Eltern schicken ihr Baby ungefragt auf Tauchstation
Baby-Baden ist gut fürs Kind. In einigen Kursen bleibt es aber nicht dabei: Eltern drücken ihre Babys unter Wasser. Ärzte warnen vor Ohrenschäden und gefährlichen Unfällen.
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Gesundheitstipp 11/2002
06.11.2002
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Babys, die mit ihren Eltern baden, gewöhnen sich ans Wasser. Das Planschen fördert die Motorik, den Gleichgewichtssinn und den Muskelaufbau der Kleinen. Und Eltern und Kind haben einen intensiven Kontakt zueinander. Das ist unbestritten. Doch manche Baby-Schwimmkurse gehen weiter: Die Eltern werden aufgefordert, ihre Babys unter Wasser zu ziehen.
Viele Mütter und Väter folgen diesem Rat und tauchen ihre kaum drei Monate alten Babys. Die Kurse bieten folgende Methoden an:
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Babys, die mit ihren Eltern baden, gewöhnen sich ans Wasser. Das Planschen fördert die Motorik, den Gleichgewichtssinn und den Muskelaufbau der Kleinen. Und Eltern und Kind haben einen intensiven Kontakt zueinander. Das ist unbestritten. Doch manche Baby-Schwimmkurse gehen weiter: Die Eltern werden aufgefordert, ihre Babys unter Wasser zu ziehen.
Viele Mütter und Väter folgen diesem Rat und tauchen ihre kaum drei Monate alten Babys. Die Kurse bieten folgende Methoden an:
- Unvorbereiteter Tauchgang: Die Mutter hält das Baby am Rumpf und drückt es mit einem Ruck unter Wasser. Oder sie lässt es vom Rand aus ins Becken kippen.
- Tauchen mit Signal: Der Vater bläst dem Baby ins Gesicht oder zeigt ihm einen Reifen. Erst dann drückt er es unter Wasser. Nach mehrmaligem Wiederholen lernt es, dass es auf dieses Zeichen getaucht wird.
- Selbst gewählter Tauchgang: Das Baby liegt auf einer Matte, die auf dem Wasser schwimmt. Dort rutscht oder krabbelt es herum, bis es über den Rand ins Wasser fällt.
- Wassergussmethode: Der Vater leert seinem Schützling einen Becher voll Wasser über den Kopf. Brüllt der Kleine, darf er oben bleiben. Wenn keine Anzeichen für Angst erkennbar sind und der Atem nicht stockt, wird gemeinsam getaucht.
Nick, bei seinem ersten Tauchgang drei Monate alt, habe es gut gefallen, sagt seine Mutter Nicole Stecher aus Uetendorf BE. «Wenn er auftauchte, machte er grosse Augen und Pausbacken», erinnert sie sich. Etwas vorwurfsvoll geschaut habe er anfangs schon. «Aber mit der Zeit war ihm das Tauchen egal.»
Nicht selten beschweren sich jedoch die Kleinen, wenn sie - wieder oben - nach Luft schnappen. «Sarah hat jedes Mal gebrüllt, nachdem ich sie heraufgeholt habe», sagt ihre Mutter Simone Müller (Name geändert) aus Ebikon LU. Im Internet-Forum der Zeitschrift «Wir Eltern» erzählt die Mutter Anna-Gret: «Bei uns im Kurs haben wirklich alle getauchten Babys geheult. Ich fand das schon krass.»
Gar nicht erst unter Wasser ging Doris Burkhart mit der heute zehn Monate alten Rahel. «Ich verliess mich auf mein Gefühl. Rahel war angespannt, deshalb beliess ich es beim Babybaden.»
Angesprochen auf die Taucherei, schütteln Fachleute den Kopf. «Ich erkenne keinen Sinn darin, ein Baby unter Wasser zu drücken», sagt die Kinderärztin Claudia Hassam aus Pfäffikon ZH. «Da brennt vielen Eltern der eigene Ehrgeiz durch.»
