Das Medienecho war gross im Januar 2013, der Ton freundlich. Die «Handelszeitung» sprach von einer «Vorreiterrolle». Die Migros-Bank selber teilte mit, sie habe die «proaktive Auszahlung von Retrozessionen beschlossen». Und zwar in der Höhe von total 4,2 Millionen Franken.
Rund ein Jahr später reiben sich viele Migros-Bank-Kunden verwundert die Augen. Sie haben einen Brief erhalten, in dem die Bank sie auffordert, mit ihrer Unterschrift auf die Retrozessionen zu verzichten. Zuschriften an den K-Tipp zeigen: Die Kundschaft ist verwirrt.
Bei Fonds kassieren die Banken mit
Des Rätsels Lösung: Bei der Anfang 2013 angekündigten Rückzahlung von Retrozessionen ging es um 2800 Kunden mit einem Vermögensverwaltungsvertrag. Mit einem solchen Mandat hat eine Bank weitreichende Vollmachten: Sie kann in eigener Regie entscheiden, in welche Aktien, Obligationen, Anlagefonds oder andere Finanzinstrumente das Geld des Kunden investiert wird und wie lange. Der Kunde wird jeweils nicht gefragt. Die Bank muss sich lediglich an die gemeinsam vereinbarte Anlagestrategie halten.
Diese Dienstleistung lässt sich die Bank natürlich bezahlen. Bei der Migros-Bank zum Beispiel kostet die Vermögensverwaltung 0,45 bis 1,25 Prozent der Anlagesumme – abhängig von der Höhe des Vermögens und von der gewählten Strategie.
Doch mit diesem Verwaltungshonorar geben sich die Banken nicht zufrieden. Sie kassieren auch aus anderen Quellen. Wenn sie zum Beispiel für den Kunden Anteile von Anlagefonds kaufen, so erhalten sie dafür von der Fondsgesellschaft eine Vergütung. Das Bundesgericht hat 2012 entschieden: Solche Vergütungen im Rahmen eines Vermögensverwaltungsmandats gehören dem Kunden.
Deswegen hat die Migros-Bank Anfang 2013 die Rückzahlung der erhaltenen Vergütungen an die Kunden angekündigt. Und zwar «proaktiv», also ohne dass die Kunden das Geld zuerst verlangen mussten. Die Migros-Bank zahlte die Retrozessionen rückwirkend für die vergangenen zehn Jahre.
Fast alle andern Banken – besonders auch die Grossbanken – zahlen erst, wenn sie von den Kunden ausdrücklich zur Rückgabe der Gelder aufgefordert werden. Und sie behaupten dazu noch, dass die Verjährungsfrist fünf, nicht zehn Jahre betrage (K-Tipp 3/2013).
Doch die Migros-Bank hat auch über 80 000 Depotkunden. Das sind Anleger, die selber entscheiden, was sie wann kaufen oder verkaufen. Sie haben also kein Vermögensverwaltungsmandat und sind dennoch auf eine Bank angewiesen: Sie brauchen ein Depot, in dem ihre Wertschriften gelagert werden.
Depotkunden haben vier Möglichkeiten
Und da kommen wiederum Retrozessionen ins Spiel. Selbst wenn eine Bank nur Fondsanteile hütet, die der Kunde in Eigenregie gekauft hat, kassiert sie dafür Entschädigungen von der Fondsgesellschaft. Und zwar nicht zu knapp: Die Ansätze bewegen sich zwischen rund 0,1 und 1 Prozent der Anlagesumme pro Jahr. Bei einem Depotwert von 50 000 Franken machen die Retrozessionen damit pro Jahr 50 bis 500 Franken aus.
Auf dieses Geld will die Migros-Bank aber nicht verzichten. Sie hat deshalb ihre Depotkunden angeschrieben und sie aufgefordert, innert Monatsfrist eine Verzichtserklärung zu unterschreiben.
