Kleiderhändler vernichteten im Jahr 2021 in den Ländern der Europäischen Union neue, nie getragene Mode im Wert von mindestens 2,9 Milliarden Franken. Das ergaben Berechnungen des Europäischen Umweltbüros. Die Behörde kritisiert: Das sei eine sinnlose Verschleuderung von Ressourcen und eine unnötige Belastung der Umwelt.
Das Vernichten von neuen, nicht verkauften Kleidern ist auch in der Schweiz verbreitet. Andrea Weber-Hansen, Professorin an der Hochschule Luzern, sagt: «Ich schätze, dass in der Schweiz 30 Prozent der angebotenen Textilien nicht verkauft werden.» Ein langjähriger Händler bestätigt dem K-Tipp, dass die Kleiderläden rund einen Drittel der Neuware nicht verkaufen würden. Ein weiteres Drittel gehe nur mit Rabatt weg. Lediglich ein Drittel lasse sich zum ursprünglich angeschriebenen Preis verkaufen.
«Vernichtung soll hohe Preise schützen»
Expertin Andrea Weber-Hansen sagt zudem: «Ein grosser Teil der unverkauften Lagerbestände wird in der Schweiz verbrannt.» Das hätten Schweizer Textilfirmen ihr gegenüber hinter vorgehaltener Hand zugegeben. Recherchen des K-Tipp bestätigen die Aussagen.
- Ein ehemaliger Angestellter des Outdoorherstellers Mammut in Seon AG sagt gegenüber dem K-Tipp: «Nach zwei Jahren im Mammut-Outlet wird die unverkaufte Ware weggeworfen, um die hohen Preise zu schützen.» Mammut bestreitet das: Eine Entsorgung komme nur bei sicherheitsrelevanten Produktionsmängeln infrage.
- Ein Grosshändler sagte 2021 bei einer Befragung im Auftrag des Bundesamts für Umwelt: Es sei «betriebswirtschaftlich einfacher», unverkaufte Kleidungsstücke «zu vernichten», statt sie karitativen Organisationen zu spenden.
- Ein weiterer Textilproduzent aus der Schweiz sagt: «Ware zu verbrennen, ist billiger, als sie länger im Lager zu haben.» Auch ein anderer Grosshändler gibt zu, unverkaufte Ware zu vernichten.
- Laut einer Mitarbeiterin gilt das auch bei Coop: Zweimal jährlich bot der Grossverteiler nicht verkaufte Textilien in einem «Rampenverkauf» den Angestellten an. Was nicht wegkam, sei weggeworfen worden, sagte eine Coop-Mitarbeiterin zum K-Tipp. Coop bestreitet das. Eine Erklärung für die Überproduktion von Kleidern: «Der Einzelpreis für ein Kleidungsstück wird schnell billiger, je mehr man davon bestellt», sagte ein Grosshändler 2021 bei der Befragung durch das Bundesamt für Umwelt. Folge: Viele Händler kaufen grössere Mengen, als sie je verkaufen können. Ein Textilhersteller sagt: «Jeder Händler rechnet mit Wachstum, doch der Markt ist gesättigt.»
Kleider verbrennen ist «normaler Auftrag»
Die K-Tipp-Recherchen ergaben zudem: Für Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) ist die Annahme von fabrikneuer Ware Routine. Ein K-Tipp-Mitarbeiter gab sich als Kleiderhändler aus und holte bei zehn KVA in der Deutschschweiz Offerten für das Verbrennen von drei Tonnen neuer Kleider ein.
Ergebnis: Betreiber der Anlagen bezeichneten die Anfrage als «ganz normalen» Auftrag. «Kleider sind üblicher Gewerbeabfall», sagte ein Mitarbeiter der KVA Turgi AG. Ein Angestellter der KVA Winterthur ZH gab zudem die Anweisung: «Sie können die Kleider aus dem Lastwagen direkt in den Bunker kippen.» In der KVA Buchs SG werden Kleider laut einer Angestellten «geschreddert und dem Industriemüll beigemischt». Das Verbrennen der Kleider kostet pro Tonne je nach Kehrichtanlage zwischen 160 und 350 Franken – für die Kleiderhändler ist das also sehr günstig.
Der Waadtländer Nationalrat François Pointet (Grünliberale) forderte im Juni vom Bundesrat, Kleiderhändler dazu zu verpflichten, Auskunft über die Vernichtung neuwertiger Kleider zu geben. Pointet verlangte ausserdem, überschüssige Ware müsse gespendet oder recycelt statt verbrannt werden. Die Antwort des Bundesrates steht noch aus.
Frankreich zeigt, dass es auch anders geht. Dort ist es seit vergangenem Jahr verboten, neue Kleider zu vernichten.
Auch Texaid entsorgt neue Kleider
Die Firma Texaid sammelt Kleider. Sie bietet auch die Vernichtung fabrikneuer Ware an. Die Texaid mit Sitz in Schattdorf UR hat in der ganzen Schweiz Sammelcontainer für gebrauchte Kleider aufgestellt. Laut Geschäftsbericht hilft Texaid auch bei der «vertraulichen Verwertung» unverkaufter neuer Ware.
Eine K-Tipp-Mitarbeiterin gab sich als Ladeninhaberin aus und fragte bei der Texaid-Abteilung «Retail Solutions» nach Möglichkeiten, unverkaufte Markenkleider zu entsorgen. Die Mitarbeiterin bot drei «Sicherheitsstufen» an: Am günstigsten sei es, wenn Texaid die Kleider weiterverkaufen dürfe, etwa an Händler in Osteuropa. Etwas teurer sei es, die Etikette zu entfernen, damit Markenartikel nicht mehr als solche erkennbar seien. Noch kostspieliger sei es, wenn Texaid die Kleider zerschneide, um den Wiederverkauf zu verhindern. Daraus würden Putzlappen gefertigt.
Texaid will nicht sagen, wie viele Tonnen neue Kleider auf diese Weise vernichtet werden. Im «Nachhaltigkeitsbericht» von 2021 schreibt Texaid, 13 Prozent der gesammelten Kleider seien verbrannt worden. Überträgt man diese Quote auf die 2022 von Texaid in der Schweiz gesammelten 31'000 Tonnen Kleider, landeten also 4000 Tonnen davon in der Kehrichtverbrennung.