Die Lufthansa-Tochter Edelweiss ist stolz auf ihren Rundum-Service. Auf ihrer Website verspricht sie ihren Kunden: «Unbeschwert in die Ferien fliegen. Auf Edelweiss können Sie sich verlassen, denn bei uns ist das Gepäck im Flugpreis inbegriffen.»
Was die Passagiere nicht ahnen: Der Begriff «unbeschwert» ist durchaus wörtlich zu verstehen. Am 9. September flog die Swiss im Auftrag der Edelweiss von Zürich nach Bilbao – ohne ein einziges Gepäckstück an Bord. Das erfuhren die Kunden jedoch erst am Gepäckband in der nordspanischen Stadt von Iberia-Angestellten.
Das ist kein Einzelfall. Edelweiss flog auch Anfang August ohne das Gepäck der Passagiere von der sizilianischen Stadt Catania nach Zürich. Das erfuhren die Reisenden ebenfalls erst nach der Ankunft.
Und Ende Juli hatte Edelweiss vor dem Abflug in die sardische Stadt Olbia in Zürich 90 Koffer absichtlich stehenlassen. Die betroffenen Passagiere erhielten nach der Ankunft auf Sardinien gemäss «20 Minuten» keine Informationen zum Verbleib ihres Gepäcks.
Schweigen, um «nicht zu beunruhigen»
Die Swiss schreibt, die Besatzung habe die Passagiere auf dem Flug nach Bilbao nicht über das fehlende Gepäck informiert, weil sie diese «nicht beunruhigen wollte». Edelweiss lässt Nichtssagendes verlauten: «Eine zielführende Kommunikation» mit den Passagieren habe nicht stattfinden können.
Doch warum wurden die Flugzeuge von Swiss und Edelweiss nicht beladen? Die beiden Airlines schieben die Verantwortung auf «fehlendes Bodenpersonal» ab. In Kloten ist für das Beladen die Firma Swissport verantwortlich. Sie fertigt jeden Tag mehrere Hundert Flüge anderer Airlines tadellos ab.
Gemäss Swissport liegt ein Grund für das verspätete Beladen von Flugzeugen darin, dass diese bereits verspätet in Zürich ankämen. Swissport sagt klar: «Der Entscheid liegt stets bei den Airlines, ob sie ohne Gepäck starten wollen.» Im laufenden Jahr seien 15 Maschinen ohne Gepäck gestartet, alles Maschinen der Lufthansa. Neben Lufthansa gehören die Swiss, Edelweiss, Eurowings, Austrian Airlines und Brussels Airlines zur Lufthansa-Gruppe.
In Basel-Mulhouse kam es gemäss Auskunft des Flughafens in den letzten Monaten zu keinem Abflug ohne Gepäck. Dies bestätigt auch Easyjet, die grösste Fluggesellschaft am Euroairport Basel und am Flughafen Genf.
Wegen Verspätung ohne Koffer weg
Laut einem Sprecher flog die Swiss im Fall Bilbao ohne Gepäck, weil das Flugzeug sonst wegen der Verspätung nicht vor der Nachtflugsperre wieder in Zürich gewesen wäre. Gleich argumentiert Edelweiss. Trotz der vertragswidrigen und kundenfeindlichen Praxis haben die Airlines von der Aufsichtsbehörde nichts zu befürchten. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt schreibt dem K-Tipp, es äussere sich nicht zu «operativen Entscheiden» der Airlines.
Gepäck: Das sind die Rechte der Passagiere
- Fehlt das Gepäck bei der Ankunft des Flugs, sollte man gleich am Flughafen eine Verlustmeldung ausfüllen. Spätestens nach 21 Tagen muss der Verlust der Fluggesellschaft schriftlich gemeldet werden.
- Wird das Gepäck verspätet geliefert, haben Passagiere Anspruch auf Schadenersatz. Sie dürfen die nötigen Kleider und Körperpflegeprodukte kaufen sowie Sportgeräte mieten und der Airline in Rechnung stellen. Tipp: Die Quittungen aufbewahren und vor dem Einsenden an die Airline kopieren. Pro verspätetes Gepäck sind maximal 1520 Franken Schadenersatz geschuldet.
- Gepäck gilt als verloren, wenn es 21 Tage nach der Ankunft noch immer nicht angekommen ist oder die Airline es vorher als verloren meldet. Für verlorenes Gepäck muss die Airline den Passagier mit bis zu 1520 Franken entschädigen, wenn dieser die Forderung innert sieben Tagen stellt.
