«Die ganze Bevölkerung als Versuchskaninchen»
Noch 2004 sollen in der Schweiz die ersten UMTS-Netze für den Mobilfunk in Betrieb genommen werden. Gesundheitliche Bedenken bleiben auf der Strecke.
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K-Tipp 6/2004
24.03.2004
Pirmin Schilliger - redaktion@ktipp.ch
Wir werden im zweiten Halbjahr 2004 unser UMTS-Netz für unsere Kunden freischalten», sagt Swisscom-Sprecher Sepp Huber. Profitieren sollen zuerst Geschäftskunden. Sie erhalten mit einer Computersteckkarte fürs Notebook den mobilen Zugriff aufs Internet. Das UMTS-Netz ermöglicht gegenüber dem heutigen GSM-Netz die Übermittlung von bis zu zwanzig Mal grösseren Datenmengen. Die Swisscom will mit ihrem UMTS-Netz an über 700 Standorten über 50 Prozent der Schweizer Bevölkerung abdecken. Da...
Wir werden im zweiten Halbjahr 2004 unser UMTS-Netz für unsere Kunden freischalten», sagt Swisscom-Sprecher Sepp Huber. Profitieren sollen zuerst Geschäftskunden. Sie erhalten mit einer Computersteckkarte fürs Notebook den mobilen Zugriff aufs Internet. Das UMTS-Netz ermöglicht gegenüber dem heutigen GSM-Netz die Übermittlung von bis zu zwanzig Mal grösseren Datenmengen. Die Swisscom will mit ihrem UMTS-Netz an über 700 Standorten über 50 Prozent der Schweizer Bevölkerung abdecken. Damit erfüllt sie die Vorgaben des Bundesamtes für Kommunikation (Bakom). Orange habe zwar erst 50 UMTS-Antennen betriebsbereit, verfüge aber über mehr als 1000 Baubewilligungen, sodass man bis Ende 2004 ebenfalls die erforderliche Abdeckung von 50 Prozent erreichen werde, sagt Sprecherin Marie-Claude Debons. Auch Sunrise will bis Ende Jahr so weit sein.
Bereits in Betrieb sind UMTS-Netze in verschiedenen europäischen Ländern - in Österreich seit April 2003: Der grösste Anbieter, die Mobilkom Austria A1, zählt ein Jahr nach der Einführung jedoch erst mickrige 1500 UMTS-Abonnenten.
4000 Antennen für die Schweiz
Für den Misserfolg dürften Kinderkrankheiten verantwortlich sein: Es gibt erst ein UMTS-taugliches Handy von Siemens. Dieses ist mit 1300 Franken teuer und klobig, und die Akkus sind schnell leer. «Solange die Geräte nicht handlicher und günstiger sind, wird sich UMTS nicht durchsetzen», stellt A1-Sprecherin Elisabeth Mattes fest.
Hersteller wie Nokia und Motorola haben zwar schon länger bedienungsfreundlichere UMTS-Handys angekündigt, doch bis heute hat sich deren Lancierung verzögert. Ein weiteres Problem: Gespräche zwischen GSM- und UMTS-Kunden sind störungsanfällig und werden häufig unterbrochen. In der Schweiz sind derzeit noch keine UMTS-tauglichen Mobiltelefone im Verkauf.
Unbeantwortet bleibt die Frage, ob die UMTS-Netze dem Konsumenten wirklich einen Zusatznutzen bringen. «Die Vorteile der neuen Netze für den Konsumenten stehen jedenfalls in keinem Verhältnis zu den Milliardenkosten für deren Aufbau», ist Matthias Nast von der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) überzeugt. Es fehlten die wirklich attraktiven Angebote. Die Lust, sich auf einem kleinen Handy-Display einen Film anzuschauen, dürfte sich in Grenzen halten.
Sicher aber ist schon jetzt: Für die drei Schweizer UMTS-Netze braucht es mindestens 4000 Antennen. Die Elektrosmog-Belastung wird deshalb weiter steigen. Eine Allianz von Ärzten, Umwelt- und Konsumentenschützern warnt vor den gesundheitlichen Risiken. Sie beruft sich auf eine Studie des niederländischen Physiklabors TNO: Elektromagnetische Strahlen, wie UMTS-Sender sie erzeugen, führten bei Testpersonen zu Kopfweh, Schwindel, Übelkeit und Herzproblemen, und dies schon nach 45 Minuten und bei einer Feldstärke von 1 Volt pro Meter. Der Schweizer Anlagegrenzwert für Wohnungen liegt sechs Mal höher, bei 6 Volt pro Meter. Die Ärzte für Umweltschutz fordern, dass der Grenzwert viel tiefer, nämlich auf 0,6 Volt pro Meter angesetzt wird, und sie verlangen einen Zwischenhalt.
«Keine umfassende Risikoabklärung»
«Vor dem weiteren Ausbau der UMTS-Netze müssen die gesundheitlichen Risiken besser untersucht werden», erklärt Bernhard Aufdereggen, Präsident der Schweizer Ärzte für den Umweltschutz. Matthias Nast vergleicht die geplante Aufschaltung der UMTS-Netze mit einem Laborexperiment, «bei dem die ganze Bevölkerung Versuchskaninchen spielen muss».
Die Auswirkungen schwacher Hochfrequenz-Strahlung auf den Menschen müssten weiter untersucht werden, heisst es auch beim Bundesamt für Umwelt. Sektionsleiter Jürg Baumann: «Wenn eine neue Technologie eingeführt wird, dürfte man eigentlich erwarten, dass ihre gesundheitlichen Auswirkungen einigermassen untersucht sind. Beim Mobilfunk aber war eine solche Dynamik im Spiel, dass die umfassende Risikoabklärung gar nicht möglich war.»
Eine Karte mit aktuellen Standorten und Sendeleistungen ist zu finden unter: www.bakom.ch/de/funk/
freq_nutzung/standorte.
Soll man wegen der unklaren Gesundheitsrisiken mit der Einführung von UMTS zuwarten? Antworten Sie auf www. ktipp.ch.