Dem Detailhandel gehts im Herbst an den Kragen»: So titelte die «Sonntags-Zeitung» am 9. August. Oder die «Aargauer Zeitung» am 31. Juli: «In den Kassen droht Milliardenloch». Zitiert wurde das Forschungsinstitut Bakbasel. Es prognostiziert das «grösste Umsatzminus der letzten 35 Jahre».
Tatsache ist aber: Gemäss den Detailhandelszahlen des Bundesamts für Statistik ist im ersten Halbjahr 2015 bei den Umsätzen kein Einbruch erkennbar. Dies bestätigt auch Detailhandelsexperte Gotthard F. Wangler: «Der Markt stagniert oder ist leicht rückläufig.»
«Zuwanderer kurbeln Konsum an»
Trotzdem: Laut Wangler haben sich speziell die Grossverteiler Migros und Coop gut arrangiert mit dem tiefen Eurokurs: «Es wird schwarzgemalt. Ende Jahr wird der Umsatz der grossen Detailhändler mindestens auf dem Vorjahresniveau liegen. Und sie werden Gewinn machen», ist Wangler überzeugt.
Einen Grund dafür sieht er in der Zuwanderung. «Wir haben nach wie vor Zuwanderer, und diese kurbeln den Konsum an.» Zudem würden nicht nur die Kunden vom tiefen Euro profitieren, sondern auch die Grossverteiler. Sie können nämlich Produkte und Rohstoffe günstiger einkaufen. Wanglers Fazit: «Die grossen Detailhändler können mit ihren Margen gut leben.»
In die gleiche Kerbe schlägt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff: «Wir erleben jetzt nicht annähernd den Zusammenbruch, den gewisse Leute Anfang Jahr heraufbeschwören wollten.» Gerade die Grossverteiler Migros und Coop hätten nach wie vor beachtliche Margen. Neff ist überzeugt: «Die Preise könnten noch mehr sinken – vor allem bei den Eigenprodukten.»
Bezahlen die Konsumentinnen und Konsumenten also nach wie vor zu viel? Unmittelbar nach der Aufhebung des Euromindestkurses Mitte Januar kündigten die Grossverteiler an, die Preise um bis zu 30 Prozent zu senken. Doch wie eine Stichprobe des K-Tipp im Februar zeigte, waren die Abschläge oft kaum der Rede wert (K-Tipp 3/2015).
Bei den Grossverteilern will man davon nichts wissen. «Importprodukte wurden im Durchschnitt rund 10 Prozent günstiger», sagt Migros-Sprecherin Martina Bosshard. Aber: Über das gesamte Sortiment falle der Preisrückgang weniger deutlich aus. «Insgesamt kommen 75 Prozent der in der Migros verkauften Lebensmittel aus der Schweiz. Bei diesen Produkten hat die Frankenstärke höchstens einen indirekten Einfluss auf die Preise – zum Beispiel durch Vorprodukte, die im Euroraum eingekauft werden.»
Zu hohe Margen: Coop und Migros verneinen
Die Umsätze der ersten sechs Monate liegen laut Bosshard leicht unter dem starken Vorjahr. Den Vorwurf, angesichts des tiefen Euros seien die Margen zu hoch, weist sie jedoch zurück: «Sie sind insgesamt marktüblich und keinesfalls überrissen.»
Coop schreibt dem K-Tipp, es werde «anspruchsvoll, den Vorjahres-Umsatz zu halten». Gegen den Vorwurf von zu hohen Margen wehrt sich auch Coop: «Seit Jahresbeginn haben wir die Preise bei über 15 000 Artikeln um über 190 Millionen Franken gesenkt. Dabei wurden etwa Früchte und Gemüse sowie Haarpflegeprodukte bis zu 20 Prozent günstiger.»