Geschwächte Rinder, die sich kaum mehr auf den Beinen halten können, ganze Haufen von Tierkadavern: Die schockierenden Bilder der BSE-Krise in den 1990er-Jahren sind noch immer gegenwärtig.
Tiermehl führte damals zum Ausbruch des «Rinderwahnsinns» – kurz BSE. In der Schweiz erkrankten über 460 Tiere daran. Der BSE-Erreger kann auch auf Menschen übergreifen. Er verursacht die meist tödlich verlaufende Creutzfeld-Jakob-Krankheit.
Im Jahr 2000 verbot der Bundesrat, Tiermehl zu verfüttern, um die Weiterverbreitung von BSE zu stoppen. Das hatte zur Folge, dass in der Schweiz jedes Jahr 155 000 Tonnen Schlachtabfälle vernichtet werden mussten, die vorher zu Tiermehl verarbeitet wurden. Die Bundeskasse zahlte den Verbrennungsbetrieben dafür rund 48 Millionen Franken. Als Futterersatz fürs Tiermehl wird seither Soja importiert.
Knapp 14 Jahre später soll dieses Verbot fallen – obwohl es damals unbestritten war und bis heute im ganzen EU-Raum gilt. Hinter der Forderung nach Aufhebung stehen die Vertreter der Futtermittelindustrie. SVP-Nationalrat und Tierfutterfabrikant Hansjörg Knecht will mit einem parlamentarischen Vorstoss erreichen, dass Geflügel und Schweine in der Schweiz wieder mit Tiermehl gefüttert werden dürfen. Der Bundesrat schliesst eine Lockerung nicht aus – will aber daran festhalten, dass Schlachtabfälle von Rindern nicht zu Tiermehl verarbeitet werden und Rinder kein Tiermehl fressen. Zudem soll Kannibalismus weiterhin untersagt sein: Geflügel soll nur Mehl aus Schlachtabfällen von Schweinen erhalten und umgekehrt. Für BSE-Experte Adriano Aguzzi von der Uni Zürich ist dieses Verbot zwingend: «Mit Kannibalismus werden die für BSE verantwortlichen Prionen verbreitet.»
Aguzzi hält trotzdem gar nichts von der geforderten Wiedereinführung der Verfütterung von Tiermehl. Im Gespräch mit dem K-Tipp warnt er vor leichtsinnigem Handeln. Er findet die Wiedereinführung «eine extrem schlechte Idee»
«Das ist blanker Wahnsinn»
Professor Aguzzi, der Nationalrat möchte das Verfüttern von Tiermehl an Schweine und Geflügel wieder erlauben. Was halten Sie davon?
Adriano Aguzzi: Das ist blanker Wahnsinn! Ich staune, wie kurz das institutionelle Gedächtnis ist – vor allem wenn wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Beim Verfütterungsverbot geht es schliesslich um Menschenleben.
Die BSE-Krise ist knapp 14 Jahre her, das Risiko scheint gebannt.
Nur in den Medien, nicht in der Realität. In Grossbritannien ist noch heute jede zweitausendste Person mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheitsvariante – dem menschlichen BSE – infiziert. Die Rinder werden nicht mehr krank, aber sehr viele Menschen sind weiterhin in Gefahr.
Tiermehl soll nur Schweinen und Geflügel verfüttert werden. Ist BSE bei diesen Tieren möglich?
Bei Schweinen ist BSE unwahrscheinlich, bei Geflügel ist die Krankheit vermutlich unmöglich. Das Hauptproblem bei der Verfütterung von Tiermehl liegt aber woanders: Die Verarbeitung müsste strikt getrennt werden.
Wo liegen die Gefahren?
Bei den Rindern, die in England nach dem Tiermehlverbot geboren und trotzdem an BSE erkrankt sind, zeigt sich: Niemand nimmt es wirklich ernst mit der Trennung bei der Verarbeitung. Und sie lässt sich gar nicht kontrollieren. Darum ist die Wiedereinführung eine extrem schlechte Idee.
Die Futtermittelfabrikanten sagen, durch Erhitzung der Schlachtabfälle auf 130 Grad sei die Gefahr beim Endprodukt heute gleich null.
Das haben wir vor 20 Jahren schon mal gehört. Wie es dann weiterging, ist bekannt. Es ist bis heute unklar, ob die Sterilisation bei 130 Grad wirklich alle Prionen zuverlässig abtötet. Prionen können sogar bei 360 Grad überleben, wenn während der Sterilisation nicht genug Wassermoleküle vorhanden sind.
Pro Jahr werden über 155 000 Tonnen Schlachtabfälle vernichtet. Ist das nicht Verschwendung?
Natürlich, auch ich bin darüber nicht glücklich. Die Proteine sind gut für die Rinder. Aber das Risiko ist einfach zu hoch.
Wäre denn ein erneuter Ausbruch von BSE möglich?
Da habe ich keine Zweifel. Die Diagnostik ist nach wie vor unsicher. Wir müssen davon ausgehen, dass prionenhaltiges Material zwangsläufig in die Futterkette gelangt.
Was würden Sie der Tiermehl-Lobby sagen, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen?
Wenn man eine zweite BSE-Krise will, dann ist das erneute Verfüttern von Tiermehl genau der richtige Weg.