Die Winterthur bestraft geschiedene Frauen
Geschiedene Frauen erhalten von der Pensionskasse ihres Ex-Mannes Geld. Viele Kassen verbuchen diese Summe jedoch so, dass die Altersrente der Frau stark sinken kann.
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K-Tipp 12/2004
16.06.2004
Ernst Meierhofer - emeierhofer@ktipp.ch
Der neue Ausweis für das Jahr 2004 war für Simone Müller (Name geändert) ein Schock. Noch vor zwei Jahren hatte ihr die Pensionskasse eine Altersrente von 2701 Franken pro Monat in Aussicht gestellt. Jetzt sind es noch 1789 Franken.
«Meine Rente ist um 33 Prozent gekürzt worden», empört sich die 55-Jährige aus dem Kanton Bern. «Ich werde als geschiedene Akademikergattin nach meiner Pensionierung auf dem Existenzminimum landen.»
Die massive Kürzung der vo...
Der neue Ausweis für das Jahr 2004 war für Simone Müller (Name geändert) ein Schock. Noch vor zwei Jahren hatte ihr die Pensionskasse eine Altersrente von 2701 Franken pro Monat in Aussicht gestellt. Jetzt sind es noch 1789 Franken.
«Meine Rente ist um 33 Prozent gekürzt worden», empört sich die 55-Jährige aus dem Kanton Bern. «Ich werde als geschiedene Akademikergattin nach meiner Pensionierung auf dem Existenzminimum landen.»
Die massive Kürzung der voraussichtlichen Altersrente um monatlich rund 1000 Franken hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass Müller bei der Winterthur Columna versichert ist. Der Betrieb, bei dem Müller jetzt ein Teilzeitpensum hat, hat also keine eigene Pensionskasse, sondern ist der Sammelstiftung der Winterthur-Versicherung angeschlossen.
Damit wurde die Frau Opfer des so genannten Winterthurer Modells:
- Die Winterthur unterscheidet strikt zwischen obligatorischem und überobligatorischem Altersguthaben (siehe «Stichworte»).
- Den obligatorischen Teil muss die Winterthur Columna nach dem vom Bundesrat festgelegten Satz verzinsen (2004 sind das 2,25 Prozent).
Den überobligatorischen Teil verzinst sie nach Kriterien, die sie selber festlegt - derzeit nur mit 2 Prozent. Das ist möglich, weil gesetzliche Leitplanken für das Überobligatorium diesbezüglich fehlen. Die tiefere Verzinsung dieses Teils hat zur
Folge, dass das voraussichtliche Alterskapital (siehe «Stichworte») noch stärker sinkt.
- Die Winterthur Columna wendet für das Überobligatorium auch einen tieferen Rentenumwandlungssatz an (siehe «Stichworte»). Auch das führt dazu, dass die voraussichtliche Rente sinkt.
- Die Winterthur unterscheidet zudem beim Umwandlungssatz zwischen Männern (5,835 %) und Frauen (5,454 %).
Folge: Je höher das überobligatorische Guthaben einer versicherten Person ist, desto einschneidender sind die Folgen bei der Winterthur und bei anderen Pensionskassen, die das geschilderte Splitting ebenfalls praktizieren.
All das ist aus Kundensicht schon stossend genug. Die Gewerkschaften Smuv und GBI bezeichnen das Winterthurer Modell gar als gesetzwidrig.
Für Winterthur-Kundin Simone Müller kommt ein weiterer Umstand erschwerend dazu. Sie ist im Jahr 2001 geschieden worden, ihr Ex-Mann - ein gut verdienender Akademiker - musste ihr damals von seinem eigenen Pensionskassengeld 300 000 Franken in ihre Vorsorgeeinrichtung überweisen. Rund ein Drittel davon stammt anteilmässig aus dem Obligatorium.
Die Winterthur Columna hat die ganze Summe dem Überobligatorium der Frau zugeschlagen - mit den oben geschilderten harten Folgen für die Versicherte.
Anders ausgedrückt: Hätte die Winterthur wenigstens einen Teil der 300 000 Franken dem gesetzlich besser geschützten Obligatorium zugeschlagen, würde die Kürzung der voraussichtlichen Altersrente weit weniger stark ausfallen.
Bundesrat: «Nicht sehr befriedigende Lösung»
Der Fall hat inzwischen auch den Bundesrat beschäftigt. Seine Antwort auf eine entsprechende Anfrage des Basler SP-Nationalrats Rudolf Rechsteiner: Die Lösung sei zwar «nicht sehr befriedigend». Aber es sei derzeit aufgrund der Gesetzeslage nicht möglich, «den Vorsorgeeinrichtungen vorzuschreiben, dass sie bei einer Übertragung infolge Scheidung das Vorsorgeguthaben gleichermassen in einen obligatorischen und einen überobligatorischen Teil aufteilen, wie sie in der Vorsorgeeinrichtung des schuldenden Ehegatten angespart worden sind».
Für Nationalrat Rechsteiner ist die Antwort enttäuschend. «Der Bundesrat verzichtet auf eine Regelung und überlässt die Leistungsdefinition damit den Versicherungen - und die entscheiden im Zweifelsfall immer gegen die Interessen ihrer Kunden. So fehlt die Rechtssicherheit - und die Leistungen der Pensionskassen werden laufend abgebaut.»
