«Es war die totale Gehirnwäsche»
Fast alle wissen es: Schneeballähnliche Systeme sind reine Abzockerei. Und dennoch tappen viele in die Falle. Mit welchen Methoden dubiose Vertriebsfirmen arbeiten, zeigt das Beispiel Innoflex.
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K-Tipp 19/2004
17.11.2004
Bennie Koprio - bkoprio@ktipp.ch
Wer Arbeit sucht, kann durchaus in die Fänge von Innoflex geraten, zum Beispiel bei der Internet-Stellenbörse Jobpilot. «Nutzen Sie die Chance, bei der grössten Umverteilung der Weltwirtschaftsgeschichte am Anfang dabei zu sein», lockt dort eine Personalschulung namens Zwimpfer und verspricht ein Topeinkommen für jene, «die den Pulsschlag des selbständigen Unternehmers in sich spüren». Das Inserat führt zu einer Innoflex-Verkäuferin, die Vertriebspartner sucht.
Oberver...
Wer Arbeit sucht, kann durchaus in die Fänge von Innoflex geraten, zum Beispiel bei der Internet-Stellenbörse Jobpilot. «Nutzen Sie die Chance, bei der grössten Umverteilung der Weltwirtschaftsgeschichte am Anfang dabei zu sein», lockt dort eine Personalschulung namens Zwimpfer und verspricht ein Topeinkommen für jene, «die den Pulsschlag des selbständigen Unternehmers in sich spüren». Das Inserat führt zu einer Innoflex-Verkäuferin, die Vertriebspartner sucht.
Oberverkäufer, Unterverkäufer, Unter-Unterverkäufer: Das Geschäft dubioser Vertriebsfirmen besteht im Wesentlichen darin, gegen Provision immer neue Vertriebspartner anzuwerben. Das Produkt oder die Dienstleistung, die sie anbieten, ist zweitrangig oder gibt es erst gar nicht.
Am nächsten Morgen 1800 Franken ärmer
So arbeitet auch die deutsche Firma Innoflex, die seit zwei Jahren in der Schweiz aktiv ist und hier nach eigenen Angaben 850 eingeschriebene Vertriebspartner hat.
Der Haken: Bevor jemand Verkäufer werden kann, muss er zahlen. Das «Starterkit» - ein Ordner mit viel wertlosem Papier und Verträgen für Neu-Kunden - kostet 114 Franken. Wer in der Hierarchie aufsteigen und noch schneller Geld verdienen will, braucht zusätzlich eine Software für 1768 Franken.
Die Firma vertreibt nach eigenen Angaben Telekommunikationsprodukte, Stromverträge und Waren übers Internet. Die Vertriebspartner sollen Leute überzeugen, zum Beispiel zur Telefongesellschaft Flexphone zu wechseln. Nur: Flexphone gibt es in der Schweiz nicht. Und Stromverträge kann man hier auch nicht verkaufen. «Du investierst Geld, aber der Ertrag ist gleich null - denn du kannst ja gar nichts vertreiben», so Innoflex-Opfer Roger Hefti aus Wohlen AG.
Hefti wurde von einem Kollegen überredet, an einer Innoflex-Veranstaltung teilzunehmen. «Ich ging mit der festen Überzeugung, da nicht mitzumachen.» Am Morgen nach der Veranstaltung war er über 1800 Franken los und dafür Vertriebspartner von Innoflex. Hefti: «Es war die totale Gehirnwäsche. Je mehr sie auf dich einreden, desto mehr hast du das Gefühl: Wenn du jetzt nicht einsteigst, verpasst du die ersten 1000 Franken.»
Dass selbst Skeptiker wie Hefti sich übertölpeln lassen, wundert den St. Galler Psychotherapeuten Theodor Itten nicht. «Die Leute werden Opfer des Schlaraffenlandsyndroms - der Sehnsucht, einfach, schnell und auf einzigartig bequeme Weise viel Geld zu verdienen.» Am Schluss habe die überredete Person das Gefühl, sie sei clever und habe eine einmalige Chance gepackt.
