Deutsche Verlockungen
Wer in Deutschland einkauft, bekommt fürs gleiche Geld fast doppelt so viel wie in der Schweiz. Trotzdem gaben Konsumtouristen im Jahr 2001 rund 200 Millionen Franken weniger aus als noch 1999.
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K-Tipp 11/2003
04.06.2003
Mena Kost - redaktion@ktipp.ch
Wer finanziell unten durch muss, dem bleibt nach Abzug der Fixkosten nicht mehr viel übrig. Um Geld zu sparen oder um einfach mal ohne mühsames Rappenspalten und Aktionensuchen zu shoppen, nehmen zehntausende Schweizerinnen und Schweizer für Grosseinkäufe den Weg über die Grenze auf sich. «Ich gehe zweimal im Monat nach Weil am Rhein und kaufe jeweils für knapp 50 Euro für die kommenden 14 Tage ein», erzählt etwa die 23-jährige Basler Studentin Sabrina Wicki. Es gehe ihr allerdings ni...
Wer finanziell unten durch muss, dem bleibt nach Abzug der Fixkosten nicht mehr viel übrig. Um Geld zu sparen oder um einfach mal ohne mühsames Rappenspalten und Aktionensuchen zu shoppen, nehmen zehntausende Schweizerinnen und Schweizer für Grosseinkäufe den Weg über die Grenze auf sich. «Ich gehe zweimal im Monat nach Weil am Rhein und kaufe jeweils für knapp 50 Euro für die kommenden 14 Tage ein», erzählt etwa die 23-jährige Basler Studentin Sabrina Wicki. Es gehe ihr allerdings nicht nur darum, Geld zu sparen. Auch das grosse Angebot an Joghurts, Tiefkühlprodukten und Tofu-Spezialitäten locke sie jeweils über die Grenze.
Der Alkohol fällt als Lockvogel weg
Was Wicki erzählt, belegt auch eine Studie zum Thema Einkaufstourismus, die alle paar Jahre von Coop durchgeführt wird: «Natürlich spielt der Preis eine grosse Rolle. Aber gerade viele ältere Menschen verbinden den Einkauf mit einem Ausflug», so Sibyl Anwander, Verantwortliche für Wirtschaftspolitik bei Coop. Weitere Gründe für den Konsumtourismus seien die grössere Auswahl in den deutschen Einkaufstempeln und die Freude an «fremden» Lebensmitteln, so die Autorin der Studie, die je rund 200 Haushalte im Tessin, in der Westschweiz und in der Deutschschweiz berücksichtigt. Die Ergebnisse der letzten Befragungen haben Erstaunliches gezeigt: Der Kaufkraftabfluss ging im Jahr 2002 erstmals seit gut zehn Jahren zurück. Hatten die Schweizer 1999 im Ausland noch 1,6 Milliarden Franken liegen gelassen, waren es im letzten Jahr nur noch 1,4 Milliarden. «Ein markanter Einbruch», sagt die Expertin. Die grössten Kaufrückgänge sind laut Studie in den Bereichen Rahm (-11 Prozent), Spirituosen (-8 Prozent) und Käse (-4 Prozent) zu verzeichnen.
Mögliche Gründe dafür gebe es viele: Die Harmonisierung der Alkoholsteuer zwischen der Schweiz und der EU habe wohl ihren Teil dazu beigetragen. «Der Alkohol wirkte früher noch auf viele Grenzeinkäufer als Lockvogel», so Anwander. Weiter sei im letzten Jahr die Preisdifferenz bei Rahm, Öl und diversen Landwirtschaftsprodukten zurückgegangen. Auch der hohe Euro-Kurs könnte einigen die Lust am Shoppen genommen haben. Sogar die Fleischimporte, die in der Hitliste der Deutschland-Einkäufer an oberster Stelle stehen, sind massiv zurückgegangen.
Anwander glaubt allerdings nicht, dass man von einem anhaltenden Trend ausgehen könne. Der Grund: Seit März 2002 liegt die Grenze für zoll- und mehrwertsteuerfreie Importe bei 300 statt 100 Franken pro Person, was das Ausland in Zukunft wahrscheinlich wieder attraktiver machen dürfte.
In Deutschland gibts mehr Anbieter
«Wir geben uns grosse Mühe, eine grössere Lebensmittel-Auswahl anzubieten», so Coop-Sprecher Jörg Birnstiel. Es werde aber immer Konsumenten geben, die der Preis nach Deutschland oder Frankreich locke. Mit Recht: Wie die K-Tipp-Testeinkäufe zeigen, sind die beiden deutschen Anbieter Aldi und Marktkauf mindestens ein Drittel billiger als Denner, der im Preisvergleich unter den Schweizer Anbietern am günstigsten war.
Für Denners Info-Chef Lukas Brühwiler steht fest, dass eine Senkung der Schweizer Preise auf EU-Niveau langfristig das Ziel sein müsse. Doch das Marktumfeld lasse tiefere Preise zurzeit kaum zu.
Ein wichtiger Grund für die grossen Preisunterschiede: In Deutschland gibt es im Detailhandel keine derartige Konzentration wie in der Schweiz, wo Coop rund die Hälfte des Markenartikel-Marktes beherrscht und zusammen mit Migros sogar annähernd 70 Prozent des Gesamtmarktes. In Deutschland sind Aldi und Marktkauf zwei Läden unter vielen.
Laut der Coop-Studie kaufen vor allem Familien aus dem grenznahen Bereich in deutschen Supermärkten ein: Bei den Befragten, die rund 15 Kilometer von der Grenze entfernt wohnen, gaben 24 Prozent an, mindestens alle zwei bis drei Monate bei Aldi und Co. einzukaufen. Leben die Testpersonen aber zwischen 16 und 30 Kilometer von Deutschland entfernt, dann shoppen nur noch knapp zehn Prozent regelmässig «drüben».
Anders tönt es beim Basler Zoll: «Der Einkaufstourismus nimmt zu. An den Wochenenden fahren sogar Autos von Luzern oder Bern bei uns durch», so Patrick Gantenbein, Info-Chef des Grenzwachtkorps in Basel. Besonders hoch her gehe es nach dem Zahltag: «Dann wollen alle einkaufen - und wir haben hier Stau.»
Woran liegt es, dass hierzulande die Lebensmittel so viel teurer sind als bei unseren Nachbarn? «Wir sind nun mal nicht EU-kompatibel», sagt dazu Migros-Sprecher Urs-Peter Naef. Einerseits seien in der Schweiz die Mieten und Personalkosten höher, andererseits die Produkte meist von besserer Qualität als etwa in Deutschland.
Jacqueline Bachmann, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz SKS, sieht das anders: «Die riesigen Preisunterschiede sind nicht gerechtfertigt.» Viel wichtiger als das Qualitäts-argument ist gemäss der SKS-Frau die Tatsache, «dass die Schweiz aufgrund ihrer abgeschotteten Märkte eine Hochpreisinsel ist».