Zu einem anderen Schluss als der Bundesrat kommt der unabhängige Pensionskassen-Rechtsexperte Werner Nussbaum. Er argumentiert: Rund ein Drittel des Geldes des Ex-Ehegatten kam ja im Fall Simone Müller aus dessen Obligatorium. Dieser Teil sei im Grundsatz anteilmässig auch wieder dem Obligatorium der Frau zuzuschlagen - und zwar bis ihr gesetzlich maximales Altersguthaben gemäss ihrem Lohn erreicht ist. Dies ergebe sich aus dem gesetzlich verankerten Gebot, den Vorsorgeschutz zu erhalten.
Gerade bei Teilzeitlerinnen, die den versicherbaren Maximallohn von derzeit 75 960 Franken nicht erreichen, hätte das Beachten dieses Gebots eine Aufstockung des Obligatoriums und damit eine spürbare Verbesserung der Pensionskassen-Leistungen zur Folge.
Nussbaum betont, seine Meinung decke sich mit derjenigen von «massgeblichen Fachkräften aus dem Bereich Pensionskassen bzw. von Vertretern der Versicherungswirtschaft».
Rechsteiner geht noch weiter: Seiner Ansicht nach sollte sich die Zuteilung ins Obligatorium nicht nur nach dem effektiven Lohn richten. Vielmehr sollte sie zusätzlich auch noch Jahre «auffüllen», während denen die Frau gar nicht erwerbstätig war - so, wie bei einer Scheidung die übrige Errungenschaft geteilt wird.
Manche Kassen verhalten sich fair
Immerhin: Nicht alle Pensionskassen handeln nach dem unfairen Prinzip der Winterthur. Eine kleine Umfrage des K-Tipp unter den wichtigsten Sammelstiftungen hat ergeben, dass andere Sammelstiftungen zumindest einen Teil des obligatorischen Teils des Mannes ebenfalls dem Obligatorium der Frau zuweisen würden - sofern die auszahlende Kasse überhaupt sagt, wie viel aus welchem Topf stammt. Zu ihnen zählen beispielsweise Rentenanstalt und Zürich sowie Abendrot, Gemini, IGP und Nest. Anders hingegen Allianz, Basler und Helvetia Patria: Sie handeln wie die Winterthur.
Fazit: Das Splitting, das die Winterthur und andere Vorsorgeeinrichtungen betreiben, führt zu Folgeproblemen, deren Lösung noch aussteht. Einige Beispiele:
- Wenn die Pensionskasse eines geschiedenen Mannes Geld an dessen Ex-Frau zahlen muss (siehe Kasten), sollte sie zuhanden der anderen Kasse bezeichnen, zu welchen Teilen die überwiesene Summe aus Obligatorium bzw. Überobligatorium besteht. Das tun längst nicht alle Kassen.
- Wenn der gleiche Mann später wieder in die eigene Kasse einzahlt, um die durch die Scheidungsauszahlung entstandene Lücke zu füllen, kann es sein, dass die Pensionskasse dieses Geld vollständig dem Überobligatorium zurechnet. Das wäre wegen der schlechteren Konditionen nicht im Sinne des Versicherten.
- Wenn Versicherte Pensionskassengeld für Wohneigentum vorbeziehen, sollten sie darauf achten, aus welchem Topf die Kasse das Geld nimmt. Eine Entnahme aus dem Überobligatorium wäre im Sinne des Versicherten, die Entnahme aus dem Obligatorium bringt der Kasse Vorteile. Die gleiche Problematik stellt sich, wenn der Vorbezug wieder zurückbezahlt wird.
Stichworte zur Pensionskasse
Das müssen Pensionskassenversicherte wissen:
- Das voraussichtliche Alterskapital steht auf den meisten Pensionskassenausweisen. Es ist eine unverbindliche Voraussage, die auf dem jetzigen Lohn sowie auf dem gegenwärtigen Zinssatz und Umwandlungssatz beruht. Alle diese Variablen können in der Zukunft noch ändern.
- Ein überobligatorisches Altersguthaben haben Angestellte mit höheren Löhnen - sie zahlen mehr Prämien ein, als das Gesetz vorschreibt. Überobligatorisches Altersguthaben haben auch Teilzeitler, die von einer tieferen Eintrittsschwelle profitieren, also mit Löhnen versichert sind, die unter dem gesetzlichen Minimum (derzeit Fr. 25 320.-) liegen. Zudem zählen Beiträge, die vor 1985 eingezahlt wurden, zum Überobligatorium.
- Der Rentenumwandlungssatz bestimmt, wie das Alterskapital nach der Pensionierung in eine Rente umgewandelt wird, falls die versicherte Person das Kapital nicht bar bezieht. Für das gesetzliche Obligatorium gilt derzeit der Satz von 7,2 Prozent (für Männer und Frauen). Aus 100 000 Franken Alterskapital resultiert so eine Jahresrente von 7200 Franken. Dieser Satz sinkt in den nächsten zehn Jahren schrittweise auf 6,8 Prozent. Für das Überobligatorium gibt es diesbezüglich keine gesetzliche Vorschrift.
Pensionskassen-Guthaben muss man teilen!
Bei einer Scheidung müssen in der Regel die während der Ehe geäufneten Guthaben der Pensionskasse je hälftig geteilt werden. Meist profitieren so Frauen, die während der Ehe weniger verdienten und/oder Kinder versorgten. Diese Teilung wird in der Praxis sehr oft vergessen - meist zum Nachteil der Frau.
Eine informative Broschüre können Interessierte im Internet gratis unter www.equality.ch herunterladen.