Auffallend ist ferner: Auf solch schneeballähnliche Vertriebssysteme lassen sich vor allem Männer ein. Nach dem Schneeballprinzip funktionierende Schenkkreise, die sich oft einen wohltätigen oder esoterischen Anstrich geben, locken dagegen eher Frauen an (siehe K-Tipp 19/03).
Laut Itten hat dies mit dem unterschiedlichen Rollenverständnis der Geschlechter zu tun. Männer definieren sich noch immer stärker über die Arbeitswelt. «Sie sind eher für Glücksversprechungen empfänglich, die suggerieren: Investiere, dann gehörst du zur Geschäftswelt und steigst sozial auf.»
Kenner der Szene wie Reto Brand vom Bundesamt für Justiz stellen zudem fest, dass Menschen oft mehrmals auf Schneeballsysteme hereinfallen. Sogar, wenn sie bereits einmal geschädigt wurden und obwohl seit Jahren über die Risiken informiert wird. Reto Brand: «Wir hoffen immer, die Leute hätten jetzt genug von Schneeballsystemen gehört. Aber offenbar funktioniert es immer wieder.»
Schneeballsysteme sind verboten
Psychotherapeut Theodor Itten hat dafür zwei Erklärungen. Es gibt Menschen, die - ähnlich wie Spielsüchtige - nicht wahrhaben wollen, dass sie auf der Verliererseite sind. Itten: «Sie sind angetrieben von der Lust auf den Gewinn, auf das Hochgefühl, es könnte klappen wie beim Spiel "Alles oder Nichts". Andere machen weiter, in der Hoffnung, sie könnten ihre Verluste wieder gutmachen - und zwar mit demselben System.»
Doch aus welchen Gründen auch immer: Wer bei Schneeballsystemen mitmacht, verliert. Und er macht sich strafbar. Das Bezirksamt Lenzburg AG hat bereits einen so genannten Sales Manager von Innoflex zu einer Busse von 2000 Franken verurteilt. Die Begründung: Er habe «offenkundig nach dem verbotenen Schneeballprinzip» Vertriebspartner angeworben und damit gegen das Schweizerische Lotteriegesetz verstossen.
So schnappt die Falle nicht zu
Schneeball- und Pyramidensysteme funktionieren alle grundsätzlich nach demselben Prinzip und haben nur ein Ziel: Ihnen Geld abzuknöpfen.
Der Weg in die Falle
In Stelleninseraten oder Jobbörsen im Internet wird ein Nebenverdienst oder ein Schritt in die Selbständigkeit angeboten. Jeder könne ohne Vorkenntnisse mit einem einmaligen Produkt oder durch ein einzigartiges System schnell viel Geld verdienen, lautet das Versprechen. Oft unterbreiten auch Bekannte oder Verwandte solche Ange-bote, zunehmend sogar per E-Mail. Konkretes erfahren Sie nicht. Wollen Sie das Geheimnis lüften, müssen Sie an einer Veranstaltung teilnehmen.
Die Falle
An der Veranstaltung seift Sie ein «Sales Manager», «Regionaldirektor» oder ein mit anderen Titeln geschmückter Verkaufsprofi ein. Er lobt das fantastische System oder Produkt in den höchsten Tönen. Über Einwände geht er hinweg oder er beweist Ihnen mit viel Überzeugungskraft das Gegenteil. Er behauptet zum Beispiel, es handle sich nicht um ein Schneeballsystem, sondern um Network-Marketing oder Multilevel-Marketing. Er stellt Ihnen nicht nur grosse Vorteile, meist hohe Provisionen, in Aussicht, sondern auch Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Vertriebsstruktur. Um dabei zu sein, müssen Sie aber zahlen - oft sofort.
Die Sklaverei
Um das investierte Geld nicht ganz zu verlieren, müssen Sie nun selber Vertriebspartner anwerben - auch wenn Sie mittlerweile vielleicht realisiert haben, dass alles nur Abzockerei ist. Als Laie kennen Sie sich in der Kundenwerbung nicht aus: Sie ziehen Bekannte und Verwandte rein. Aus dem Opfer wird ein Täter: Sie machen sich strafbar. Es drohen Bussen bis zu 10 000 Franken oder Gefängnis.