Ein unerhörtes Geschäft
7500 Franken oder weniger als 1000 Franken: Die Preisdifferenzen für Hörgeräte sind enorm und nicht begründbar. Denn die Herstellungskosten für ein Hörgerät betragen lediglich um die 50 Franken.
Inhalt
K-Tipp 15/2013
18.09.2013
Letzte Aktualisierung:
20.11.2019
Max Fischer
Der 80-jährige K-Tipp-Leser Manuel Bogart (Name geändert) aus Wil SG ist seit 20 Jahren auf ein Hörgerät angewiesen. Dieses Frühjahr suchte er für einen neuen Apparat die örtliche Beltone-Filiale auf. Dort offerierte ihm der Hörgeräteakustiker für beide Ohren ein Cassia Micro der Marke Phonak für je 3190 Franken. Dazu kam noch ein Silber-Comfort-Dienstleistungspaket für 780 Franken. Kosten total: 7160 Franken.
Der 80-jährige K-Tipp-Leser Manuel Bogart (Name geändert) aus Wil SG ist seit 20 Jahren auf ein Hörgerät angewiesen. Dieses Frühjahr suchte er für einen neuen Apparat die örtliche Beltone-Filiale auf. Dort offerierte ihm der Hörgeräteakustiker für beide Ohren ein Cassia Micro der Marke Phonak für je 3190 Franken. Dazu kam noch ein Silber-Comfort-Dienstleistungspaket für 780 Franken. Kosten total: 7160 Franken.
Dann musste Bogart staunen: Ohne dass er nachgefragt hatte, offerierte ihm der Akustiker einen Rabatt von 1000 Franken. Bogart wurde skeptisch und holte eine Gegenofferte bei der Fielmann-Filiale in Wil ein. Als er sie sah, traute er seinen Augen nicht: Für das gleiche Gerät verlangte Fielmann nur je 1120 Franken. Dazu kamen je zwei Ohrpassstücke zu je rund 80 Franken und ein Fielmann-Service-Paket Premium für 1083 Franken. Totalkosten hier: 3770 Franken oder fast 2400 Franken weniger als bei Beltone.
Der K-Tipp wollte es genau wissen und verlangte für unterschiedliche Hörgeräte bei Hörgeräteakustikern in der ganzen Schweiz Offerten. Resultat: Für beide Ohren liegt die riesige Preisspanne zwischen 3600 und 7500 Franken.
Günstige Hersteller Sonetik und Bommer
Dass es auch günstiger geht, beweist der Schweizer Hörgerätehersteller Sonetik. Pro Ohr kostet ein Gerät 495 Franken. «Wir verkaufen diese über rund 250 Apotheken und Drogerien», sagt Geschäftsführer Markus Müllner. Seine Kundschaft sind Leute mit leichten bis mittleren altersbedingten Hörstörungen: «Das sind 75 Prozent aller Menschen mit Hörstörungen», so Müllner.
Erfolg mit seinem Günstigmodell hat auch der Hörgeräte-Pionier Paul Bommer. Er verkauft über Apotheken und im Direktvertrieb ein Gerät unter der Eigenmarke Bommer für 395 Franken pro Ohr.
Die grossen Preisdifferenzen sind nicht technisch begründbar. Die Geräte bestehen aus einem oder zwei Mikrofonen, einem Hörer, einem Verstärker sowie einem kleinen Plastikgehäuse und einem Schläuchchen. Der Mikrochip wird in Asien in Grossserien für etwa 4 Franken pro Stück produziert. Der Gesamtwert eines Hörgeräts beträgt nicht einmal 50 Franken.
Die extrem hohen Preise begründet die Branche mit dem Betreuungsaufwand. Lisbeth Stutz von der Beltone-Filiale in Hochdorf LU sagt: «Bei einem Akustiker werden zuerst ein Hörtest und ein Sprachtest gemacht.» Dann erhalte der Kunde zwei auf seine Bedürfnisse eingestellte Hörgeräte. «Diese kann er zwei Wochen ausprobieren. Dann erhält er zwei weitere Geräte zum Test.» Insgesamt komme ein Kunde sechs- bis zehnmal für jeweils eine Stunde vorbei und teste zwei bis vier Geräte.
