Anfang Februar starb Jacqueline Bauers Onkel in Zürich (Name geändert). Er war alleinstehend, hatte keine Kinder und hinterliess kein Testament. Deshalb erbte seine Nichte. Das Problem: Bauer kennt die finanziellen Verhältnisse ihres Onkels nicht. Sie weiss also nicht, ob die Erbschaft überschuldet ist. Davor fürchtet sich die 45-jährige Hausfrau aus Kriens LU. Denn als Erbin haftet sie mit ihrem ganzen Vermögen für die Schulden des Verstorbenen. Es sei denn, sie schlägt das Erbe aus. Die Frist für die Ausschlagung beträgt drei Monate ab dem Zeitpunkt, an dem ein Erbe vom Tod der betroffenen Person erfährt.
Das Dilemma mit dem Erbschein
Während dieser Zeit sollte Jacqueline Bauer versuchen, sich einen Überblick über die finanzielle Situation ihres Onkels zu verschaffen. Verwandte oder andere Erben kennt sie nicht. Bauer benötigt von Banken und Behörden Auskünfte über den Verstorbenen. Um solche zu erhalten, müsste sie sich als Erbin ausweisen können.
Am einfachsten ginge das mit einem Erbschein. Doch einen Erbschein kann sie nicht beantragen. Dazu müsste Bauer zuerst das Erbe ausdrücklich annehmen.
In einigen Kantonen gibt es die sogenannte «Auskunftsbescheinigung», um Zugang zu den gewünschten Informationen zu bekommen. Dieses Dokument können Erben den Banken, dem Steueramt und dem Betreibungsamt vorlegen, um Unterlagen über das Vermögen des Verstorbenen einsehen zu können. Solche Auskunftsbescheinigungen sind im Zivilgesetzbuch nicht erwähnt. Sie haben sich «aus der Praxis heraus entwickelt, weil die gesetzlichen Erben bei den Behörden und Banken keine Auskunft erhielten», sagt Marion Erhardt vom Bezirksgericht Zürich.
Die Auskunftsbescheinigung gibt es gemäss einer Umfrage des K-Tipp von Ende Januar in zwölf Kantonen der Deutschschweiz (siehe Tabelle im PDF). Erhältlich ist sie bei der zuständigen Behörde am letzten Wohnsitz des Verstorbenen. In Basel-Stadt etwa ist dies das Erbschaftsamt, in Schwyz das Bezirksgericht und im Kanton Glarus die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde. Erben müssen beim Antrag nachweisen, dass sie zu den gesetzlichen Erben gehören. Das geht beispielsweise mit einem Totenschein und einem Auszug aus dem Zivilstandsregister.
6168 ausgeschlagene Erbschaften pro Jahr
Die Kosten für eine Auskunftsbescheinigung sind relativ gering: St. Gallen und Zürich verlangen 150 beziehungsweise 160 Franken. In den Kantonen Basel-Landschaft, Graubünden und Thurgau ist das Dokument gratis.
In der Schweiz wurden im Jahr 2019 insgesamt 6272 Erbschaften ausgeschlagen und danach vom Konkursamt liquidiert. Die Erbschaftskonkurse nahmen innert neun Jahren um rund 40 Prozent zu.