Bei Weinbauer Hans- Ulrich Brechbühl in der Zürcher Unterländer Gemeinde Stadel sitzt der Schock noch immer tief: Mitten im Sommer 2014 fielen die Trauben vom Stock, und die Rebblätter verkrüppelten. Brechbühl stand in seinem 60 Aren grossen Rebberg vor dem Totalschaden.
Dafür verantwortlich war das Pestizid «Moon Privilege» des Chemiekonzerns Bayer. Das Mittel schützte die Weinreben vor der Pilzkrankheit Graufäule. Aber es wirkte gleichzeitig wie ein Unkrautvertilger und schädigte die Reben.
Auf dieses Risiko wiesen weder Hersteller Bayer auf der Giftflasche noch die Zulassungsbehörde des Bundes in der Bewilligung hin. Folge: Hans-Ulrich Brechbühl und fast tausend weitere Weinbauern in der Schweiz erlitten Schäden in Millionenhöhe. Die Zulassungsbehörde entzog danach dem Pestizid im Weinbau die Zulassung.
Nur in seltenen Fällen lässt sich ein Schaden so eindeutig auf ein bestimmtes Pestizid zurückführen. Hingegen kommt es häufig vor, dass ein Pestizid verboten wird: In den letzten 17 Jahren entzog die Behörde insgesamt 201 bewilligten Stoffen nachträglich die Zulassung wieder. Zwei Beispiele:
Chlorothalonil
Bauern durften das Pestizid 40 Jahre lang verspritzen. 2020 verbot es die Behörde, weil seine Abbauprodukte möglicherweise krebserregend sind. Das Trinkwasser ist noch heute grossflächig belastet.
Neonicotinoide
Fast 30 Jahre lang kam diese Insektengifte zum Einsatz, bis Beweise vorlagen, dass sie auch Bienen töten. 2018 entzog die Behörde drei Neonicotinoiden für den Einsatz im Freien die Bewilligung.
Behörde kontrolliert ungenügend
Das federführende Bundesamt für Lebensmittelsicherheit schreibt dem K-Tipp: «Pflanzenschutzmittel werden nur zugelassen, wenn sie die Kriterien der Pflanzenschutzmittelverordnung erfüllen.» Das heisst: wenn die Mittel keine «unannehmbaren Nebenwirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt» haben. Die Kriterien würden ständig dem aktuellen Stand des Wissens angepasst.
Fakt ist: Die Unterlagen der Hersteller für ein Zulassungsgesuch sind sehr umfangreich. Sie umfassen teilweise mehrere Zehntausend Seiten. Doch für die Überprüfung der Gefahren für Menschen stehen lediglich 7,6 Vollzeitstellen zur Verfügung. Die Behörde sagt, der Personalaufwand für die Überprüfung der Umweltrisiken lasse sich nicht genau beziffern.
Folge dieser personellen Situation: Die Kontrolle der Behörde ist ungenügend. Ein Mitarbeiter der Behörde bestätigte gegenüber der Redaktion von «SRF Dok»: Wenn die Zeit dränge, prüfe man statt der Daten in den Originalstudien nur die Zusammenfassungen der Herstellerfirmen.
Die Schweizer Behörden halten sich bei der Beurteilung von Pestiziden stark an die EU. Sie haben aber keinen automatischen Zugriff zu vertraulichen Daten der europäischen Zulassungsbehörde Efsa. Wichtige Abklärungen bleiben der Schweiz somit vorenthalten. Die Zulassungsbehörde schreibt, sie sei nicht auf die Daten der EU angewiesen. Man erhalte alle wichtigen Informationen von den Pestizidherstellern. Das bedeutet: Die Schweizer Behörde muss alle wichtigen Prüfungen für die Zulassungen selber vornehmen. «Dafür hat die Behörde nicht genug Kapazität», sagt der Zürcher Umweltanwalt Hans Maurer.
Weinbauer Hans-Ulrich Brechbühl und seine mitgeschädigten Winzer sind überzeugt, dass die Zulassungsbehörde das Pestizid «Moon Privilege» nicht genügend seriös prüfte. «Die Behörde hat geschlafen», sagt der deutsche Pflanzenschutzmittelexperte und Gutachter Wolfgang Patzwahl. Nach seiner Einschätzung hätte sie das Risiko beim Studium der Zulassungsunterlagen erkennen können – oder zumindest beim Hersteller kritisch nachfragen müssen.
Einer der betroffenen Weinbauern reichte deshalb eine Klage gegen die Eidgenossenschaft ein. Falls diese abgewiesen wird, wollen die Betroffenen den Hersteller Bayer einklagen. Sie fordern Schadenersatz in Millionenhöhe.