Reto Lüthy (Name geändert) aus Horw LU schloss Anfang Jahr bei der Krankenkasse Helsana die Zusatzversicherung «Hospital Halbprivat» ab. Kosten: rund 900 Franken pro Jahr. Sie deckt bei Spitalaufenthalten Übernachtungen im 2-Bett-Zimmer, zusätzlich können die Patienten den Arzt auswählen. Lüthy wählte die Versicherung wegen der freien Arztwahl.
Teure Zusatzdeckung empfohlen
Kurze Zeit später erhielt er einen Anruf der Helsana. Die Kasse wollte ihm eine weitere Zusatzversicherung schmackhaft machen. Begründung: Die Halbprivatversicherung gelte nur für Spitalbehandlungen mit Übernachtung. Wolle Lüthy auch bei ambulanten Eingriffen die freie Arztwahl, brauche er die Zusatzversicherung «Primeo». Das koste ihn weitere 360 Franken pro Jahr. «Primeo» decke zudem «Komfortleistungen» wie einen schnelleren Zugang zum Arzt, einen separaten Erholungsraum sowie einen Parkplatz oder eine Taxifahrt nach Hause.
Immer mehr medizinische Eingriffe werden ambulant statt stationär ausgeführt, etwa Leistenbruch- oder Meniskusoperationen. Laut Bundesamt für Statistik wurden 2015 rund 3,79 Millionen Patienten ambulant behandelt, 2019 waren es bereits 4,24 Millionen.
Gemäss Gesetz können Grundversicherte die Leistungserbringer für ambulante Behandlungen frei wählen. Das bedeutet laut dem Bundesamt für Gesundheit jedoch keine freie Arztwahl, sondern bloss die freie Wahl des Spitals.
Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Uni St. Gallen, sieht das anders. Zumindest bei Belegärzten, die direkt abrechnen, hätten Grundversicherte die freie Arztwahl. Dies gelte, sofern die Spitäler diese zuliessen. Denn einen Anspruch auf Behandlung gebe es – ausser im Notfall – nicht. Das heisst: Ein Arzt kann die Behandlung ablehnen.
Bei diesen Kliniken gilt die freie Arztwahl
Eine K-Tipp-Stichprobe bei zehn Kliniken zeigt: Grundversicherte können den behandelnden Arzt bei ambulanten Eingriffen oft wählen. Dies gilt ausdrücklich für die Kantonsspitäler Aarau, Graubünden und Luzern sowie die Universitätsspitäler Basel und Zürich. Voraussetzung: Der Hausarzt nennt den gewünschten Arzt bereits in der Überweisung ans Spital. Auch in der Zürcher Schulthess-Klinik kann man den Arzt grundsätzlich frei wählen.
Anders am Berner Inselspital oder bei den Kantonsspitälern Winterthur und Zug sowie bei der Hirslanden-Gruppe: Eine Vorzugsbehandlung gibt es in Winterthur und am Inselspital auch für «Primeo»-Versicherte nicht, denn diese Kliniken stehen nicht auf der Liste der «anerkannten Partnereinrichtungen» von Helsana. Auf dieser Liste befinden sich zurzeit nur 45 Akutspitäler.
Fazit: Eine Zusatzversicherung für die freie Arztwahl bei ambulanten Operationen kann man sich sparen – sie bringt nur selten einen Vorteil. Von den zehn grössten Krankenkassen verkauft neben Helsana nur die CSS eine solche Zusatzdeckung.
Operation: Die meisten Privatspitäler müssen auch Allgemeinversicherte behandeln
Die Klinik Hirslanden in Zürich schlug einem allgemeinversicherten Unfallpatienten vor, sich privat behandeln zu lassen. Das hätte den Patienten eine Franchise von 4000 Franken zusätzlich gekostet.
Motorradfahrer Samuel Gloor (Name geändert) aus Zürich verunfallt in Pfaffhausen ZH. Die Ambulanz bringt ihn in das Notfallzentrum der Klinik Hirslanden. Diagnose: Mehrfacher Schlüsselbeinbruch. Der Arzt sagt, er müsse innert einer Woche operiert werden.
Am nächsten Tag ruft Gloor an, um einen Operationstermin zu vereinbaren. Er erklärt dem Spital, dass er allgemeinversichert sei, aber eine Flex-plus-Zusatzversicherung habe. Die ermöglicht ihm, sich auf Wunsch als Privatpatient behandeln zu lassen. Dazu müsste Gloor aber die Franchise von 4000 Franken aus eigener Tasche bezahlen. Laut Gloor sagt Hirslanden daraufhin, dass es auf der allgemeinen Abteilung keine freien Betten mehr gebe. Er müsse seine Zusatzversicherung in Anspruch nehmen und sich privat behandeln lassen, um innert Wochenfrist operiert zu werden. Gloor lehnte aus Kostengründen ab. Kurz darauf habe die Klinik angerufen: Es sei auf der allgemeinen Abteilung nun doch ein Platz frei, der Chirurg verlange aber einen Zuschlag von 1500 Franken. Gloor lehnt ab und wendet sich an das Zürcher Triemlispital. Die Ärztin bestätigt die Dringlichkeit der Operation, und Gloor wird am nächsten Tag operiert.
Die Hirslanden-Klinik schreibt in ihrer Stellungnahme, der Patient hätte sich «innert Wochenfrist auch im Rahmen der Grundversicherung» operieren lassen können. Allerdings bot ihm die Klinik erst 8 Tage nach dem Unfall einen Besprechungstermin an.
Rechtlich ist klar: Privatkliniken, die auf einer kantonalen Spitalliste aufgeführt sind, müssen alle Patienten behandeln – unabhängig vom Versicherungsstatus, sofern eine rasche Behandlung medizinisch angezeigt ist. Die Patientenstelle Zürich bestätigt: «Wenn eine Operation dringlich ist, muss ein Listenspital jeden Patienten behandeln – egal, ob er allgemein- oder privatversichert ist.»