Eine Familie mit zwei Kindern wollte in der Umgebung von Schaffhausen ein Reiheneinfamilienhaus kaufen. Der Vater arbeitet in der Elektrobranche, seine Frau Teilzeit als Krankenschwester. Bei einer 10-jährigen Festhypothek zu 1,5 Prozent wären gemäss Berechnungen der Bank monatliche Ausgaben von rund 2700 Franken fürs Wohnen angefallen. Das hätte sich die Familie ohne weiteres leisten können.
Trotzdem scheiterte der Kauf. Denn die Bank machte noch eine zweite, fiktive Rechnung mit einem Hypozins von 5 Prozent. Das ergab theoretische monatliche Ausgaben von 5000 Franken. So viel könnte die Familie nicht aufbringen. Der Traum vom Eigenheim platzte.
Tragbarkeitsrechnung mit hohen fiktiven Zinsen
Das ist kein Einzelfall: Eine Auswertung von über 20 000 Anfragen beim Hypothekenvergleichsdienst Moneypark zeigt: Angestellte im Gesundheits- oder Sozialwesen oder Bauarbeiter sind heute vom Kauf von Wohneigentum praktisch ausgeschlossen. Sie hätten zwar genügend Geld, um sich das zu leisten. Sie scheitern aber an den Kalkulationen von Banken und Versicherungen.
Stein des Anstosses ist die sogenannte Tragbarkeitsrechnung. Die Finanzinstitute überprüfen damit, ob sich Interessenten das Wohneigentum auch inklusive Unterhalts- und Amortisationskosten leisten können. Dabei rechnen sie nicht mit dem Zins für eine aktuelle Festhypothek. Sondern mit den etwa vierfachen Zinsen von 4,5 oder 5 Prozent (siehe Tabelle im PDF).
Solche Zinssätze sind lebensfremd. Festhypotheken von 5 bis 10 Jahren kosten heute gut 1 Prozent Zins. Langjährige Darlehen mit einer Laufzeit von 15 Jahren gibt es zurzeit schon für 1,47 Prozent (Hypomat.ch).
Nicht alle Banken stehen hinter dieser restriktiven Kreditvergabepraxis. Im letzten Herbst sagt Patrick Gisel, Chef der Raiffeisen-Banken, in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung»: «Die Kriterien zur Vergabe von Hypotheken sind viel zu streng.» Er kritisierte, der fiktive Zinssatz von 5 Prozent verunmögliche vielen jungen Familien den Erwerb eines Eigenheims. Gisel skizzierte ein Modell mit einem Zins von 3 Prozent, bei dem das nötige Eigenkapital für den Kauf eines Eigenheims über mehrere Jahre verteilt eingebracht werden könnte. Im Gegenzug müssten sich Hypothekarkunden zu einem Spar- und Amortisationsplan über 15 Jahre mit einem fest verzinsten Kredit verpflichten.
Bevor die Raiffeisen ihre Pläne umsetzen konnte, wurde sie von der Finanzmarktaufsicht des Bundes (Finma) zurückgepfiffen. Die Finma wollte verhindern, dass die Banken die Hürde für den Kauf von Wohneigentum senken. Finma-Sprecher Tobias Lux sagt dazu, es sei «notwendig, konsequent die Regeln zur Tragbarkeit, Belehnung und Amortisation einzuhalten». Eine Lockerung der Vorgaben «könnte dazu führen, dass Haushalte Hypothekarkredite abschliessen, die sie sich längerfristig nicht leisten können». Die Schweiz sei «mit ihren auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Bestimmungen seit vielen Jahren sehr gut gefahren».
Die Finma sagt auch, sie würde nur die Mindestregeln für die Vergabe von Hypothekarkrediten festlegen. Die Kalkulation bestimme dann die Bank selbst – so etwa das zum Kauf nötige Eigenkapital oder Umfang und Dauer der Amortisation des Kredits.
Was wäre aber, wenn eine Bank unter den heute üblichen kalkulatorischen Zinssatz von mindestens 4,5 Prozent ginge? Laut Lux würde die Finma «eine solche Senkung genau anschauen».
Kleine Bank im Gürbetal schert aus – ohne Folgen
Dazu besteht aber kein Anlass. Acht von saldo angefragte Grossbanken und zwei Versicherungen wollen an den hohen kalkulatorischen Zinssätzen festhalten (siehe Tabelle). Die Zürcher und Berner Kantonalbank sehen «keinen Handlungbedarf» für eine Anpassung nach unten. Auch in den Augen der Postfinance ist «keine Lockerung notwendig». Sogar die Raiffeisen-Bank schreibt kleinlaut: «Raiffeisen respektiert die Bedenken der Finma.»
Anders die kleine Spar + Leihkasse Gürbetal AG (SLG). Bei der «Einsteigerhypothek» rechnet die Bank für die Tragbarkeit nicht mit dem fiktiven Zinssatz, sondern mit den jeweils aktuellen Kosten. Im Gegenzug müssen die Hypo-Schuldner während der Laufzeit mehr Geld für Amortisationen aufbringen. Die Finma hat bisher nicht interveniert. Das im letzten Dezember lancierte Produkt erfreut sich laut SLG-Leiter Markus Siegrist «eines regen Interesses». Profitieren können aber nur Eigenheimkäufer, die im Kanton Bern wohnen. Aber möglicherweise findet das Modell bei anderen Regionalbanken bald Nachahmer.