Fieses Spiel mit Partnersuchenden
Telefonsex, Gesprächsmanipulation, Einsatz von «Lockvögeln» - beim Partnervermittlungsdienst Live-Channel werden nach Angaben ehemaliger Mitarbeiterinnen fragwürdige Methoden angewendet.
Inhalt
K-Tipp 14/2003
03.09.2003
Gery Schwager - gschwager@ktipp.ch
Petra Rell* und Irene Sasco* waren als Moderatorinnen bei Live-Channel angestellt. Die Firma in Uitikon ZH vermittelt unter anderem «Telefonkontakte für Freizeit und Partnerschaft» über 0901er-Nummern. Wer diese Dienste in Anspruch nimmt, bezahlt dafür zwischen Fr. 3.13 und Fr. 4.23 pro Anruf und Minute. Ein Gespräch kann so rasch mehr als 100 Franken kosten (siehe Kasten).
Zum Job von Rell und Sasco gehörte es, Partnersuchende, die sich auf ein Inserat hin meldeten, mit de...
Petra Rell* und Irene Sasco* waren als Moderatorinnen bei Live-Channel angestellt. Die Firma in Uitikon ZH vermittelt unter anderem «Telefonkontakte für Freizeit und Partnerschaft» über 0901er-Nummern. Wer diese Dienste in Anspruch nimmt, bezahlt dafür zwischen Fr. 3.13 und Fr. 4.23 pro Anruf und Minute. Ein Gespräch kann so rasch mehr als 100 Franken kosten (siehe Kasten).
Zum Job von Rell und Sasco gehörte es, Partnersuchende, die sich auf ein Inserat hin meldeten, mit der gewünschten Person telefonisch zu verbinden oder sie in die Kunden-Datenbank aufzunehmen. Umgekehrt hatten sie Leute, die bereits zum Kundenstamm gehörten, zu Rückrufen zu motivieren mit dem Hinweis, man habe allenfalls mögliche Partnerinnen oder Partner für sie gefunden.
Hauptsache, der Kunde bleibt dran
Die Live-Channel-Inserate in Presse und Internet kommen inhaltlich ziemlich konventionell daher. So möchte sich etwa eine «Bernerin mit Niveau, attraktiv, ehrlich und romantisch, neu verlieben». Und «ein gefühlvoller Unternehmer sucht die Frau mit dem wärmsten Lächeln der Welt».
Ob ihre Wünsche in Erfüllung gehen, ist allerdings fraglich. Erfolgreiche Partnervermittlung steht bei Live-Channel anscheinend nicht im Vordergrund, wie Irene Sasco ausführt: «Für die Live-Channel-Moderatorinnen und -Moderatoren geht es letztlich nur darum, möglichst viele Gesprächsminuten auflaufen zu lassen - egal wie.» Denn je länger die Gespräche über die teuren 0901er-Nummern dauern, desto kräftiger klingelt bei Live-Channel die Kasse.
Treffen vereinbaren - aber nie erscheinen
Tatsächlich sind einige Moderatorinnen und Moderatoren bei der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich. Petra Rell und Irene Sasco enthüllen eine Reihe fragwürdiger Methoden, die im Bemühen um möglichst zahlreiche und lange Gespräche zur Anwendung kommen.
So greifen Moderatorinnen und Moderatoren offenbar häufig auf so genannte NTNR-Frauen zurück. Laut Sasco handelt es sich dabei meist um Frauen aus dem Kundinnenkreis, bei denen man befürchtet, dass sie Live-Channel den Rücken kehren könnten. Und Frauen seien eben knapp.
Den NTNR-Frauen gewähre man eine Normaltarifnummer - eben eine NTNR -, damit sie ihre Gespräche via Live-Channel nicht mehr über 0901er-Nummern führen müssten. «Im Gegenzug sind die NTNR-Frauen aber gehalten, möglichst lange zu telefonieren», so Sasco. Die Zeche zahlen die Gesprächspartner, die ja nach wie vor via 0901er-Nummer verbunden sind.
«Daneben gibt es auch NTNR-Frauen, die aus dem Kolleginnenkreis der Moderatorinnen und Moderatoren stammen und überhaupt nicht auf Partnersuche sind», sagt Sasco. «Das sind definitiv Lockvögel.» Den Anrufern würden sie am Telefon «etwas vorflunkern» und teils sogar Treffen vereinbaren, zu denen sie nie erscheinen.
Ausserdem ist es laut Sasco schon vorgekommen, dass Moderatorinnen Anrufer einfach mit einer anderen Moderatorin verbunden haben. Diese sei dann als partnersuchende Frau aufgetreten, um den Kunden möglichst lange auf der teuren Leitung zu halten.
