Die Schweizerische Nationalbank machte im vergangenen Jahr einen Verlust von 3,2 Milliarden Franken. Das geht aus dem kürzlich veröffentlichten Geschäftsbericht hervor. Das Minus entstand nicht zuletzt, weil die Nationalbank seit Herbst 2022 die Schweizer Banken neu mit Zinszahlungen für die bei ihr hinterlegten Guthaben beglückt. 2023 dürften so über 6,5 Milliarden Franken an die Banken geflossen sein («K-Geld» 5/2023).
Dramatisch wäre das Minus eigentlich nicht. Denn die Nationalbank hält gegenwärtig Rückstellungen für mögliche Verluste auf Währungsreserven von fast 116 Milliarden Franken. Unabhängig vom Jahresergebnis vergrössert sie ihre Rückstellungen jedes Jahr um 10 Prozent – aktuell um 10,5 Milliarden Franken –, um ihr Eigenkapital zu stärken. Diese Rückstellungspolitik trägt dazu bei, dass die Nationalbank kein Geld mehr für Ausschüttungen an die öffentliche Hand zur Verfügung stellen muss («Saldo» 18/2022). Noch 2020 hatten Bund und Kantone 4 Milliarden Franken, 2021 und 2022 gar jeweils 6 Milliarden erhalten.
Gemäss den Wirtschaftsprofessoren Stefan Gerlach, Yvan Lengwiler und Charles Wyplosz könnte sich die Nationalbank mit den Rückstellungen von fast 116 Milliarden Franken auch jetzt eine Ausschüttung von 6 Milliarden «problemlos leisten». Die Praxis der Bank, die Rückstellungen «jedes Jahr ohne Begründung» um 10 Prozent zu erhöhen, bezeichnen die Experten als «willkürlich». Damit werde Bund und Kantonen «der ihnen zustehende Anteil am Vermögen, das dem Volk gehört, vorenthalten».
Aufsichtsorgan könnte Praxis ändern
Laut den drei NationalbankExperten könnte der Bankrat, also das Aufsichts- und Kontrollorgan der Nationalbank, diese Praxis ändern, wenn er wollte. Doch leisteten einige Bankratsmitglieder tatsächlich Widerstand und traten für Ausschüttungen an Bund und Kantone ein? Laut «Verhaltenskodex für die Mitglieder des Bankrats» vertritt einzig dessen Präsidentin, die frühere Bündner Regierungsrätin Barbara Janom Steiner, das Gremium «im Umgang mit den Medien». Sie leitete die Anfrage des K-Tipp allerdings an Peter Schöpf, Generalsekretär der Nationalbank, weiter. Er sagt zur Frage nach dem Abstimmungsverhalten der Bankräte nur: «Dazu äussern wir uns nicht.»
Der Bankrat zählt elf Mitglieder. Sechs von ihnen wählte der Bundesrat. Neben Barbara Janom Steiner gilt dies für den Berner Regierungsrat Christoph Ammann (SP), die Schaffhauser Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter (SVP), den Tessiner Staatsrat Christian Vitta (FDP), den Genfer Bankenanwalt Shelby du Pasquier und Wirtschaftsprofessor Christoph Lengwiler von der Hochschule Luzern. Die anderen fünf Bankräte – unter ihnen Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia – wählte die Generalversammlung der Nationalbank.
In einem Memorandum über die Auswahl der Bankräte halten das Finanzdepartement des Bundes und die Nationalbank fest, diese müssten bereit sein, «sich für die Anliegen der Nationalbank zu engagieren». Das klingt nicht so, als wünsche man sich Leute im Bankrat, die bestrebt sind, die Politik des Direktoriums kritisch zu begutachten.