Ein Teufelskreis aus Lügen und Geldgier
Der Name Schenkkreis klingt wohltätig. Doch hinter dem Begriff, der vor allem Frauen anlockt, versteckt sich ein verbotenes Geld-Gewinnspiel. Wer mitmacht, riskiert den Verlust seines Einsatzes und hohe Strafen.
Inhalt
K-Tipp 19/2003
12.11.2003
Markus Kellenberger - mkellenberger@ktipp.ch
Der Berner Kurort, hoch über dem idyllischen Thunersee gelegen, ist für seine reine Luft bekannt - doch die ist zurzeit ziemlich dick. Mehr als ein Dutzend Frauen aus dem Dorf fürchten nämlich, dass bei ihnen die Polizei an der Türe klingeln könnte, denn sie alle halfen mit, einen so genannten Schenkkreis aufzubauen.
Ihre Angst ist berechtigt, denn die Polizei ermittelt in mehreren Kantonen gegen solche Spielgemeinschaften. Sie sind nämlich verboten (siehe Kasten «Busse od...
Der Berner Kurort, hoch über dem idyllischen Thunersee gelegen, ist für seine reine Luft bekannt - doch die ist zurzeit ziemlich dick. Mehr als ein Dutzend Frauen aus dem Dorf fürchten nämlich, dass bei ihnen die Polizei an der Türe klingeln könnte, denn sie alle halfen mit, einen so genannten Schenkkreis aufzubauen.
Ihre Angst ist berechtigt, denn die Polizei ermittelt in mehreren Kantonen gegen solche Spielgemeinschaften. Sie sind nämlich verboten (siehe Kasten «Busse oder Gefängnis»). Erst vorletzte Woche wurde in der Nähe der Stadt Bern ein Schenkkreis mit über 90 Mitgliedern ausgehoben, die Mehrheit weiblichen Geschlechts - und einige davon könnten der Polizei über das Treiben im Kurort einiges erzählen.
Am Spiel beteiligt sind Menschen aus allen Schichten. Im Oberländer Kurort sind es unter anderen Bio-Bäuerinnen, Alleinerziehende, Neuzuzügerinnen, Hausfrauen und die Leiterin des Tourismusbüros, die bereitwillig die Koordination übernahm. Jede von ihnen hoffte, dank des eigenen Schenkkreises und eines Einsatzes von 1000 Franken bald ein Extra-Sümmchen zu verdienen - konkret ging es um 8000 Franken (siehe Kasten).
«Mir wurde gesagt, das Ganze sei legal», sagt Trudy Sommer*, die kurz davor stand, im dörflichen Schenkkreis mitzumachen und neue zahlende Mitglieder zu werben. «Schliesslich geht es ja darum, jemandem etwas zu schenken», sagt sie, «von einem Gewinnspiel war nie die Rede.»
Sinn des Spiels wird raffiniert getarnt
Natürlich nicht. Wer einen Schenkkreis aufbaut, vermeidet es tunlichst, vom Geldverdienen zu sprechen. «Die unverhohlene Gier nach Geld gilt als unanständig», sagt die Pädagogin Martina Schäfer, die sich in ihren Seminarien mit Gewalt und Sekten auseinander setzt. In den knallhart nach dem Schneeballprinzip aufgebauten Schenkkreisen würde deshalb der eigentliche Sinn des Spiels mit dem «edlen Begriff des Schenkens verschleiert», sagt Schäfer. Und zwar so raffiniert, dass hauptsächlich Frauen darauf ansprechen und erst noch glauben, «nur dabei zu sein, um zu schenken und Geschenke zu erhalten».
Besonders fies findet der St. Galler Psychotherapeut Theodor Itten, dass Schenkkreis-Initiantinnen ihre eigene Geldgier zudem häufig als freundschaftlichen Akt im Sinne von Frauen helfen Frauen tarnen. «Darauf fallen viele herein», meint er, «und falls noch jemand Zweifel hat, werden diese mit pseudo-esoterischen Argumenten raffiniert ausgeräumt.»
Die dem K-Tipp vorliegenden Schenkkreis-Unterlagen, die als Fotokopien überall in der Schweiz kursieren, bestätigen das. Da ist von «Einbindung in die Gemeinschaft», «sozialem Engagement» und «Gruppenenergie», von «empfangenden, reifenden, dienenden und gebenden Frauen» die Rede, und selbstverständlich wird unermüdlich behauptet, Schenkkreise hätten mit den Schneeballsystemen nichts gemein.