Doch damit nicht genug: Rell und Sasco berichten von Moderatorinnen, «die entgegen den arbeitsvertraglichen Bestimmungen zu später Stunde Telefonsex betreiben». Zudem würden bewusst immer wieder Leute zu Anrufen auf Live-Channel-Nummern verführt, von denen man aus der Kundendatei wisse, dass sie unter Vormundschaft stehen - und die man deshalb eigentlich nicht kontaktieren dürfte.
Weshalb aber lassen sich Live-Channel-Angestellte zu solchen Machenschaften hinreissen? «Auf ihnen lastet ein grosser Druck», betonen Rell und Sasco. «Jeder und jede sollte pro Arbeitsschicht mindestens 150 Gesprächsminuten erzeugen.»
Wer diese Vorgabe verfehle, werde von den Vorgesetzten teils unverblümt aufgefordert, sich eine NTNR-Frau zuzulegen. Wer sie hingegen klar übertreffe, geniesse «besondere Sympathien» und könne den Stundenlohn von 23 auf 26 oder gar 29 Franken steigern, erklärt Petra Rell.
Live-Channel-Inhaber Oliver Paschaweh bestreitet alle Aussagen von Rell und Sasco vehement: «Es kann nicht unser Job sein, die Gespräche unnötig zu verlängern, "Lockvögel" einzusetzen und die Leute mit den verschiedensten Mätzchen zu ärgern.» Zudem würden Angestellte, die erwiesenermassen gegen ihren Arbeitsvertrag verstossen, von der Geschäftsleitung zur Rechenschaft gezogen.
«Viel Boshaftigkeit und Missgunst scheinen hinter diesen Vorwürfen an meine Firma und mich zu stecken», klagt Paschaweh. Er vermutet gar ein Komplott ehemaliger Mitarbeiter, die einen eigenen Partnervermittlungsdienst aufziehen und ihn als Konkurrenten ausschalten wollten. Das wiederum stellen Petra Rell und Irene Sasco entschieden in Abrede. Beide versichern, aus absolut eigenem Antrieb und nur mit dem Ziel, die Öffentlichkeit aufzuklären, gehandelt zu haben. Um die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen zu belegen, haben sie diese schriftlich unterzeichnet.
*Name geändert
www.ktipp.ch
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«So läuft ein typisches Gespräch»
Fr. 4.23 pro Minute kosten Anrufe ins Moderationsteam des Partnervermittlungsdienstes Live-Channel. Dort strengt man sich mächtig an, Gespräche über die teure 0901er-Nummer in die Länge zu ziehen, wie die frühere Live-Channel-Moderatorin Petra Rell* zu Protokoll gibt:
Der typische Fall sieht etwa so aus: Ein Partnersuchender entdeckt in einer Zeitschrift oder im Internet eine Kontaktannonce von Live-Channel. Er ruft auf die angegebene 0901er-Nummer an und nennt der Live-Channel-Moderatorin die Nummer des Inserats, weil er mit der inserierenden Frau Kontakt aufnehmen möchte.
Die Moderatorin gibt nun an, den Code zur entsprechenden Inseratnummer zu suchen, wobei sie möglichst viel Zeit verstreichen lässt. Dann sagt sie häufig sinngemäss: "Sorry, aber die Frau, die dich interessiert, ist nicht mehr auf Partnersuche. Doch wir haben im Verzeichnis sicher viele andere Frauen, die für dich in Frage kommen könnten. Um das abzuklären, müssten wir von dir allerdings einiges über dich und deine Wünsche wissen."
Es folgt also das Aufnahmegespräch. Dieses liesse sich eigentlich in fünf Minuten erledigen, dauert aber mindestens eine halbe Stunde, weil alle Tricks angewendet werden, um die Sache in die Länge zu ziehen. Anschliessend macht sich die Moderatorin in der Datenbank auf die Suche nach einer passenden Frau und liest die Angaben zu möglichen Kandidatinnen gleich vor.
Zeigt der Kunde für eine Frau Interesse, ruft die Moderatorin bei dieser an. Wenn sich niemand meldet, geht die Suche einfach weiter. Ist die Frau aber zu Hause, fordert die Moderatorin sie auf, gleich auf die teure 0901er-Nummer zurückzurufen mit dem Hinweis, man habe da einen Interessenten. Die Moderatorin kann dann den Kunden und die Frau, die jetzt beide über eine 0901er-Nummer von Live-Channel telefonieren, miteinander verbinden.