Einige Medien scheinen die Aufregung um das Coronavirus zu vermissen. Der «Tages-Anzeiger» kritisiert, es werde kaum mehr getestet. Die Zeitung sieht «am Horizont neue Virusvarianten auftauchen» und warnt, in der kalten Jahreszeit könnte die Versorgung in den Spitälern «kritisch» werden. Und die «Sonntagszeitung» titelte im Oktober: «Schon bald müssen wir wieder Masken anziehen.»
Worauf sich solche Mutmassungen beziehen, ist unklar. Die einzigen Informationen zu den aktuellen Covidzahlen stammen vom Bundesamt für Gesundheit: Jeden Dienstag vermeldet es Zahlen zu Neuinfektionen, Spitaleinweisungen, Intensivpatienten und Verstorbenen.
Am 25. Oktober zum Beispiel sprachen die Behörden von 30 305 neuen «laborbestätigten Fällen» in den letzten sieben Tagen, 463 «laborbestätigten Hospitalisationen» und 24 «laborbestätigten Todesfällen».
Die Spitalbetten sind gemäss Bund zu 5,7 Prozent von «Covidpatienten» belegt. Insgesamt beträgt die Bettenauslastung 82,3 Prozent. Die Intensivstationen sind zu 9,3 Prozent mit Covidpatienten belegt – bei einer Gesamtauslastung von 75,5 Prozent. Doch was sagen diese Zahlen aus? Illustrieren sie den Coronaverlauf in der Schweiz? Oder zählen sie die Opfer der Covid-19-Pandemie? Kaum, denn dazu sind sie nicht geeignet.
Bei den 30 305 laborbestätigten Fällen handelt es sich um rund 6700 Fälle weniger als vor einer Woche. Daraus können aber keine Folgerungen gezogen werden. Es handelt sich jeweils um die Zahl der Getesteten mit einem positiven PCR-Testresultat.
Diese Zahl ist zufällig, denn sie ist davon abhängig, wie viele Leute sich in diesem Zeitraum testen liessen. Das geht aus den Angaben aber nicht hervor.
Zahlen zu den effektiv Erkrankten fehlen
Ein positiver PCR-Test sagt auch nichts darüber aus, ob die getestete Person krank ist oder wird. Oder ob sie nur eine kleine Virusmenge oder sogar nur Bruchstücke von Viruserbmaterial in sich trägt und damit niemanden anstecken kann. Denn beim PCR-Test wird nur das Virusgenom nachgewiesen, weder eine Infektion noch eine Erkrankung (K-Tipp 5/2021).
Aussagekräftiger als «laborbestätigte» Fälle wären Zahlen zu den effektiv an Covid erkrankten Personen. Solche Zahlen gibt es aber nicht, da wohl nur ein kleiner Teil der Betroffenen einen Arzt aufsucht. Die Anzahl der Arztbesuche von Covidpatienten wäre immerhin ein gewisser Gradmesser der Pandemie – aber diese Zahl wird nicht bekannt gegeben.
Unklare Angaben zum Einweisungsgrund
Am 18. Oktober warnte das Bundesamt für Gesundheit vor deutlich gestiegenen Spitaleintritten und meldete 543 neue «laborbestätige Hospitalisationen». Am 25. Oktober waren es wieder weniger: 463 Spitaleinweisungen.
Doch auch nach zweieinhalb Jahren Coviderfahrung verrät das Bundesamt für Gesundheit nicht, wie viele dieser Patienten wegen einer Coronainfektion ins Spital eingeliefert wurden.
Die Ärzte müssen dem Bundesamt zwar im Meldeformular angeben, ob der Grund der Hospitalisierung eine Covid-19-Erkrankung ist. Doch das Bundesamt benennt in den publizierten Zahlen den Grund für die Einweisung nicht. Dabei wäre dies für die Einschätzung wichtig, wie viele Patienten ein Spital wegen Corona aufsuchen.
Gemäss einer Recherche von «Saldo» gingen bis Mitte 2021 nur 45,5 Prozent der «laborbestätigten Hospitalisationen» auf eine Coronainfektion zurück (Ausgabe 12/2021). Die übrigen Patienten mussten wegen einer anderen Krankheit oder eines Unfalls ins Spital und wurden erst dort positiv auf Corona getestet. Eine Auswertung des Genfer Universitätsspitals Anfang 2022 kam zum selben Schluss: «Fast die Hälfte aller als Coronapatienten gezählten Spitaleintritte» waren nicht covidbedingt.
Simone Buchmann vom Bundesamt für Gesundheit bestätigt dies gegenüber dem K-Tipp: «Covid-19-Patienten können zwar zuerst wegen eines Unfalls hospitalisiert worden sein, im Verlauf der Hospitalisation aber wegen der Covid-19-Erkrankung eine Spitalpflege oder gar eine Intensivpflege benötigen.»
Nur: Warum publiziert der Bund nicht einfach die Zahlen derer, die aufgrund einer Covidinfektion stationär behandelt wurden? So liessen sich Schlüsse zur Auslastung der Spitäler wegen Corona ziehen.
Dasselbe gilt für die Zahlen des Bundesamts zur Belegung der Intensivstationen. Auch dort unterscheidet die Behörde nicht zwischen Patienten, die wegen Corona Intensivpflege benötigen oder aus anderen Gründen.
Auch die laborbestätigten Todesfälle innert einer Woche sagen nichts aus über die Zahl der wegen einer Covid-19-Infektion Verstorbenen. Denn die publizierte Zahl enthält auch positiv Getestete, deren Tod auf eine andere Ursache als Covid zurückzuführen ist, wie das Bundesamt bestätigt.
Bund verspricht Vergleichszahlen
Generell fehlt bei den Bundeszahlen ein Vergleich mit den Atemwegserkrankungen früherer Jahre sowie den dadurch bedingten Hospitalisationen und Todesfällen. Das würde helfen, das aktuelle Krankheitsgeschehen einzuordnen und zu verstehen. Das Bundesamt schreibt, dass solche Zahlen künftig im Internet aufgeschaltet werden sollen. Doch wann dies passiert, ist noch offen.
Fazit: Fast drei Jahre nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie mangelt es an aussagekräftigen Zahlen und Informationen. Und einige Medien dramatisieren die aktuelle Lage.