Am 20. Oktober haben die Schweizer Stimmberechtigten wieder die Wahl: Mit ihren Wahlzetteln können sie bestimmen, welche Politiker in den nächsten vier Jahren im Parlament in ihrem Namen entscheiden.
Fast drei von vier bisherigen Nationalräten, die während der ganzen zu Ende gehenden Amtsperiode im Bundeshaus sassen, stellen sich zur Wiederwahl. Der K-Tipp wollte wissen, welche dieser Nationalräte im Interesse der Konsumenten handelten – und welche im Sinn von Banken, Versicherungen und Grosskonzernen abstimmten. Er untersuchte dazu das Abstimmungsverhalten der 146 wiederkandidierenden Nationalräte bei 50 für die Konsumenten wichtigen Geschäften. Dabei ging es unter anderem um Krankenkassenprämien, Mietzinse, Altersrenten, Handygebühren und die Bekämpfung der Hochpreisinsel Schweiz. Die Liste aller berücksichtigten Geschäfte und das Abstimmungsverhalten aller Wiederkandidierenden findet man auch im Internet (Siehe Tabellen links).
In 37 von 50 Fällen gegen Konsumenten
Ergebnis: Konsumentenanliegen waren der Mehrheit des Nationalrats ziemlich egal. Sie stellte sich in 37 der 50 Abstimmungen gegen die Interessen der Bevölkerung. Nur in 13 Fällen entschied der Nationalrat konsumentenfreundlich. So stimmte er etwa
- gegen die Erhöhung der Mindestfranchise in der obligatorischen Krankenversicherung von 300 auf 500 Franken,
- für strengere Regeln für Krankenkassenvermittler,
- gegen die Kürzung von laufenden Pensionskassenrenten,
- für eine bessere Erreichbarkeit von Postfilialen
- und für ein Importverbot von Quälfleisch.
Kein Nationalrat, der jetzt wieder kandidiert, hat bei allen 50 Vorlagen im Interesse der Konsumenten abgestimmt (siehe Tabelle links). Der Höchstwert liegt bei 47 Entscheidungen zugunsten der Bevölkerung. Das schafften sechs Ratsmitglieder der SP- und zwei der Grünen Fraktion. Im Übrigen belegen sämtliche Nationalräte dieser Fraktionen die ersten 36 der 146 Ränge. Das links-grüne Lager stellt also die konsumentenfreundlichsten Parlamentarier.
Die erste bürgerliche Nationalrätin folgt auf Platz 37: EVP-Präsidentin Marianne Streiff-Feller aus dem Kanton Bern stimmte bei 33 der 50 Abstimmungen im Interesse der Konsumenten. Im Mittelfeld befinden sich Vertreter von CVP, Grünliberalen und BDP. Als erster SVP-Nationalrat – mit 19 Abstimmungen zugunsten der Konsumenten – taucht auf Rang 54 der St. Galler Lukas Reimann auf. Freisinnige Politiker schnitten am schlechtesten ab: Die letzten 15 der 146 Ränge belegen ausschliesslich FDP-Mitglieder. Das war im K-Tipp-Ranking vor vier Jahren anders. Damals stimmten vorab SVP-Vertreter am konsumentenfeindlichsten (K-Tipp 14/2015).
Mit nur 2 von 50 Abstimmungen im Interesse der Konsumenten liegt der Aargauer FDP-Nationalrat Matthias Samuel Jauslin auf dem letzten Platz. Er schreibt dazu, auch er sei Konsument. Diesbezügliche Anliegen beachte er aus einer liberalen und freisinnigen Sicht. «Konsumentinnen und Konsumenten beeinflussen die Marktsituation mit ihrem Konsumverhalten direkt.»
Allerdings: Konsumenten werden nicht gefragt, wie viel sie für Post, öffentlichen Verkehr usw. zahlen möchten. Sie machen auch keine Gesetze, können also bei der Regelung vieler für sie wichtigen Themen wie Pestizidgrenzwerte, Deklarationen und Service public nicht mitreden.
Die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder argumentiert, oft würden konsumentenfreundliche Bestimmungen nicht zu einem Mehrwert für die Konsumenten, sondern zu höheren Kosten führen. Das sei nicht in ihrem Interesse. Dem kann entgegengehalten werden: Tiefere Gesundheitskosten, faire Versicherungsbestimmungen oder ein Importverbot von Hormonfleisch sind sehr wohl ein Mehrwert für die Konsumenten und führen auch nicht zu höheren Kosten.
FDP-Nationalrat Kurt Fluri aus Solothurn wiederum sagt, eine Verstärkung des Konsumentenschutzes würde häufig indirekt den Konsumenten schaden, weil sie Investitionen verhindere und damit den Markt behindere. Ähnlich äussert sich Thierry Burkart (FDP/AG): Einseitiger Konsumentenschutz, wie er hinter vielen politischen Vorstössen stecke, sei nicht nachhaltig.
So stimmten die Nachrücker
26 Nationalräte sind während der vergangenen vier Jahre ins Parlament nachgerückt und konnten deshalb nicht an allen vom K-Tipp berücksichtigten Abstimmungen teilnehmen. Doch 18 von ihnen haben mindestens 15-mal abgestimmt. Der K-Tipp hat ihr Abstimmungsverhalten ebenfalls ausgewertet (www.ktipp.ch/nr-nachruecker). Bei den Neuen zeigt sich dabei das gleiche Bild wie bei den Alteingesessenen: Parlamentarier von SP und Grünen stimmten konsumentenfreundlicher ab als die Bürgerlichen.
Konsumenteninteressen auch im Ständerat meist chancenlos
Erstmals untersuchte der K-Tipp auch das Abstimmungsverhalten der Ständeräte. Das war möglich, weil in der ablaufenden Amtsdauer die Mitglieder der kleinen Kammer neu ebenfalls über alle Vorlagen elektronisch abstimmen konnten.
Die Konsumentenfreundlichkeit der kleinen Kammer ermittelte der K-Tipp anhand von 15 relevanten Vorlagen. Das Resultat ist ernüchternd: Bei 12 der 15 Geschäfte stimmte die Mehrheit des Ständerats gegen die Interessen der Konsumenten – nur dreimal dafür: So lehnte er die Lockerung der Strahlenschutzgrenzwerte für Handyantennen ab, ebenso die Senkung der mehrwertsteuerbefreiten Einfuhr von Waren aus dem Ausland von 300 auf 50 Franken. Und er unterstützte die Forderung, in der EU zugelassene Produkte auch in der Schweiz ohne überhöhte Auflagen in Verkehr bringen zu dürfen.
Von den bisherigen Mitgliedern des Ständerats, die über die ganze zu Ende gehende Amtsdauer im Rat sassen, wollen 25 wiedergewählt werden. Der kon- sumentenfreundlichste Vertreter dieser Gruppe ist Roberto Zanetti (SP/SO). Er entschied bei 10 der 15 Vorlagen zugunsten der Konsumenten. Am anderen Ende der Rangliste stehen die drei CVP-Ständeräte Stefan Engler (GR), Filippo Lombardi (TI) und Beat Vonlanthen (FR) sowie FDP-Ständerat Hans Wicki (NW). Sie stimmten nur zweimal konsumentenfreundlich ab. Wicki hat die Wiederwahl trotzdem schon geschafft: Weil ihm niemand den Sitz streitig machen wollte, wurde er im September in stiller Wahl als Ständerat bestätigt.