Musiklehrerin Kora Wuthier aus Goldach SG ärgert sich über einen angeblichen Mitarbeiter von Pro Natura, der vor ihrer Haustür auftauchte.Wuthier schreibt dem K-Tipp: «Der Mann, der bei mir klingelte, war sehr aufdringlich. Ich musste ihn entschieden zurückweisen.» Er zog durch Wuthiers Wohnquartier, um für die Naturschutzorganisation neue Spender zu gewinnen.
Tatsächlich war der Mann aber beim Fundraisingunternehmen Wesser angestellt, das sich auf Hausbesuche spezialisiert hat. Pro Natura beauftragt diese Firma mit Büros in Stans und Zürich seit sieben Jahren. Wesser beschäftigt 500 Teilzeitangestellte, zumeist Studenten. Allein im vergangenen Jahr klingelten sie nach Angaben von Wesser in den Sommermonaten rund 160 000 Mal für Pro Natura an Haustüren und überzeugten 16 000 Leute von einer Mitgliedschaft.
Dafür zahlte Pro Natura der Firma Wesser ungefähr 700 Franken pro Mitarbeiter und Tag. Wie viel sie Wesser insgesamt zahlte, gibt Pro Natura nicht bekannt. Doch die Kosten dürften mindestens eineinhalb Millionen Franken betragen haben. Das ergibt sich aus den Angaben von Wesser und Pro Natura.
Hausbesuche bis abends um 21 Uhr
Ein tüchtiger Mitarbeiter des Fundraisingunternehmens schafft es laut Wesser an einem Tag, sieben Neumitglieder zu werben und zu einer regelmässigen Spende zu bewegen. Dazu muss er bei rund 70 Wohnungen anklopfen. Er tut das bis abends um 21 Uhr.
Kora Wuthier fand den Besuch störend und unangenehm. Es sei «psychologisch ungeschickt und kontraproduktiv, in der dunklen Jahreszeit durch Quartiere zu ziehen und an den Türen zu klingeln». Ältere Leute, die allein zu Hause seien, würden dadurch verängstigt. Und für Familien mit Kindern, die um diese Zeit schon schlafen, seien Hausbesuche zu dieser Tageszeit ärgerlich.
Wesser schreibt dazu: «Unsere Erfahrung zeigt, dass die meisten Leute dem Besuch gegenüber aufgeschlossen sind und sich nicht belästigt und bedrängt fühlen.» Negative Rückmeldungen lägen im Promillebereich. Die Firma schule ihre Mitarbeiter intensiv für ihre Aufgabe.
Der Spendenmarkt ist hart umkämpft. 1,8 Milliarden Franken kommen nach Angaben der Stiftung Zewo in der Schweiz jedes Jahr in den Spendentopf. Mehrere Hundert Hilfswerke buhlen um dieses Geld. Für sie sind besonders langjährige Spender lukrativ. Denn nur sie bringen so viel Geld, dass genug übrigbleibt, um neben der Anwerbung die Hilfsprojekte zu finanzieren.
Auch das Schweizerische Rote Kreuz, Green Cross, die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi und der WWF nehmen die Dienste von Wesser in Anspruch. Für den WWF war das Unternehmen dieses Jahr von Juli bis Oktober im Kanton Aargau unterwegs und gewann 4000 neue Spender.
Das geht ins Geld. Die Umweltorganisation zahlte Wesser dafür rund eine halbe Million Franken. Jeder Neuspender kostet ein Hilfswerk somit zwischen 100 und 150 Franken. Wer beim WWF Mitglied wird, zahlt jedes Jahr einen Beitrag von 84 Franken. Es dauert also rund eineinhalb Jahre, bis die Kosten für Wesser gedeckt sind und das Spendengeld den Projekten zugutekommt.
Helvetas wirbt nicht mit Haustürgesprächen um neue Spender. Stattdessen beauftragt das Hilfswerk die Firma Corris in Zürich, die sich auf Standaktionen spezialisiert hat. Corris ist in der Schweiz Marktführerin bei Standaktionen – mit über 30 Non-Profit-Organisationen als Kunden.
Corris beschäftigt rund 1000 temporäre Angestellte. Diese stehen beispielsweise in Helvetas-Jacken an belebten Plätzen vor einem Stand mit Helvetas-Logo und sprechen Passanten an. Kaum jemand weiss, dass sie für ein Privatunternehmen arbeiten. Jedes Jahr gewinnt Helvetas nach eigenen Angaben auf diese Weise 5000 neue Spender. Dafür zahlt das Hilfswerk an Corris mindestens 790 Franken pro Tag und Mitarbeiter.
100 Franken für einen neuen Spender
Im Durchschnitt koste es 100 Franken, einen neuen Spender zu gewinnen, schreibt Helvetas dem K-Tipp. Standaktionen seien noch etwas teurer. «Dafür bleiben diese Spenderinnen und Spender Helvetas länger treu.» Sie würden durchschnittlich sechs Jahre lang jährlich 180 Franken spenden.