Der typische Überschuldete ist Schweizer Bürger, männlich, 41 Jahre alt, arbeitslos und geschieden. Das geht aus Daten der Berner Schuldenberatung hervor. Er muss von monatlich 4600 Franken leben und hat knapp 50 000 Franken Schulden: 20 000 Franken bei den Steuerbehörden, etwa gleich viel bei Kleinkreditbanken und fast 8000 Franken bei seiner Krankenkasse.
Wie soll jemand mit bescheidenem Einkommen einen solchen Schuldenberg abbauen? Klar ist: Nicht nur Unternehmen, auch Privatpersonen können beim Gericht einen Konkurs beantragen, wenn eine Schuldensanierung nicht möglich ist. Doch im Unterschied zum Unternehmenskonkurs befreit ein Privatkonkurs nicht für immer von den Schulden. Sie bleiben 20 Jahre lang in Form von Verlustscheinen bestehen.
Für Mittellose gibt es heute kein Verfahren
Das Gesetz sieht heute zwei Möglichkeiten für eine Sanierung ohne Konkurs vor: Der Überschuldete einigt sich mit den Gläubigern auf einen Nachlassvertrag – mit oder ohne Hilfe eines Gerichts. In beiden Fällen muss der Schuldner seinen Gläubigern eine Teilrückzahlung anbieten können, damit sie auf den Rest ihrer Forderung verzichten. Ist jemand mittellos, fehlt ein Verfahren, um ihn zu entschulden.
Anders sieht es im Ausland aus. Laut Jan-Ocko Heuer von der Humboldt-Universität in Berlin können sich Privatpersonen in fast ganz Europa von Schulden befreien (siehe Karte im PDF). Die Verfahren in den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich. Am schnellsten ermöglicht England eine Restschuldbefreiung – nämlich innerhalb eines Jahres, wenn der Schuldner wenig Einkommen und Vermögen hat.
In Österreich hingegen muss sich der Schuldner fünf Jahre lang «wohl verhalten». Das heisst: Er muss arbeiten oder sich um einen Job bemühen, falls er arbeitslos ist. Während dieser Zeit hat er mit dem Existenzminimum zu leben. Das sind zum Beispiel 1200 Euro bei einem Nettolohn von 2000 Euro. Den Rest seines Einkommens muss er einem Treuhänder abliefern, der es an die Gläubiger verteilt. Nach fünf Jahren ist er schuldenfrei.
Anfang März publizierte der Bundesrat einen Bericht mit Vorschlägen für ein neues Sanierungsverfahren bei Privatpersonen: Schuldner mit regelmässigem Einkommen sollen ihren aussergerichtlichen Nachlassvertrag vom Gericht auf unkomplizierte Art genehmigen lassen können. Und für die hoffnungslos Verschuldeten soll es ein neues Restschuldbefreiungsverfahren geben, ähnlich wie in Österreich.
Widerstand kommt von den Schuldenberatern
Dagegen hat sich bereits Widerstand gebildet – und zwar von den Schuldenberatern. «Es bringt nichts, Leute zu entschulden, die unter dem Existenzminimum leben und daher wieder neue Schulden machen werden», sagt Sébastien Mercier vom Verband Schuldenberatung Schweiz. Er hält eine Revision des Privatkonkurses für sinnvoller. Die Verjährungsfristen der Verlustscheine könnten etwa von zwanzig auf fünf bis zehn Jahre verkürzt werden.
Im Parlament sind verschiedene Vorstösse hängig: SP-Ständerat Claude Hêche fordert, die Einführung einer Restschuldbefreiung zu prüfen und das Nachlassrecht zu verbessern. Der Grünliberale Nationalrat Beat Flach wiederum will, dass der Bundesrat verschiedene Varianten des Sanierungsverfahrens für Privatpersonen untersucht und dann einen konkreten Vorschlag unterbreitet.
Wenig Privatkonkurse
Im Jahr 2017 wurden von den Betreibungsämtern 2 930 009 Zahlungsbefehle ausgestellt (am meisten im Kanton Waadt).
5774 Erbschaften wurden wegen Überschuldung ausgeschlagen (am meisten im Kanton Waadt).
1144 Personen beantragten einen Privatkonkurs (am meisten im Kanton Bern). Zum Vergleich: Im gleichen Jahr lag die Zahl der Firmenkonkurse bei 8351. Diese Zahlen gehen aus dem Bericht «Sanierungsverfahren für Privatpersonen» des Bundesrats vom März dieses Jahres hervor.
«Der Schuldner steht unter Aufsicht»
Animiert ein Entschuldungsverfahren nicht dazu, danach gleich wieder Schulden zu machen?
Jan-Ocko Heuer: Nein. Ein Entschuldungsverfahren stellt hohe Anforderungen an den Schuldner. In Deutschland zum Beispiel wird er von einem Treuhänder beaufsichtigt. Er muss arbeiten oder sich eine Arbeit suchen. Interviews mit Schuldnern zeigten, dass viele ein schlechtes Gewissen gegenüber den Gläubigern haben, weil sie die Rechnungen nicht bezahlen können. Überdies gibt es Wartezeiten, bis man ein zweites Entschuldungsverfahren beantragen kann. In Deutschland beträgt die Frist zehn Jahre. In den skandinavischen Ländern kann man eine Entschuldung sogar nur einmal im Leben beantragen.
Was sollte bei einem Entschuldungsverfahren beachtet werden?
Das Verfahren sollte nicht länger als drei Jahre dauern, damit der Schuldner eine Perspektive hat. Es sollten alle Schulden erlassen werden – also nicht nur die Kreditschulden wie in den USA. Weiter müsste das Verfahren für den Schuldner kostenlos sein, und er sollte bei der Vorbereitung des Entschuldungsgesuchs von einer Fachperson unterstützt werden.