Anders läuft es beim Kauf eines Hörgeräts in der Apotheke: Dort verlässt der Kunde nach einem Besuch und in weniger als einer Stunde mit zwei angepassten Hörgeräten das Geschäft. Sonetik-Chef Müllner wehrt sich gegen den Vorwurf der Akustiker, das sei unseriös: «Wir führen in den Apotheken mit von uns geschultem Personal auf wissenschaftlicher Basis einen Hörtest durch.» An jedem Ohr würden acht Frequenzen gemessen. Die programmierten Sonetik-Geräte decken laut Müllner bei Menschen mit Altersschwerhörigkeit fast die vollständige Palette ab. Er verweist auf einen Test der Fachhochschule Lübeck: Diese hat ein Sonetik-Hörgerät und ein 2500 Euro teures Referenzgerät verglichen. Fazit: «Hinsichtlich Leistung und Nutzen wurde das Sonetik-Hörgerät als vergleichbar wahrgenommen.»
Günstige Angebote auf Nachfrage
Ganz anderer Meinung ist der Hörgeräteakustikmeister Oliver Dannenberg von der Hörberatung Worb BE: «Anpassbare Hörgeräte kann man bei Bedarf über fünf bis acht Jahre immer wieder auf den aktuellen Hörverlust einstellen, Hörgeräte mit einer fixen Einstellung nicht.» Müllner entgegnet: «Wir haben vier Geräte mit je vier Stufen und total 16 Profilen – diese genügen bei altersbedingten Hörproblemen in den meisten Fällen.»
Dorothe Veraguth, leitende Ärztin an der Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie an der Uni Zürich, unterscheidet je nach Hörproblem: Da der Hörverlust schleichend sei, lohne sich der Gang zum Hörgeräteakustiker für Leute, die schon ab dem 50. Lebensjahr nicht mehr gut hören. «Wer aber erst im höheren Alter langsam Hörprobleme hat, fährt mit den Günstigangeboten in vielen Fällen gut.»
Günstige Angbote gibts auch bei den Hörgeräteakustikern. Als der K-Tipp nach der Offertrunde die Preise in Frage stellte, schrieb Akustiker Dominik Sixt: «In der Hörberatung Basel bieten wir auch einfache Hörgeräte mit minimaler Dienstleistung an. Diese Geräte sind ab 395 Franken plus Mehrwertsteuer erhältlich.»
Veraguth rät: «Vor dem Kauf sollten die Leute ihren Arzt bitten, ihnen in die Ohren zu schauen.» Denn für die Hörbeeinträchtigung könne auch ein Ohrpfropfen verantwortlich sein.
So viel zahlen IV und AHV
Die IV zahlt heute alle sechs Jahre 840 Franken für ein Hörgerät oder 1650 Franken für zwei Apparate, inklusive Anpassung und Serviceleistungen durch den Akustiker. AHV-Bezüger erhalten nach einer entsprechenden Diagnose alle fünf Jahre eine Pauschale von 630 Franken. Voraussetzung ist, dass ein Facharzt den Hörverlust diagnostiziert hat. Laut Ursula Schneiter vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) können Bezüger von Ergänzungsleistungen dort noch weitere 210 Franken beantragen.
Wer sich für ein günstiges Gerät entscheidet, kann die Differenz behalten. Wer ein Luxusgerät wünscht, muss den Mehrbetrag selber übernehmen. Hörbehinderte können Gerät und Händler frei wählen und die Geräte auch im Ausland kaufen. Das Hörgerät muss aber auf der Liste der zugelassenen Geräte des BSV stehen (www.metas.ch). Auch die Günstiggeräte von Sonetik und Bommer stehen auf dieser Liste.