Während mehr als zehn Jahren zahlte Judith Mettler (Name geändert) aus Uetikon am See ZH die Reiseversicherung «Multi Trip Clever» der Europäischen Reiseversicherung (ERV). Die Prämie kostete fast 200 Franken pro Jahr. Ende 2017 hätte sie die Versicherung auf einer einwöchigen Gruppenreise in Andalusien brauchen können. Sie bezahlte für den Trip rund 2500 Franken. Schon am Anreisetag bekam sie Fieber. Die nächsten zwei Tage verbrachte sie im Bett statt auf Ausflügen. Die fiebersenkenden Mittel nützten nichts.
Versicherung wollte nur 400 Franken zahlen
Ein pensionierter Hausarzt in der Reisegruppe riet ihr, nach Hause zu reisen. Sie teilte das ihrer Reiseversicherung mit und buchte einen Rückflug. Zu Hause stellte die Hausärztin eine Bindehautentzündung fest und verschrieb ihr Antibiotika.
Mettler verlangte von der Reiseversicherung die Erstattung der Rückreisekosten von 430 Franken und zusätzlich knapp 1400 Franken für die vier verpassten Reisetage. Die ERV wollte jedoch nur 400 Franken bezahlen. Begründung: Der Anruf von Mettler sei nicht bei der ERV-Alarmzentrale, sondern bei einer anderen Versicherung gelandet. Gemäss Kleingedrucktem ist die Leistung auf 400 Franken beschränkt, wenn die versicherte Person eine Rückreise nicht in Absprache mit der ERV antrete.
Thomas Tanner, Geschäftsleiter der ERV, lenkte nach Intervention des K-Tipp ein und übernahm die Kosten von 1800 Franken. Es sei unklar gewesen, wer konkret von wem informiert worden sei.
Laut Vito Roberto, Reiserechtsspezialist und Professor für Privatrecht an der Uni St. Gallen, kann die ERV die Leistungen, gestützt auf das Kleingedruckte, nicht auf 400 Franken beschränken. Denn die Klausel sei unklar formuliert, und die Versicherten seien deshalb nicht verpflichtet, vor einer Rückreise anzurufen. Bei Mettler komme hinzu, dass sie erwiesenermassen bei der ERV-Alarmzentrale angerufen habe.
Jahresversicherung kommt oft günstiger
Der Fall Mettler zeigt exemplarisch: Auf Reiseversicherungen kann man sich nicht verlassen. Deshalb sollte man prüfen, ob man sie überhaupt braucht.
Generell gilt: Reiseversicherungen kann man für eine einzelne Reise abschliessen oder für ein ganzes Jahr. Die Prämien für einzelne Reisen sind in der Regel so hoch, dass eine Jahres-Reiseversicherung ab zwei Reisen pro Jahr günstiger kommt. Die Prämien für Jahres-Reiseversicherungen bewegen sich von 65 bis 178 Franken für Einzelpersonen und von 124 bis 236 Franken für Familien.
Diese Risiken lassen sich bei Reisen versichern:
Annullierungskosten: Die Versicherung ersetzt Kosten, die entstehen, wenn man eine Reise beispielsweise wegen Krankheit, Unfall oder Todesfall in der Familie nicht antreten kann. Wer günstige Flüge und stornierbare Hotelbuchungen wählt, hat aber fast keine Annullationskosten. Eine solche Versicherung ist höchstens bei teuren Pauschalreisen sinnvoll.
Heilungskosten: Die Versicherung deckt die Arzt- und Spitalrechnungen im Ausland. Wer in der Schweiz wohnt, ist aber schon durch die obligatorische Grundversicherung der Krankenkasse und allenfalls die betriebliche Unfallversicherung im Ausland sehr gut versichert. Beide vergüten die Kosten medizinischer Behandlungen im Ausland bis maximal zum Doppelten des Betrags wie in der Schweiz. Angesichts der sehr hohen Schweizer Tarife ist für das Doppelte auf der ganzen Welt eine gute Behandlung möglich.
Reisezwischenfallversicherung: Die Versicherung kommt für die Transportkosten für die frühzeitige Rückreise in die Schweiz auf, wenn etwa jemand ernsthaft erkrankt oder verunfallt. Normale frühzeitige Rückflüge sind aber nicht besonders teuer. Und wer eine Krankenkassen-Zusatzversicherung hat, ist allenfalls bereits versichert. Denn diese übernimmt je nach Police einen Grossteil der Rettungs-, Transport- und Rückführungskosten. Über den Arbeitgeber Unfallversicherte erhalten bei Unfällen die Rettungs- und Bergungskosten und die Reise- und Transportkosten in der Schweiz unbeschränkt vergütet. Im Ausland sind bis zu 29 640 Franken gedeckt.
Die Grundversicherung der Krankenkasse übernimmt für einen Transport ins Spital nur 50 Prozent der Kosten, maximal 500 Franken pro Jahr. Das gilt fürs In- und Ausland. Für Rettungen aus einer lebensbedrohlichen Lage übernimmt die Grundversicherung in der Schweiz bis zu 5000 Franken.
Aber auch Reiseversicherungen zahlen nur beschränkt an Such- und Rettungskosten: So bezahlt die «Multi Trip Clever» der Europäischen Reiseversicherung höchstens 10 000 Franken. Unbeschränkt gedeckt sind die Bergungskosten hingegen bei CSS «Balance», Generali «Assistance» oder Mobiliar «Classic» und «Jeunesse».
Kosten für eine frühzeitige Rückreise in die Schweiz sind bei allen Reiseversicherungen unbegrenzt versichert.
Gepäckversicherung: Der Verlust des Gepäcks ist bei der Basisvariante der Reiseversicherungen in der Regel nicht gedeckt. «Diebstahl auswärts» ist aber in der Regel bereits in der Hausratversicherung enthalten. Fluggesellschaften müssen bei verlorenem Gepäck bis zu 1600 Franken Schadenersatz bezahlen.