Seit 1998 gelten in der EU und der Schweiz die gleichen Grenzwerte für die Strahlung, die von einem Handy ausgehen darf. Die Behörden überlassen die Kontrolle weitgehend den Herstellern. Diese deklarieren die Strahlung oft nicht korrekt, wie die französische Organisation Alerte Phonegate schon im Jahr 2015 feststellte.
Auch regelmässige Untersuchungen der französischen Strahlenbehörde belegen, dass Smartphones die Grenzwerte immer wieder überschreiten. Die Behörde testet seit 2012 mit Stichproben die Strahlung von Mobiltelefonen. Gemessen wird dabei die sogenannte spezifische Absorptionsrate (SAR). Diese zeigt, wie viel Strahlung der Körper beim Verwenden des Geräts aufnimmt.
Zu hohe Werte bei fast 40 Handys
Überprüft wird der SAR-Wert jeweils für drei Situationen: beim Telefonieren am Kopf, beim Tragen in der Hosentasche und beim Halten in der Hand. Laut Gesetz darf der SAR-Wert beim Telefonieren am Kopf und beim Tragen in der Hosentasche nicht mehr als 2 Watt pro Kilo Körpergewebe betragen. Wer sein Handy in der Hand hält, darf einem SAR-Wert von höchstens 4 Watt pro Kilo ausgesetzt sein.
Von 828 untersuchten Handys haben in den vergangenen elf Jahren insgesamt 38 Geräte die gesetzlichen Grenzwerte nicht eingehalten. 25 der 38 Handys waren oder sind auch in der Schweiz erhältlich (siehe Kasten). Beispiele:
- Das Modell «Redmi Note 5» von Xiaomi überschritt den Grenzwert beim Telefonieren am Kopf. Dort massen die Experten einen SAR-Wert von 2,08 Watt pro Kilo.
- Bei den meisten der anderen 37 Modelle war der Strahlenwert beim Tragen in der Hosentasche zu hoch: So erreichte das «Nokia 7 Plus» bei dieser Messung 3,48 Watt. Damit überschritt dieses Modell die gesetzlichen Vorgaben um das Anderthalbfache.
Fällt ein Gerät bei der französischen Strahlenbehörde durch, muss es der Hersteller überarbeiten oder vom Markt nehmen. Xiaomi und Nokia schafften es, die Strahlenbelastung deutlich zu senken.
Es ist umstritten, ob die offiziellen Grenzwerte angemessen sind. Diese hat die Internationale Kommission für nicht ionisierende Strahlung festgelegt. Die Kommission gilt als industrienah, wie 2020 ein Bericht von zwei EU-Parlamentariern zeigte. Demnach wurden Studien der Kommissionsmitglieder oft von Handyherstellern und Telecomfirmen finanziert.
Die Kommission schreibt dazu, für ihre Mitglieder würden strikte Regeln für Verbindungen zur Industrie gelten. Eine externe Finanzierung von Studien sei nur erlaubt, wenn die wis-senschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet sei. Persönliche Zahlungen seien verboten.
Gericht: Telefonieren verursachte Tumor
Der italienische Anwalt Stefano Bertone hält nicht viel von den offiziellen Grenzwerten für Handystrahlung. Er hat im Auftrag der Südtiroler Verbraucherorganisation einen italienischen Arbeitnehmer vor Gericht vertreten: Dieser musste an seinem Arbeitsplatz täglich zweieinhalb Stunden lang mit einem Handy telefonieren. 2011 stellten die Ärzte bei ihm einen Gehirntumor fest. Bertone kritisiert: «Die tatsächliche Nutzung des Handys erfolgt nie unter den Bedingungen, unter denen die Behörden Tests durchführen.» Zudem gehe der SAR-Wert von einer nur kurzfristigen Erwärmung des Körpers beim Telefonieren aus. Krebs könne aber vor allem nach langer, häufiger Benutzung des Handys entstehen.
In seinem Urteil zum Fall des italienischen Angestellten sah es das Appellationsgericht Turin als erwiesen an, dass der Tumor durch das Telefonieren entstanden war, und anerkannte dies als Berufskrankheit. Daher muss die Unfallversicherung dem Betroffenen lebenslang eine monatliche Rente von 350 Euro zahlen. Das Turiner Gericht schätzt in seinem Urteil, dass die Handys des Klägers bis zu 50 Mal stärker strahlten als modernere Geräte.
In Italien stellten Gerichte schon früher einen kausalen Zusammenhang zwischen Tumoren und der Handystrahlung fest. So entschied 2017 das Arbeitsgericht in Ivrea, dass der Tumor eines ehemaligen Telecomangestellten eine Folge seiner Telefongespräche während der Arbeitszeit seien. Und das Kassationsgericht in Rom hatte 2012 das häufige Telefonieren eines Managers mit dem Handy als Ursache für dessen Tumorerkrankung anerkannt und ihm eine Invalidenrente zugesprochen. Bisher gibt es von Schweizer Gerichten keine Urteile zu gesundheitlichen Schäden infolge Handynutzung.
Tipps: So senken Sie die Strahlenbelastung
- Halten Sie Telefonate mit dem Smartphone so kurz wie möglich.
- Verwenden Sie zum Telefonieren Kopfhörer oder Headsets. «Saldo» hat kabellose Kopfhörer getestet («Saldo» 1/2023). Der Test ist zu finden auf Saldo.ch.
- Schalten Sie das Handy aus, wenn Sie es nicht verwenden.
- Telefonieren Sie nur bei gutem Empfang und nicht im Auto oder in der Bahn.
Smartphones mit zu hohen Strahlenwerten
Laut der französischen Strahlenbehörde strahlen diverse Handys stärker als erlaubt. Folgende Modelle waren oder sind auch in der Schweiz erhältlich:
- Alcatel Pixi 4-6”
- Archos Access 50 4G
- Essentielb Heyou 60
- Gigaset GS370 Plus
- Gigaset GX290
- Huawei Honor 8
- Logicom Le Hol
- Nokia 3
- Nokia 3.1
- Nokia 6.1
- Nokia 7 Plus
- One Plus 6T
- One Plus 7 Pro
- Razer Phone 2
- Realme 7i
- Samsung Z Flip
- Samsung Galaxy Note 10 Plus
- Sony Xperia 5
- TP-Link Neffos X1 TP902A
- Wiko Y82
- Xiaomi Mi Mix 2S
- Xiaomi Mi Note 10
- Xiaomi Redmi Note 5
- Xiaomi Redmi Note 7
- Xiaomi Redmi Note 9 Pro