Und was sollen Migros-Bank-Kunden mit einem selbstverwalteten Depot jetzt unternehmen? Es gibt vier Möglichkeiten:
1. Unterschreiben. Wer unterschreibt, verzichtet ausdrücklich auf die Retrozessionen. Damit ist die Rechtslage klar.
2. Verhandeln. Die offizielle Stellungnahme der Migros-Bank lautet: Wenn ein Kunde den neuen Depotvertrag mit dem Verzicht auf die Retrozessionen nicht unterschreibt, wird ihm das Depot gekündigt. Der K-Tipp rät: Kundinnen und Kunden mit einem hohen Depotbestand sollten verhandeln und mit dem Wegzug drohen. Vielleicht kommt ihnen die Bank entgegen – zum Beispiel bei der Depotgebühr.
3. Anlagen checken. Retrozessionen fliessen in erster Linie bei Finanzinstrumenten, nicht jedoch bei Einzeltiteln. Wenn also ein Anleger im Depot nur Aktien und Obligationen hat, aber keine Fonds, so erhalten die Banken dafür keine Kommissionen. Eine andere Möglichkeit: Viele Fachleute empfehlen Kleinanlegern, generell nur sogenannte ETFs zu kaufen, also börsengehandelte Indexfonds. Bei diesen Finanzinstrumenten sind die Retrozessionen sehr gering, oder es fliessen überhaupt keine.
4. Wechseln. Was die Migros-Bank mit ihren Depotkunden macht, ist in der Branche allerdings üblich. Die Banken zahlen ihren Depotkunden ohne einen Beratungs- oder Vermögensverwaltungsvertrag keine Retrozessionen aus. Inzwischen haben die meisten Banken ihr Depotreglement vergleichbar formuliert. Und auch sie verlangen von Kunden mit einem selbstverwalteten Depot den Verzicht auf die Retrozessionen. Das gilt zum Beispiel für Raiffeisen, Postfinance, Bank Coop und Zürcher Kantonalbank, ebenso für die Internetbank Swissquote.
Nur wenige behandeln alle Kunden gleich
Doch es gibt Ausnahmen: Die Baloise Bank SoBa zum Beispiel behandelt Depot- und Vermögensverwaltungskunden gleich. Aber: Wer bei der SoBA die leicht höheren Depotgebühren zahlt und dafür die Retrozessionen erhält, zahlt unter dem Strich vielleicht gleich viel wie jetzt bei der Migros-Bank. Es kann aber auch weniger sein – das hängt von der Zusammensetzung des Depots ab.
Die junge Zürcher Globalance Bank gibt die Retrozessionen ebenfalls an die Kundschaft weiter – egal ob sie Vermögensverwaltungs-, Beratungs- oder «nur» Depotkunden sind. Dies bestätigt Mediensprecherin Sonja Suter. Die Globalance Bank nimmt Kunden aber erst ab einem Vermögen von 300 000 Franken.
Tipp: Holen Sie bei anderen Banken Offerten ein, bevor Sie Ihr Depot zügeln. Schicken Sie Ihren Depotauszug der betreffenden Bank und fragen Sie, wie Kosten und Ertrag für Sie persönlich aussehen würden.
Was sind Retrozessionen?
Retrozessionen oder Rückvergütungen bzw. Kickbacks ist der Überbegriff für Entschädigungen, die Banken und Vermögensverwalter hinter dem Rücken ihrer Kunden von Herausgebern von Finanzprodukten erhalten. Solche Herausgeber sind vor allem Fondsgesellschaften und Vertreiber von strukturierten Produkten.
Unter den Begriff Retrozession fallen sämtliche Vergütungen beim Kauf und bei der Deponierung: Kommissionen, Rückerstattungen, Abschläge, Rabatte, Vertriebsentschädigungen usw. Retrozessionen fliessen nur bei Anlagefonds und bei strukturierten Produkten. Zu diesen «Strukis» zählen die in Zeitungen intensiv beworbenen Barrier Reverse Convertibles. Bei Einzeltiteln wie Aktien erhalten die Banken keine Vergütungen.
Kunden mit Vermögensverwaltungsmandat haben laut Gesetz Anspruch auf die Herausgabe von Retrozessionen. Ein Verzicht ist nur rechtsgültig, wenn ihnen die Bandbreite der Kickbacks bekannt ist, die bei der Bank bleiben.