Experten sprechen von Gewalt am Neugeborenen
Auch Swimsports, der Dachverband des Schweizer Schwimmsports, verurteilt die Tauchpraktiken: «Wer Babys taucht, verletzt möglicherweise die Rechte des Kindes», sagt Geschäftsführer Hans-Ueli Flückiger. «Man tut dem Baby Gewalt an. Es kann nicht selber entscheiden, ob es tauchen will.»
Studien, die einen Nutzen des Tauchens zeigen, gibt es nicht. Der Zürcher Kinder- und Jugendmediziner Marco Belvedere warnt vor folgenschweren Schäden, wenn man Babys taucht - etwa durch Überdruck.
Anders als ein Erwachsener kann ein Baby den Wasserdruck nicht ausgleichen. Eltern ziehen die Kleinen trotzdem in Tiefen von einem Meter hinunter. Belvedere: «Der Druck kann das Trommelfell teilweise aus seiner Verankerung zerren. Die Folge sind Blutungen.» Wenn es sogar reisst, bekommt das Baby akuten Schwindel, weil Wasser eindringt. Schwierig zu erkennen seien Spätschäden. Belvedere: «Kaum jemand vermutet bei einem Baby einen Ohrenschaden, wenn es schreit.» Stattdessen gebe man dem Zahnen die Schuld.
Wer ein Baby taucht, macht sich einen natürlichen Reflex zunutze: Feine Nervenenden in der Haut registrieren Wasser sofort und veranlassen, dass die Stimmbänder des Babys zusammengepresst werden - die Luftröhre ist dicht. Der Reflex kann jedoch im Alter zwischen drei und sechs Monaten verschwinden. Wenn aber Babys unter Wasser plötzlich atmen wollen, wirds gefährlich. Der kleine Nick, der laut seiner Mutter Nicole Stecher «besonders längere Tauchgänge mag», schluckte auch schon Wasser. «Er musste husten, doch das war nicht weiter schlimm.» Beinahe tödlich endete dies kürzlich in Genf. Ein wenige Monate alter Bub lief am ganzen Körper blau an, nachdem er getaucht worden war. Ärzte im Spital retteten ihn in letzter Sekunde.
Die Organisatoren betonen die Freiwilligkeit
Anbieter von Baby-Schwimmkursen behaupten, tauchgewöhnte Babys würden weniger schnell ertrinken, wenn sie unbeaufsichtigt ins Wasser fallen. Auf Kritik reagieren die Organisatoren zurückhaltend. Keine Stellung nehmen will Iris Augsburger, Kursleiterin und Inhaberin von H2O-Baby-Fun in Thierachern BE, einem der grössten Anbieter in der Schweiz. Augsburger bekräftigt aber im H2O-Prospekt, dass das Tauchen «immer freiwillig» sei. Die meisten Babys seien nach dem Tauchen «entspannt und zufrieden».
Getaucht wird auch beim Kursanbieter Kleiner Delphin in Unterägeri ZG. Mitinhaberin Petra Coenen gibt gegenüber dem Puls-Tipp zu, dass die Babys zu klein seien, um selbst über das Tauchen zu entscheiden: «Genauso kann ein Baby nicht selber entscheiden, ob es in einen Autositz geschnallt werden möchte.» Das Wohl des Babys müsse immer im Vordergrund stehen. Im Kurs übe man zuerst mit einer Puppe. Coenen rät wegen möglicher Ohrenschäden «von Tauchgängen unter 60 Zentimeter und über zwei Sekunden Dauer» ab.
Nach einigen Lektionen ist in manchen Kursen Streckentauchen angesagt. Dabei lassen die Eltern ihr Kleines unter Wasser los und schubsen es sich gegenseitig zu. Tauchstrecke: bis zu vier Meter. Simone Müller befürchtet, dass das Tauchen Sarah traumatisiert hat. «In den Ferien am Meer mussten wir sie ständig tragen. Sie schrie, wenn sie Wasser nur schon von weitem sah.»
Aufruf
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