren im Rating zusammen mit Aldi in der zweitbesten Kategorie. Welche Gegenleistung der WWF für das Geld erbringt, sagt die Umweltorganisation nicht.
Coop wirbt mit 10-fachen Flugmeilen
Wenn es ums Tagesgeschäft geht, vergessen Coop und Migros ihre angeblichen Bemühungen um Nachhaltigkeit gerne einmal. Das zeigen einige aktuelle Beispiele:
- In der «Coop-Zeitung» vom 7. Mai warb der Grossverteiler mit 10-fachen Flugmeilen bei einem Weineinkauf ab 300 Franken – und fördert so das klimaschädliche Fliegen.
- Coop und Migros bewerben aktuell die Grillsaison – und kurbeln damit den Fleischkonsum an. Er trägt zum Klimawandel bei – unter anderem, weil für die Tierhaltung grosse Mengen an Futter benötigt wird.
- Beide Grossverteiler verkaufen vorgeschnittene Früchte und Gemüse sowie weiteres sogenanntes Convenience-Food für unterwegs – in Kleinstmengen verpackt in Plastikschalen.
- Coop verkauft in seinen Heimwerkermärkten nach wie vor zahlreiche giftige Pestizide, die für Bienen tödliche Schadstoffe enthalten (K-Tipp 6/2019). Solche Produkte gibt es auch in der Migros.
- Coop und Migros verkaufen Mineralwasser aus Norwegen, Grossbritannien und Australien, das über weite Distanzen transportiert wurde – zu einem Literpreis von bis zu 10 Franken (K-Tipp 5/2019).
WWF: «Beispiele sind nicht in unserem Sinn»
Der WWF gibt auf Anfrage des K-Tipp zu: «Tatsächlich sind die erwähnten Beispiele nicht in unserem Sinn. Wir weisen die Unternehmen regelmässig auf solche Aktivitäten hin, die nicht zu ihren Nachhaltigkeitsbemühungen passen.»
Die Grossverteiler scheint dies wenig zu kümmern. Zur Flugmeilen-Aktion sagt Coop, sie sei bei den Kunden sehr beliebt. Beide Grossverteiler schreiben, sie würden bei ihrer Grillwerbung auch auf Gemüse und Fleischersatzprodukte hinweisen. Die Plastikverpackungen würden optimiert. Coop sagt zudem, man habe bereits vor Jahren alle Pestizide, die als «besonders bienengefährlich» eingestuft worden seien, aus dem Sortiment genommen. Die Migros schiebt die Verantwortung auf die Käufer der Pestizide ab: «Wird die Anwendung korrekt ausserhalb des Bienenflugs durchgeführt, besteht für die Bienen keine Gefahr.» Und beim importierten Wasser setze man möglichst auf Bahntransporte. Zu den Mineralwassern aus Grossbritannien und Norwegen schreibt Coop: «Das sind Kleinstmengen.»