Das Risiko für einen Flugzeugabsturz sei «signifikant»: Diese Warnung äusserte die Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) des Bundes diesen Mai gegenüber dem für die Flugaufsicht zuständigen Bundesamt für Zivilluftfahrt. Sie habe «in zahlreichen Untersuchungen» ein Sicherheitsdefizit festgestellt und sieben Empfehlungen an die Luftfahrtbehörde gerichtet, schreibt die Sust.
Doch die Aufsichtsbehörde hat bisher nur eine einzige Empfehlung umgesetzt. Das zeigt die K-Tipp-Auswertung von Berichten der Untersuchungsstelle zwischen 2010 und Oktober 2022. Die Sust gab gegenüber dem Bundesamt insgesamt 92 Empfehlungen für mehr Sicherheit im Luftverkehr ab. Jede Empfehlung besteht aus einem Lösungsvorschlag zu einem aktuellen Sicherheitsdefizit. Doch das für die Sicherheit der Flugpassagiere zuständige Bundesamt setzte nur gerade 30 Empfehlungen vollständig um. In 29 Fällen geschah dies laut Sust immerhin teilweise.
In 33 Fällen ignorierte das Bundesamt die Empfehlungen der Unfallexperten, etwa zur Verhinderung weiterer Beinahe-Zusammenstösse. Beispiele:
Segelflieger
Jedes Jahr fliegen laut Untersuchungsstelle allein im Grossraum des Flughafens Zürich rund 100 Mal private Segelflieger unerlaubt in den Luftraum, der eigentlich grossen Passagierfliegern vorbehalten ist. So bemerkte etwa im August 2012 ein Co-Pilot der Swiss beim Landeflug, dass ein Segelflugzeug auf Kollisionskurs war. Die Flugzeuge näherten sich einander bis auf 260 Meter.
Heissluftballone
Im Juni 2015 musste beim Flughafen Zürich ein Flugzeug der Swiss einem Heissluftballon ausweichen.
Helikopter
Ebenfalls im Luftraum über dem Flughafen Zürich stiess im Oktober 2019 ein Helikopter beinahe mit einem Passagierflugzeug der British Airways zusammen.
Kleinflugzeuge schwer erkennbar
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt hat den Luftraum für grosse Passagierflugzeuge, in dem sich keine anderen Flieger aufhalten dürfen, eng begrenzt. Die Kritik der Unfallexperten: Das Bundesamt nimmt zu stark Rücksicht auf Kleinflugzeuge wie zum Beispiel Segelflieger. Schon kleinere Navigationsfehler von Hobbypiloten könnten daher dazu führen, dass sie in die Bahn von Grossflugzeugen geraten.
Ein weiteres Problem laut den Experten: Für Fluglotsen sei es oft unmöglich, Privatflugzeuge auf dem Radar zu erkennen und rechtzeitig einzugreifen. Die Flugaufsicht lässt es Piloten von Segelflugzeugen und Heissluftballonen frei, ob sie sogenannte Transponder mitführen wollen – das sind Geräte, die Kleinflugzeuge auf dem Radar der Fluglotsen erkennbar machen («Saldo» 4/2022). Die Sust drängt deshalb das Bundesamt für Zivilluftfahrt, eine generelle Transponderpflicht einzuführen.
Weiter fordert die Untersuchungsstelle: Die Schutzräume für Linienflugzeuge rund um Flughäfen müssten vergrössert werden. So liesse sich das Risiko von Kollisionen zwischen Kleinflugzeugen und grossen Maschinen verringern. Unfalluntersuchungen gehen ins Geld: So kostete laut Sust die Untersuchung des Ju-52-Absturzes im Jahr 2018 die Steuerzahler gegen 4 Millionen Franken.
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt sagt gegenüber dem K-Tipp, die Arbeit der Unfallexperten werde «in keiner Weise ignoriert». Empfehlungen würden etwa dann nicht befolgt, wenn die «Umsetzung Risiken birgt» oder wegen politischer Vorstösse nicht möglich sei.
Heikle Nähe zur Flugbranche
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt steht punkto Flugsicherheit nicht zum ersten Mal in der Kritik: Der Behörde wird schon länger eine problematische Nähe zur Flugbranche nachgesagt. So heisst es in einem Gutachten im Auftrag des Verkehrsdepartementes, «die relativ starken Verflechtungen» zwischen Flugaufsicht und Luftfahrtindustrie könnten dazu führen, dass die Aufsicht nicht ausreichend «kritisch und unabhängig» sei.
Laut einem ehemaligen Mitarbeiter berücksichtigt das Bundesamt für Zivilluftfahrt oft «Sonderinteressen» aus der Flugbranche: «Da gibt es eine problematische Nähe – mit gefährlichen Folgen für die Flugsicherheit.» So habe sich etwa ein Inspektor, der selber Mitglied einer Segelfluggruppe ist, erfolgreich gegen die Transponderpflicht eingesetzt. Begründung: Die Kosten der Geräte und deren Gewicht seien zu hoch. Ein Transponder kostet laut Bundesamt 3000 bis 5000 Franken. Für Segelflieger geeignete Modelle wiegen 700 Gramm.