Bei Coop und Migros prangt auf fast jeder Verpackung mit wild gefangenem Fisch das blaue Gütesiegel des MSC. Dieses garantiere den «Schutz der Fischbestände» und eine «minimale Auswirkung auf das Ökosystem», hält Coop im Internet fest. Auch die Migros behauptet, MSC garantiere Nachhaltigkeit.
Doch dieses Bild trügt. Beispiel Goldbuttfilets von Coop: Vorn auf der Verpackung ist das MSC-Label zu finden – doch auf der Rückseite heisst es: «Gefangen im Nordostatlantik. Schleppnetze.» Das passt für Umweltingenieur Urs Baumgartner von der Firma Ekolibrium nicht zusammen. Er sagt: «Grundschleppnetze pflügen den Meeresboden um. Der Beifang von Fischen, die nicht gewünscht sind, ist gross.»
Das gleiche Problem gibt es bei den Kabeljaufilets der Migros. Auch sie tragen das MSC-Label – doch auf der Rückseite der Verpackung steht, dass der Fisch unter anderem mit Schleppnetzen gefangen wurde.
«Diese Fangpraxis ist nicht nachhaltig»
Diese Beispiele sind keine Ausnahmen: Das zeigt eine Untersuchung über MSC, an der Urs Baumgartner beteiligt war. Die Studie von On the Hook, einem Zusammenschluss von wissenschaftlichen Instituten und Umweltorganisationen, kommt zum Schluss: Nur 73 von zurzeit 273 MSC-zertifizierten Fischereibetrieben erfüllen die Labelvorgaben ohne Wenn und Aber.
200 MSC-Fischereien sind mit Auflagen belegt. Das heisst: Sie dürfen das Label verwenden, müssen aber zum Beispiel ihre Fangpraktiken verbessern.Doch das geschieht häufig nicht. Die Fischerei Joint Demersal Fisheries in the North Sea and Adjacent Waters etwa fängt unter anderem Goldbutt mit Grundschleppnetzen, sogar in Meeresschutzzonen. «Diese Fangpraxis ist nicht nachhaltig. MCS stellte dies bereits bei der Zertifizierung fest», sagt Urs Baumgartner. Trotzdem zertifizierte MSC im Jahr 2018 die Fischerei – mit 213 Auflagen.
Laut den MSC-Richtlinien müssen die Fischereibetriebe Auflagen für eine verbesserte Fangpraxis innert fünf Jahren erfüllen. Sonst verlieren sie die Zertifizierung. Die Betriebe Alaska Lachs und Australischer westlicher Hummer sind seit 24 Jahren zertifiziert – obwohl sie noch immer nicht alle MSC-Vorgaben einhalten.
Ein weiteres Problem der Fischerei mit Grundschleppnetzen: Sie zerstört den Meeresboden und setzt darin gespeicherten Kohlenstoff als CO2 frei. Laut Meeresbiologen ist die Schleppnetzfischerei so klimaschädlich wie der gesamte Luftverkehr.
MSC verteidigt gegenüber dem K-Tipp sein Label für die Grundschleppnetzfischerei in Dänemark. Die Fischer hätten den Beifang von geschützten Haien und Rochen reduziert. Die dänische Fischerei selber weist die Kritik zurück.
Von den umstrittenen Fischereipraktiken erfahren Kunden von Coop und Migros nichts. Zu den Mängeln von MSC sagt die Migros, sie sei sich der Problematik bewusst und habe bei MSC schon Verbesserungen vorgeschlagen.
Coop schreibt dem K-Tipp, MSC sei grundsätzlich ein glaubwürdiges Label. Man orientiere sich am Fischratgeber der Naturschutzorganisation WWF. Aber auch diese sagt zum K-Tipp, man erkenne beim MSC-Label «deutliche Mängel». Der WWF habe in letzter Zeit mehrere Zertifizierungen beanstandet.
«Konsumenten werden getäuscht»
Für Umweltingenieur Urs Baumgartner steht fest: «MSC ist ein Etikettenschwindel, weil das Label Konsumenten in die Irre führt.» Fischereien, welche die laschen Richtlinien nicht vollumfänglich erfüllen würden, sollten das Label laut Baumgartner nicht tragen dürfen. Denn sie seien weder umweltschonend noch nachhaltig.
Fazit: Nur knapp 1 Prozent der 7000 Fischereibetriebe weltweit erfüllen heute die MSC-Richtlinien ohne Auflagen. Sie steuern lediglich 5 Prozent zur gesamten Fangmenge bei. MSC macht laut eigenen Angaben mit Spenden und Lizenzgebühren des Handels einen jährlichen Umsatz von 36 Millionen Franken. Die Reserven der Organisation betrugen Ende des letzten Jahres 47 Millionen Franken.
Fischarten: Je nach Fangmethode nicht zu empfehlen
Bei Fischen ist die Fangmethode ein wichtiges Kriterium für die Nachhaltigkeit. Im Laden sollte man auf Fangregion und -gerät achten – diese müssen auf der Verpackung angegeben sein. Industrielle Methoden wie Bodenschleppnetze oder Langleinen sind meist schlechter für die Umwelt als etwa Handleinen. Langleinen können bis 100 Kilometer lang sein und Tausende von Haken enthalten. Sie liegen oft tagelang im Wasser.