Der 49-jährige Marcel Mauch leitet seit drei Jahren das Versteigerungslokal der Stadt Zürich, das grösste in der Schweiz. «Heute werden wir 6000 bis 7000 Franken Umsatz machen», schätzt der erfahrene Versteigerer. Es ist kurz vor 14 Uhr an einem sonnigen Donnerstagnachmittag Ende September. Vor dem Zürcher Gantlokal haben sich rund 70 Personen versammelt. «Gant» ist die veraltete, in der Schweiz aber immer noch gebräuchliche Bezeichnung für eine öffentliche Versteigerung.
Vor allem Männer sind gekommen, die meisten über 50 Jahre alt. Darunter sind viele Händler, die Waren für den Flohmarkt oder ihr Trödlergeschäft suchen. Niemand scheint aus purer Neugier hier zu sein: «Man braucht eine Basarmentalität», sagt Gantleiter Mauch, der fast alle Anwesenden persönlich kennt. Mit den meisten ist er per Du.
Auktionsgut vor der Gant auf der Website
Eine Dreiviertelstunde vor Beginn der Gant werden die ersten Interessenten in den Saal gelassen – nach Prüfung ihres Covidzertifikats. Jetzt können sie die Objekte besichtigen, die heute versteigert werden. «Es darf nichts angefasst werden!», heisst es auf einem Plakat beim Eingang. Und: «Es wird nur mit den Augen geschaut!» Marcel Mauch erklärt die strengen Anweisungen so: «Wir müssen aufpassen, dass bei der Besichtigung nichts gestohlen wird.» Das sei schon vorgekommen. Uhren, Schmuck, Silberbesteck, Münzen und andere Wertgegenstände sind daher in Glasvitrinen eingeschlossen.
Zusätzlich kommen heute zur Versteigerung: Wecker, Schuhe, Feuerzeuge, Taschenmesser, Büromaterial, Feldstecher, Staubsauger, Besteck, Sonnenbrillen, Drucker, Legos, Wanduhren, Fernsehgeräte, Handyhüllen, Weinflaschen, eine Drohne und vieles mehr. 148 Positionen sind es insgesamt.
Angaben und Fotos aller Gegenstände publizierte das Betreibungsamt vor der Versteigerung auf seiner Website. Manche werden einzeln, manche zusammen mit mehreren anderen angeboten. Sie stammen aus Pfändungen und Konkursverfahren oder aus privaten Nachlässen. Oder sie wurden von der Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren beschlagnahmt.
Wer etwas kauft, muss bar zahlen
Punkt 14 Uhr bittet Marcel Mauch die Anwesenden, auf den roten Stühlen im Saal Platz zu nehmen. Er erklärt kurz die Steigerungsbedingungen: Es gibt keine Garantie. Der Zuschlag wird nach dreimaligem Aufruf an den Meistbietenden erteilt. Und der Kaufpreis ist sofort zu bezahlen – und zwar in bar.
Als Erstes zeigt Gantleiter Mauch eine Herrenuhr Rado Hyper Chrom, die als Einzige an der heutigen Gant einen Mindestpreis hat. Die verlangten 1200 Franken will niemand bieten. «Wussten wir doch, dass die Uhr zu teuer ist!», ruft ein Händler. Das Publikum lacht, Marcel Mauch ebenfalls. Er kontert: «Sag mir doch bitte das nächste Mal die Lottozahlen voraus, wenn du schon alles besser weisst!» Erneut Gelächter im Saal.
Danach ist ein «Posten Modeschmuck» an der Reihe, der nach vier Angeboten für 45 Franken an einen Händler geht. Dann folgen über 40 Positionen mit Uhren: Damen- und Herrenuhren, Taschen-, Sammel- und Markenuhren. Darunter ist eine Rado Jubilee mit vier Brillanten, die für 470 Franken ersteigert wird – heute das höchste Angebot. Für die anderen Uhren bieten die Händler zwischen 25 Franken und 180 Franken.
Marcel Mauch ist schnell. Die Anwesenden wissen, was sie ersteigern wollen. Es ist erst kurz vor 15 Uhr, und der Gantleiter ruft bereits Position Nummer 48 aus: «Ein Dolch und ein Taschenmesser.» Diese Ware ist begehrt, denn die Angebote folgen nun Schlag auf Schlag: «10 Franken!», «15 Franken!», «20 Franken!», «30 Franken!», ruft Mauch – bis bei 140 Franken niemand mehr bietet und Mauch zum wiederholten Mal rufen kann: «Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten! Danke schön!»
Nach zwei Feldstechern, die für 60 Franken weggehen, ruft Gantleiter Mauch «Position 107» aus, eine etwas seltsam modellierte Vogelskulptur: «Dieses Tier sieht aus, als sei es mit 300 Stundenkilometern durch die Mikrowelle geflogen.» Gelächter im Saal. Der bemitleidenswerte Vogel findet für 25 Franken einen Abnehmer.
Spielsachen gibts für einen Franken
Gegen Ende der Gant in Zürich gehen viele Gegenstände für wenig Geld weg: eine Ray-Ban-Sonnenbrille für 50 Franken, mehrere Koffer für 5 Franken und Spielsachen für nur einen Franken. Kurz vor 16 Uhr wird die Position 148 – «Besteck und Münzen» – für 25 Franken versteigert.
Dann ist Schluss: Marcel Mauch bedankt sich beim Publikum, die Händler verlassen den Saal. Der Gantleiter rechnet mit seinen Mitarbeitern die heutigen Einnahmen ab. Das Resultat freut ihn: «6892 Franken und 30 Rappen Umsatz. Nicht schlecht geschätzt!», sagt Mauch mit einem Lächeln im Gesicht.
Versteigerung: Das sollten Interessenten beachten
- Informieren Sie sich vor der Versteigerung über die Gegenstände, die versteigert werden. Das Betreibungsamt Zürich 5 schaltet auf www.bazuerich5.ch/gantlokal unter «Die nächste Gant» eine Liste sämtlicher Objekte samt Fotos auf.
- Suchen Sie auf Plattformen wie Ricardo.ch und Ebay.ch nach vergleichbaren Gegenständen und deren Preisen.
- Besichtigten Sie die Gegenstände vor der Versteigerung. Denn sie werden ohne Garantie verkauft. Eine Besichtigung ist im Zürcher Gantlokal eine halbe Stunde vor Versteigerungsbeginn möglich.
- Setzen Sie sich eine fixe Preislimite. So vermeiden Sie, mehr für einen Gegenstand zu bieten, als Sie eigentlich beabsichtigten.
Betreibungsämter versteigern auch im Internet
Seit drei Jahren versteigert das Betreibungsamt Zürich 5 Autos, Uhren, Schmuck und andere Gegenstände auch über seine Internetplattform eGant, zu finden über www.egant.bazuerich5.ch. Teilnehmen kann, wer volljährig ist und sich registriert hat. Eine Versteigerung dauert zehn Tage. Angebote kann man auch automatisch über einen Biet-Agenten abgeben.
Ein ähnliches Angebot gibt es seit Anfang Jahr bei den Berner Betreibungs- und Konkursämtern (www.be.ch/auktionen). Bis heute wurden dort über 400 Auktionen mit einem Gesamtumsatz von rund 750 000 Franken durchgeführt.