Ein verpönter Lebensretter
Airbags am Töff und in der Jacke würden bei einem Crash die Überlebenschancen der Töfffahrer verbessern. Doch die Branche will nicht so recht - und ihre Kunden auch nicht.
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K-Tipp 13/2004
25.08.2004
Markus Kellenberger - mkellenberger@ktipp.ch
An über zwei Dritteln aller Töffunfälle sind Autofahrer schuld. Sie übersehen das Motorrad oder schätzen seine Geschwindigkeit falsch ein. Die meisten Unfälle passieren innerorts auf Kreuzungen und wenn Autos links abbiegen. Für die Töfffahrer geht es dabei jedes Mal ums Überleben - und ihre Chancen werden laufend schlechter.
Grund: Immer mehr Autos wie Vans, Gelände- oder Lieferwagen sind hoch gebaut. Der Töfffahrer wird beim Zusammenstoss nicht mehr über die Motorhau...
An über zwei Dritteln aller Töffunfälle sind Autofahrer schuld. Sie übersehen das Motorrad oder schätzen seine Geschwindigkeit falsch ein. Die meisten Unfälle passieren innerorts auf Kreuzungen und wenn Autos links abbiegen. Für die Töfffahrer geht es dabei jedes Mal ums Überleben - und ihre Chancen werden laufend schlechter.
Grund: Immer mehr Autos wie Vans, Gelände- oder Lieferwagen sind hoch gebaut. Der Töfffahrer wird beim Zusammenstoss nicht mehr über die Motorhaube oder das Dach katapultiert, sondern schlägt, meist Kopf voran, mit voller Wucht in die Karosserie ein. Das heisst: Im kurzen Moment des Zusammenpralls wird er mit dem bis zu 60fachen seines Körpergewichts zusammengestaucht. Genick, Wirbelsäule und innere Organe halten dieser Belastung kaum stand. Ihr Leben riskieren aber auch die Autoinsassen; für sie wird der Töfffahrer zum Geschoss. Crash-Tests der Winterthur-Versicherung belegen das eindrücklich.
«Ein Airbag auf dem Tank des Motorrades wäre die Rettung», sagt Anton Brunner, Unfallforscher der Winterthur. Er würde den Töfffahrer im Moment des Aufpralls in die Höhe und somit über das Auto schleudern. Das wäre sicher nicht angenehm, aber für alle Beteiligten weniger gefährlich als der Kontakt mit dem harten Blech.
Verschiedene Motorradhersteller tüfteln seit einigen Jahren an einem solchen Airbag - aber serienreif ist noch keiner. Die Argumente, die dafür ins Feld geführt werden, sind vorwiegend technischer Art: Der Auslösemechanismus bereite Schwierigkeiten, heisst es etwa, oder wegen der unterschiedlichen Tankform müsse für jedes Motorrad ein eigenes Modell entwickelt werden.
Airbag? - «Nur etwas für Weicheier»
Für Anton Brunner sind das alles Ausreden. «Bereits 1987 haben wir einen einfachen Töff-Airbag entwickelt und erfolgreich bei Crash-Tests eingesetzt», sagt er. Dieses Modell liesse sich spielend verbessern und auf praktisch jedem Töff einsetzen. Der Motorradindustrie macht er darum einen kollektiven Vorwurf: «Sie will nicht.»
Die Gründe dafür ortet er bei der «alten Garde» der Motorradfahrer. Die habe in der Branche leider noch immer das Sagen und boykottiere jeden Versuch, Motorräder sicherer zu machen, so lange wie nur möglich. Denn: «Aus ihrer Sicht ist Sicherheit, die übers Helm- tragen hinausgeht, nur etwas für Weicheier», meint Brunner spitz.
Ein Indiz dafür ist für ihn zum Beispiel die harzige Einführung von Anti-Blockier-Bremssystemen (ABS) für Töffs. Es habe Jahre gedauert, bis einige Hersteller endlich Modelle mit ABS anboten - und lange wollte die kaum jemand kaufen. Laut Brunner wäre das «unter den harten Jungs dem Eingeständnis gleichgekommen, die richtige Bremstechnik nicht zu beherrschen».
Doch die hat es in sich. Fakt ist: Bei einer echten Notbremsung ohne ABS stürzt praktisch jeder Motorradfahrer - und kann einem Hindernis dann nicht mehr ausweichen. Das bestätigt auch Ex-Rennfahrer und Bremskurs-Leiter Jacques Cornu.
Aufblasbare Jacken als Alternative
Da tut es gut zu wissen, dass die Sicherheitstechnik auch für den Fall eines Falles Fortschritte gemacht hat und sich die Airbag-Technik zunutze macht. Allerdings nicht am Motorrad, sondern an der Kleidung des Fahrers. Erst seit kurzem bieten einzelne Hersteller, darunter die Schweizer Marke IXS, Töffjacken an, die bei einem Sturz innert Sekundenbruchteilen Luftkissen aufblasen. Diese schützen heikle Körperteile wie Nacken, Rücken und Schlüsselbeine bis zu 40 Prozent besser als die meist verwendeten Protektoren aus Schaumstoff.
Ein Verkaufsrenner ist die Airbag-Jacke trotzdem nicht. Das könnte am hohen Preis der Jacke liegen. Mit rund 1600 Franken kostet sie fast doppelt so viel wie eine teure herkömmliche Jacke, doch das soll sich laut Markus Egli von IXS in naher Zukunft ändern.
Schuld daran, dass Töfffahrer für ihre Sicherheit ungern Geld ausgeben, ist zu einem guten Teil aber auch die von Unfallforscher Anton Brunner kritisierte «alte Garde». Dazu zählt offenbar auch die vom K-Tipp angefragte Redaktion des führenden Schweizer Motorradheftes «Motosport». Sie hält - ganz im Stile harter Jungs - weiche Luftkissen für weitgehend überflüssig.
Sind Sie der Ansicht, dass Airbags für Motorräder obligatorisch sein sollten? Antworten Sie bitte auf www.ktipp.ch.