Ein Bildschirm zeigt pinkfarbene und hellblaue Männchen in Bewegung: Mit einer Live-Demonstration wirbt die Firma Xovis an der Euroshop 2023 Anfang März in Düsseldorf (D) für ihre Überwachungsgeräte.
Der Kamerahersteller aus Zollikofen BE zeigt an Europas grösster Detailhandelsmesse, wie Läden ihre Kunden verfolgen können: Die Viedokameras erkennen Grösse, Geschlecht, Gesicht. Und auch in welche Richtung ein Kunde gerade schaut.
Der K-Tipp liess sich an der Messe zeigen, mit welchen Systemen Kunden in der Schweiz überwacht werden. Die Kameras von Xovis sind bereits an vielen Bahnhöfen und in Flughäfen im Einsatz (K-Tipp 3/2023). Auch im Detailhandel sind sie vielerorts anzutreffen. Zu den Xovis-Kunden zählen etwa Aldi, Coop, Lidl und Migros. Das sagte Xovis-Gründer Christian Studer dem «Tages-Anzeiger» im Februar 2021.
Kameras analysieren jede Bewegung
Der Xovis-Verkäufer an der Messe gerät angesichts der Fähigkeiten der Kameras ins Schwärmen: «Sie registrieren, wie sich die Kunden bewegen, welche Rabatte funktionieren und wie viele Personen tatsächlich etwas kaufen.» Man könne auch Bewegungs- und Verhaltensdaten nachträglich problemlos mit einem Käufer verknüpfen. Man müsse nur den Zeitstempel der Kameraaufnahme mit jenem der Kasse abgleichen. Benutzt der Käufer eine Kundenkarte wie Cumulus und Supercard, lassen sich die Aufnahmen auch einem Namen zuordnen.
Hinter Bildschirmen versteckte Kameras
Kunden sehen die Kameras oft nicht. Einige Geschäfte verstecken sie hinter Werbebildschirmen. Die Kamera am oberen Bildschirmrand erkennt, ob ein Mann oder eine Frau, eine jüngere oder ältere Person davorsteht, und präsentiert dann auf sie abgestimmte Werbung.
Die Migros setzt solche Bildschirme der Firma Active Display aus Herisau AR in mehreren Einkaufszentren ein. Etwa im Rosenberg in Winterthur ZH, im Oberland Märt in Wetzikon ZH oder im Rheinpark in St. Margrethen SG.
Vergleichbare Systeme finden sich auch in Filialen von Spar, Top CC, den Toppharm-Apotheken, der Drogeriekette Müller, dem Buchhändler Orell Füssli und der Schuhladenkette Dosenbach. Bei den betroffenen Läden heisst es, das Werbesystem speichere keine Videoaufnahmen, es erhebe lediglich «anonymisierte Daten» und sei daher datenschutzkonform.
Auch Kamerasysteme der kanadischen Firma Avigilon sind in der Schweiz im Einsatz – so zum Beispiel bei der Migros in den Läden der Genossenschaften Zürich und Genf oder bei Alnatura. Der Hersteller wirbt auf seiner Internetseite, dass eine bestimmte Person «innerhalb von Sekunden» erkannt werden könne. Die Filmaufnahmen lassen sich nach Merkmalen wie Haarfarbe, Grösse, Geschlecht und Kleidung durchsuchen.
Manche der Avigilon-Modelle verfügen auch über eine Gesichtserkennung, heisst es auf der Website: «So können Sie gesuchte Personen mittels sicherer Kontrolllisten und Alarmen schneller ermitteln.»
Die Migros sagt dem K-Tipp, die Videoaufnahmen würden unter anderem dazu dienen, Straftaten aufzuklären. Die «intelligente Suche» nutze man jedoch nur, wenn ein Vorfall wie ein Diebstahl oder ein Gewaltdelikt vorliege.
Personal direkt auf Kunden angesetzt
In einigen Filialen von Coop, Denner, Lidl und Spar sind Videokameras der schwedischen Marke Axis Communications installiert. Diese verfügen ebenfalls über sogenannte «intelligente» Funktionen. Der Hersteller wirbt damit, dass diese Kameras das Ladenpersonal per Audio-Meldungen benachrichtigen können – etwa wenn Kunden sich in profitablen Ladenbereichen aufhalten und sich für ein Verkaufsgespräch anbieten würden.
Aldi setzt andere Überwachungskameras ein. Gemäss eigenen Angaben haben diese keine Zusatzfunktionen. Aldi, Coop und Denner erklären, das Überwachungsystem von Xovis habe man nur während der Coronapandemie benutzt. Nur: In vielen Einkaufsläden hängen die Kameras noch immer.
Versteckte Kameras an Bahnhöfen: SBB kommen unter Druck
Die Überwachungspläne der SBB, die der K-Tipp aufdeckte, stossen auf Kritik – auch SBB-intern.
Die SBB wollen ab September an 57 Bahnhöfen Reisende filmen, um deren Einkaufsgewohnheiten auszuwerten. Nach Erscheinen des K-Tipp-Beitrags behaupteten die SBB, es handle sich nur um ein neues Messsystem, um die Passagiere sicher und besser durch den Bahnhof zu leiten (K-Tipp 3 und 4/2023).
Letzte Woche stieg der Druck auf die Bundesbahnen im Parlament: Nationalrätinnen und -räte von Grünen, SP, Mitte und SVP wollten von SVP-Bundesrat Albert Rösti wissen, ob der Bund als Besitzer der SBB die umstrittenen Pläne stoppt.
Der Verkehrsminister blieb vage: «Der Bundesrat erwartet von den SBB, dass sie den Datenschutz als zentral betrachten und sich der Risiken bewusst sind.»
Nationalrat Roland Büchel (SVP/SG) hakte nach: «Ist es wirklich notwendig, Passantendaten biometrisch erfassen und verknüpfen zu können, um die Personenflüsse in Bahnhöfen zu verbessern?» Rösti antwortete mit bekannten SBB-Versprechungen: «Es finden keine Verknüpfungen von Personendaten statt.» Es gehe darum, etwa die besten Standorte für Billettautomaten ausfindig zu machen. Jene Geräte also, welche die SBB bis 2035 abbauen wollen, um den anonymen Ticketkauf zu verunmöglichen.
Über 16 000 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben bisher eine Petition von Algorithm Watch. Die Organisation verlangt von den SBB, dass keine Infrastruktur installiert werden darf, die eine biometrische Identifikation ermögliche. Angela Müller, Leiterin Algorithm Watch, sagt: «Die EU verhandelt aktuell über ein Verbot biometrischer Kategorisierungen – die SBB wollen diese frischfröhlich an über 50 Bahnhöfen einführen.»
Auch SBB-Mitarbeiter sprechen sich gegen «Überwachungsbahnhöfe» aus. Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals schreibt: «Die SBB sollte sich auf ihre Service-public-Leistungen im Personenverkehr fokussieren. An Bahnhöfen braucht es keine zusätzlichen Kameras zur Messung der Kundenfrequenzen.»