Recherchen des K-Tipp zeigten: Die kantonalen Justizdirektoren bezahlen eine Werbeagentur, um für die geplante digitale Justizplattform «Justitia.Swiss» zu lobbyieren und sie im Krisenfall zu verteidigen – noch bevor das Parlament überhaupt darüber beraten hat (K-Tipp 6/2022).
Jetzt liegt der Redaktion dank Öffentlichkeitgesetz ein internes Strategiepapier vor, das zeigt: Die Justizdirektoren zahlen zusätzlich eine weitere Agentur für gezielte Massnahmen gegen «bedeutende Widerstände».
Das Geld vergibt die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. Sie leitet und finanziert zusammen mit den Gerichten das «Projekt Justitia 4.0». Die Verantwortlichen wollen ein Gesetz, das Anwälte, Gerichte und Behörden verpflichtet, sämtliche Akten aus Gerichtsverfahren über eine landesweite elektronische Plattform zu versenden. Es geht dabei auch um heikle Daten von Klienten – etwa Zeugenaussagen, Gutachten zu IV-Renten oder Unterlagen zum Sorgerechtsstreit.
«Elimination von Widerständen»
Mehrere Kantone und Anwälte kritisieren das Vorhaben. Unter anderem weil die geplante Plattform keinen ausreichenden Schutz vor Hackerangriffen biete. Die Projektleiter wollen diese Kritiker nun gezielt angehen und sie umstimmen. Dazu beschäftigen sie zwei sogenannte «Change»-Beraterinnen sowie die Ost- schweizer Werbeagentur Leif AG.
Seit vergangenem September befragen diese Beraterinnen alle paar Monate etwa 150 einflussreiche kantonale Justizdirektoren, Staatsanwälte, Anwälte, Richter und Justizangestellte regelmässig zu ihrer Meinung zur digitalen Justizakte.
Bei «bestehenden Blockaden und Widerständen» soll das Team laut Strategiepapier aktiv werden. Zum Beispiel: Kurse organisieren, in denen Kritiker der digitalen Plattform lernen, ihre «hinderlichen Überzeugungen» abzubauen.
Zweck ist ein «Perspektivenwechsel», eine «Stärkung der Veränderungsbereitschaft» und die «Identifikation und Elimination von Widerständen».
Justizdirektoren, Staatsanwälte, Anwälte, Richter und Justizangestellte sollen also in steuerfinanzierten Kursen dazu gebracht werden, ihre Meinung zum Register zu ändern – und das selbst bei berechtigten Zweifeln.
Gemäss Strategiepapier gilt eine Kritik wie «Der elektronische Datenverkehr ist unsicher» als «hinderliche Überzeugung», zu der «neue Betrachtungsweisen geübt» werden sollen.
Dabei haben nicht nur Fachleute, sondern auch die Verantwortlichen selbst Bedenken, ob die geplante Plattform tatsächlich sicher ist: Für den Fall von «Hacking der Plattform» hat «Justitia 4.0» vorsorglich die PR-Agentur Dachcom damit beauftragt, eine gute «Krisenkommunikation» vorzubereiten (K-Tipp 6/2022).
Der Co-Projektverantwortliche Florian Düblin sagt, er halte die Formulierungen im Strategiepapier für «teilweise unglücklich». Bei der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs in anderen Ländern habe sich aber gezeigt, dass bei solchen Vorhaben eine «kommunikative Begleitung» nötig sei, die den «Umgang mit Bedenken» berücksichtige. Zweck der Kurse seien «Sensibilisierung, Information und Erfahrungsaustausch».
3,7 Millionen für Werbeagenturen
Das Budget für die Werbeagenturen liegt bei total gut 3,7 Millionen Franken. Hinzu kommen die Kosten für insgesamt vier Personen mit 275 Stellenprozenten ausschliesslich für «Kommunikation» und «Veränderungsmanagement».