«Die Betroffenen haben immer weniger zu sagen»
Nicht alle Spitex-Organisationen gehen genügend auf Wünsche von Pflegebedürftigen ein. Dies zeigen zwei Fälle, die dem K-Tipp vorliegen.
Inhalt
K-Tipp 05/2009
09.03.2009
Letzte Aktualisierung:
26.03.2009
Isabelle Meier
Fall 1: Unqualifizierte Hilfskraft
Der 35-jährige Historiker Gisep Buchli aus Zürich leidet an einer Krankheit des zentralen Nervensystems. Er sitzt im Rollstuhl und spricht langsam und undeutlich. Ausgerechnet ihm schickt seine Spitex «Züri-Pflege» eine Betreuerin, die kein Wort Deutsch spricht. Unangenehme Folgen: Die Hilfskraft versteht weder Buchlis Anweisungen zur Bedienung des Bettlifts, noch dass er zum Beispiel längst aufs Kl...
Fall 1: Unqualifizierte Hilfskraft
Der 35-jährige Historiker Gisep Buchli aus Zürich leidet an einer Krankheit des zentralen Nervensystems. Er sitzt im Rollstuhl und spricht langsam und undeutlich. Ausgerechnet ihm schickt seine Spitex «Züri-Pflege» eine Betreuerin, die kein Wort Deutsch spricht. Unangenehme Folgen: Die Hilfskraft versteht weder Buchlis Anweisungen zur Bedienung des Bettlifts, noch dass er zum Beispiel längst aufs Klo muss. Er verpasst Termine, sitzt schief im Rollstuhl, ist falsch angegurtet. Die Pflegerin kommt täglich drei Stunden. Seine Krankenkasse zahlt dafür rund 5000 Franken pro Monat. Buchli verlangte bei der Leitung mehrmals nach einer anderen Pflegerin. Darauf eingegangen ist man nicht.
Zudem komme es auch vor, dass die Pflegerin gar nicht auftauche. Dann bleibt Buchli so lange im Bett liegen, bis jemand nach ihm schaut. Die Leitung der «Züri-Pflege» bestätigt, dass sie «in Einzelfällen» niemanden habe schicken können. Wegen der Grippewelle habe man Buchli eine Pflegerin ohne Deutschkenntnisse zuteilen müssen. Ausserdem käme es bei neuem Personal am Anfang öfters zu Problemen bei der Verständigung. Nachdem sich Buchli beim K-Tipp gemeldet hatte, kündigte die Organisation Buchli kurzerhand den Vertrag.
Fall 2: Mann statt Frau als Hilfskraft
Die sprachbehinderte S.P. aus Zürich berichtet ebenfalls von Unzuverlässigkeit. Sie habe mehrfach vergeblich darauf gewartet, dass die Spitex-Pflegerin ihr am Morgen aus dem Bett hilft: «Das passiert laufend.» Kommt hinzu: Die Spitex nimmt die Anliegen von S.P. nicht ernst. Sie will nicht von einem Mann gewaschen und angezogen werden. Trotzdem stehe immer wieder ein Pfleger da. «Es braucht viel Kraft, sich durchzusetzen. Wenn man sprachbehindert ist, ist es doppelt schwer, weil man nicht für voll genommen wird», sagt sie.
Auch der häufige Wechsel des Pflegepersonals, das Gehetz und die unpersönliche Betreuung machen ihr zu schaffen. S.P. ist frustriert: «Ich sage lieber nichts mehr, sonst gibt es nur Ärger.» Für Peter Wehrli vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben – eine Organisation, die sich für die Rechte von Behinderten einsetzt – sind das keine Einzelfälle. Mangel an Personal, Zeit und Geld führen laut Wehrli dazu, dass die Wünsche der Patienten oft nur ungenügend berücksichtigt werden: «Die Betroffenen haben je länger, je weniger zu sagen.»
Auch Margrit Kessler von SPO Patientenschutz ortet das Problem beim Personalmangel und bei teils unqualifizierten Hilfskräften. Der Spitex-Verband Schweiz bestreitet dies nicht. Man sei aber bestrebt, die Wünsche der Klienten zu berücksichtigen, erklärt Sprecher Andreas Keller. Da die Zahl der Klienten täglich schwanke und die Touren möglichst sinnvoll zusammengestellt werden müssten, sei dies allerdings nicht immer möglich.
Was tun, wenn man sich schlecht betreut fühlt?
- In der Schweiz gibt es zahlreiche Dienstleister für die Betreuung zu Hause. Neben den gemeinnützigen Spitex-Organisationen gibt es in fast jeder Gemeinde auch Private. In abgelegenen Orten sind private Organisationen jedoch weniger vertreten. Jeder Patient kann frei wählen, von wem er sich betreuen lassen will.
- Verträge mit Spitex-Organisationen sind rechtlich betrachtet Aufträge. Folge: Jeder Patient kann jederzeit künden.
- Die Kosten für die Spitex werden bis zu einem gewissen Mass von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen. Kostengutsprache einholen!
- Wenn Sie mit der Betreuung unzufrieden sind: Sprechen Sie mit dem Pflegepersonal. Wenn dies nichts bringt, wenden Sie sich an die Einsatzleitung.
- Wenn Sie eine Vertrauensperson haben, die Sie pflegt, können Sie der Spitex vorschlagen, diese anzustellen.