Die Schweiz macht Schluss mit Atomenergie. Das ist im Grundsatz beschlossene Sache. Gleichzeitig muss sie die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien wie Wasser, Sonne und Wind massiv ausbauen. Die Stromversorger sind also gefordert.
Und sie haben noch viel zu tun. Das zeigt ein Blick auf die neue Internetseite Stromkennzeichnung.ch. Sie gibt Auskunft über die Zusammensetzung des Stroms, den die Schweizer Elektrizitätswerke ausliefern. Seit 2006 müssen diese nämlich nachweisen können, woher der Strom kommt, den sie verkaufen. Jene Elektrizität, die sie via Strombörsen importieren und für die keine Herkunftsnachweise existieren, dürfen sie als Strom aus «nicht überprüfbaren Energieträgern» deklarieren.
98 Prozent aus nicht überprüfbaren Quellen
Von diesem Strom fliesst nicht wenig durchs Schweizer Netz. Das zeigen die neusten Daten auf Stromkennzeichnung.ch. Sie beziehen sich auf 2011 – das Jahr der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. In jenem Jahr hatten über 50 Schweizer Elektrizitätswerke Strom ausgeliefert, der zu mehr als der Hälfte aus «nicht überprüfbaren Energieträgern» stammte. Bei Repower in Graubünden, einem der grössten Schweizer Stromkonzerne, waren es fast 98 Prozent.
Dreckiger Strom wird weissgewaschen
Für Energie-Ingenieur Heini Glauser sind die grossen Anteile an Strom aus nicht überprüfbarer Quelle skandalös. «Für diesen Strom gibts zwar keine Herkunftsnachweise», so Glauser. Doch sei klar, dass er dem europäischen Mix entspreche. Das heisst: Er stammt zu rund 50 Prozent aus Kohle- und Gas- so- wie zu rund 30 Prozent aus Kernkraftwerken. Der europäische Mix ist auf der Website des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (www.entsoe.eu) einsehbar.
Glauser ärgert sich: Mit der vernebelnden Bezeichnung dieser Elektrizität als Strom aus «nicht überprüfbaren Energieträgern» werde letztlich dreckiger Strom weissgewaschen. «Gleichzeitig verdienen sich die Schweizer Elektrizitätswerke eine goldene Nase, indem sie selbst produzierten Wasserstrom exportieren.» Für Repower läuft das Geschäft mit dem Export der Wasserenergie rund: Der Ertrag dürfte 2011 laut Glauser um die 15 Millionen Franken betragen haben.
Doch jetzt tut sich etwas im Bündnerland – dank kritischer Konsumenten: «Unsere Kunden haben zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht Strom ohne Herkunftsangabe, sondern vorab Strom aus Wasserkraft wünschen», sagt Repower-Sprecher Werner Steinmann. Deshalb ist seit 2013 nicht mehr der europäische Strommix das Standardprodukt im Kundenangebot, sondern Schweizer Wasserstrom.
Neu werden laut Repower rund 77 Prozent aller Kunden mit Wasserstrom beliefert. Dadurch geht auch weniger Bündner Wasserstrom in den Export, bestätigt Steinmann und kündigt an: «Unsere Stromkennzeichnung für 2013 wird ziemlich anders aussehen als zuvor.»
Wasserstrom statt«graue Energie»
Auch kleinere Stromversorger haben sich neu ausgerichtet. Energia Engiadina z. B. versorgte das Unterengadin 2011 noch mit Strom, der zu 78,5 Prozent aus nicht überprüfbaren Energieträgern stammte. Doch 2012 hat Energia Engiadina laut Direktor Reto Vitalini diese «graue Energie» grösstenteils durch Wasserstrom der Engadiner Kraftwerke (EKW) ersetzt – und zwar massgeblich auf Druck der Kunden, wie Vitalini offen zugibt.
Bloss: Beispiele dieser Art sind ziemlich selten. Statt ihren Lieferanten zu wechseln oder umweltfreundlicheren Strom anzufordern, verteilen kleine Elektrizitätsversorger mit wenig oder keiner Eigenproduktion meist widerspruchslos, was sie von ihm erhalten, kritisiert Energiefachmann Glauser.
Im Fall von Sierre-Energie etwa war das 2011 zu 98,66 Prozent Elektrizität aus nicht überprüfbaren Energieträgern. Man wolle tiefstmögliche Preise anbieten und niemandem teureren Strom aufzwingen, sagt Sierre-Energie dazu. Schliesslich müssten die Konsumenten in der Schweiz Strom aus erneuerbaren Energien bereits von Gesetzes wegen mit einer Abgabe auf dem Strompreis fördern. Doch auf freiweilliger Basis könnten Kunden bei Sierre-Energie durchaus «grünen» Strom bestellen.
Nur: Dazu sollten sie zunächst wissen, dass sie mit Elektrizität aus «nicht überprüfbaren Energieträgern» faktisch «Dreckstrom» kaufen. Nach solchen Hinweisen sucht man bei den Stromversorgern meist vergeblich.
41 Prozent Wasserstrom exportiert
Die Schweiz produzierte 2011 total 62,9 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom. Der Verbrauch betrug (ohne Übertragungs- und Verteilverluste) 58,6 Milliarden kWh. Wie sich dieser Strom zusammensetzte, wird erst Mitte 2013 bekannt werden. Bis dahin liefert die Erhebung für 2009 die aktuellsten Zahlen.
Damals erzeugten Schweizer Wasserkraftwerke – nach Abzug des Stroms für Speicherpumpen – rund 35 Milliarden kWh Elektrizität. Von diesem Strom wurden 20,5 Milliarden kWh im Inland verbraucht. 14,5 Milliarden kWh oder gut 41 Prozent des Schweizer Wasserstroms flossen in den Export. Gleichzeitig belief sich der Anteil an Strom aus nicht überprüfbaren Quellen am schweizerischen Elektrizitätskonsum auf 18,2 Prozent. Es wurden damit rund 10,5 Milliarden kWh Strom verbraucht, der laut Bundesamt für Energie «auf internationalen Strombörsen eingekauft wurde und mehrheitlich aus fossilen und nuklearen Quellen stammt».