Denise Lörtscher vom Bundesamt für Justiz: «Das ist alles Augenwischerei. Schenkkreise funktionieren ausschliesslich nach dem Schneeball- oder Pyramidenprinzip und sind darum illegal.» Die Urheberinnen und Urheber wissen um ihr verbotenes Tun. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass in vielen Schenkkreisen nur mit Vornamen und per SMS operiert wird, um möglichst unerkannt bleiben zu können.
Doch wo die Hoffnung auf ein tolles Taschengeld mit jener nach Freundschaft und Dazugehörigkeit kombiniert wird, blenden viele das Verbot aus. Für Hugo Stamm, Spezialist für religiöse Randgruppen beim Zürcher «Tages-Anzeiger», haben Schenkkreise darum schon fast «sektenhaften» Charakter. «Der Mensch ist enorm beeinflussbar», sagt er. «Die Sehnsucht nach Geld und Freundschaft kann den Verstand vollkommen ausschalten.»
Wohltätigkeit ist nur ein Deckmantel
Wie bei Trudy Sommer. Den laufenden Ermittlungen der Berner Kantonspolizei zum Trotz hält sie den Frauen die Treue. «Niemand wollte etwas Böses», sagt sie. Als Beweis dafür führt sie an, dass eine der Schenkkreis-Frauen, die behauptet, schon einmal beschenkt worden zu sein, ihr das Geld für den Eintritt in den hehren Kreis borgen wollte.
Gewaltforscherin Martina Schäfer überrascht das nicht. Für sie steckt dahinter aber nacktes Kalkül. «So wird der Eindruck vermittelt, es hätte bereits Beschenkte gegeben, und die Frau, die das Geld geborgt bekommt, wird aus lauter Dankbarkeit alles daransetzen, neue und zahlende Mitglieder anzuwerben.» Laut Schäfer ist das ein klassisches Beispiel für Gruppendruck unter Frauen, mit andern Worten: versteckte Gewalt. «Unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit werden so fast unmerklich für die Betroffenen Abhängigkeiten geschaffen.»
Ein weiterer Beweis dafür, dass Schenkkreise mit echter Freundschaft und Wohltätigkeit rein gar nichts zu tun haben.
*Name geändert
Eine Person kassiert - und 14 gehen immer leer aus
Ein Schenkkreis besteht aus 15 Personen. Eine davon, in der Regel die Initiantin, sitzt in der Mitte des Kreises oder - falls der Kreis als Pyramide dargestellt wird - an der Spitze der Hierarchie.
Die zweite Kreisbahn ist mit zwei, die dritte mit vier und die vierte mit acht Personen besetzt.
Die acht Mitspielen- den der vierten Kreisbahn «schenken» der Person in der Mitte Geld. Bei einem Einsatz von je 1000 Franken erhält die Person in der Mitte also 8000 Franken. Sie scheidet aus - und die Gruppe teilt sich in zwei neue Schenkkreise, wo-bei alle verbleibenden Mitspieler um jeweils eine Stufe vorrücken. Beide neuen Schenkkreise müssen wieder je acht Leute anwerben, die die jeweils äusserste Kreisbahn besetzen und Geld in die Mitte einzahlen. Die Zahl der Kreise und der Mitspielenden verdoppelt sich nach jeder Runde.
95 Prozent der Teilnehmenden gehen jeweils leer aus. Geld bekommt nur jede 15. Mitspielerin, nämlich diejenige, die in der Mitte eines Kreises sitzt. Eine neu einsteigende Person muss mindestens drei Runden mitspielen, um in die Mitte eines Kreises vorzurücken und Geld zu bekommen.
Die Aussicht auf Gewinn ist aber gering, denn wie alle Schneeball- oder Pyramidensysteme brechen die Schenkkreise schnell zusammen, weil ihnen die Teilnehmer ausgehen (siehe Grafik).
Es droht Busse oder Gefängnis
Bei Schenkkreisen geht es nur vordergründig um Schenkungen im eigentlichen Sinn des Wortes. Egal, welch schönfärberische Umschreibungen verwendet werden, sie sind reine Geld-Gewinnspiele, die nach dem Schneeball- oder Pyramidensystem aufgebaut sind. Das ist laut Lotteriegesetz verboten und wird von Amtes wegen verfolgt.
Wer bei einem Schenkkreis mitmacht, muss mit einer Busse bis zu 10 000 Franken oder Gefängnis rechnen. Ein allfälliger Gewinn wird von der Strafbehörde beschlagnahmt.
Fliegt ein Schenkkreis auf, müssen auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus früheren Spielrunden mit einer Strafverfolgung rechnen.
Sind Sie auch schon auf ein Angebot reingefallen, das nach dem Schneeballsystem aufgebaut war? Antworten Sie bitte auf www.ktipp.ch.