- Wird aufgegebenes Gepäck beschädigt, haftet die Airline ebenfalls für den Schaden, maximal bis zu 1520 Franken.
- Wichtig: Die Airline haftet über diesen Betrag hinaus für den vollen Schaden, wenn dieser grobfahrlässig oder absichtlich verursacht wurde. Lassen Airlines wie etwa Swiss oder Edelweiss das Gepäck absichtlich am Flughafen stehen und geht es verloren, ist der Neuwert von Gepäckstück und Inhalt geschuldet – auch wenn der Betrag 1520 Franken übersteigt. Der Passagier aber muss den Schaden innert sieben Tagen schriftlich melden.
- Wer den Flug mit Hotelübernachtungen oder Mietauto im Reisebüro als Paket gebucht hat, kann den Schadenersatz für verspätetes, beschädigtes oder verlorenes Gepäck gemäss Pauschalreisegesetz auch vom Reiseveranstalter verlangen.
Edelweiss: 60 Tage warten aufs Gepäck
Bei einem Edelweiss-Flug ging die Reisetasche einer K-Tipp-Leserin verloren. Sie musste zwei Monate auf ihr Gepäck warten – obwohl die Airline es zwischenzeitlich gefunden hatte. Das Protokoll einer langen Suche.
- 15. Juli: K-Tipp-Leserin Bettina Kümin fliegt mit Edelweiss von der spanischen Insel Gran Canaria nach Zürich. Am Rollband in Kloten wartet sie vergeblich auf ihre blaue Reisetasche. Der Suchservice «Lost & Found» am Flughafen kann ihr nicht weiterhelfen.
- 20. Juli: Fünf Tage später teilt der Flughafen Zürich Bettina Kümin per E-Mail mit, um die verschwundene Tasche müsse sich nun Edelweiss kümmern.
- 28. Juli: Edelweiss meldet sich per E-Mail: «Grüezi Frau Kümin. Leider konnte das Gepäck bis heute nicht lokalisiert werden. Für den erweiterten Suchprozess benötigen wir eine exakte Beschreibung des Gepäckstücks und von dessen Inhalt.» Bettina Kümin beschreibt auf einem Internetformular Aussehen und Inhalt der Reisetasche. Wert der vermissten Ware: 2270 Franken.
- 13. August: Nach über zwei Wochen Funkstille erhält Kümin endlich einen Anruf – nicht von Edelweiss, sondern von einem ihr unbekannten Mann aus London. Zu Kümins Verwunderung teilt er mit, er habe ihre Reisetasche bei sich. Nach einem Edelweiss-Flug im März habe er selbst eine ähnliche Tasche vermisst gemeldet. Deshalb habe ihm Edelweiss Kümins Gepäck wohl versehentlich gesendet. Bettina Kümin schreibt Edelweiss: «Die vermisste Tasche ist aufgetaucht. Bitte um Ihre Info, wie und wann Sie den Rücktransport aus London organisieren.»
- 15. August: Edelweiss ziert sich und fragt Kümin: «Haben Sie überprüft, ob es sich wirklich um Ihre Tasche handelt? Dass eine Tasche einfach so an eine falsche Person geliefert wird, ist sehr speziell. Zumal Sie nicht mal via England geflogen sind.» Kümin antwortet: «Woher sonst soll der Mann aus London meine Handynummer haben? Natürlich von der Gepäcketikette.»
- 17. August: Nachdem sich Kümin drei weitere Male über den Verbleib der Tasche erkundigt hat, lässt Edelweiss die Tasche in London abholen. Doch die Reisetasche bleibt verschwunden: Auf dem Rücktransport nach Zürich verliert die Airline die Tasche der Kundin ein zweites Mal.
- 4. September: Der K-Tipp fragt nach. Edelweiss teilt mit: Nach «diversen Abklärungen» und «leider einer erneuten Verwechslung» habe man das Gepäckstück nun am Flughafen in London gefunden. Die Rücksendung werde «umgehend» aufgegleist.
- 11. September: Bettina Kümins Reisetasche liegt noch immer im Flughafen Heathrow. Begründung von Edelweiss: «Momentan gibt es einige Flughäfen, die eine hohe Anzahl von Koffern zu verarbeiten haben.»
- 14. September: Nach erneuter Intervention des K-Tipp liefert die Swiss im Auftrag von Edelweiss das verschollene Gepäck aus – 60 Tage nach dem Flug.