Es geschah in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912: Das damals grösste Passagierdampfschiff, die «Titanic», kollidierte mit einem Eisberg, rund 1500 Menschen ertranken. Sie mussten sterben, weil lediglich 14 Rettungsboote, 4 Faltboote und 2 Notfall-Kutter an Bord waren. Sie reichten gerade mal für die Hälfte der 2200 Passagiere.
Chaotische Szenen und die Unerfahrenheit der Crew führten bei der Evakuierung zudem dazu, dass viele Boote nur zur Hälfte besetzt waren.
Als Reaktion auf die Tragödie wurde ein Jahr später das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (Solas) erlassen. Seither gelten Mindest-standards bei Bau, Ausrüstung und Betrieb der Schiffe.
Das Übereinkommen wurde mehrfach angepasst. Dennoch genügen die Bestimmungen noch immer nicht, um Katastrophen zu verhindern. Schlimmer noch: Die Sicherheitsstandards wurden punktuell sogar gelockert. So mussten früher die Schotttüren geschlossen werden, sobald das Schiff in See stach. Diese Sicherheitstüren verhindern, dass bei einer Havarie der gesamte Rumpf mit Wasser vollläuft und das Schiff sinkt. Heute fehlt dieser Passus in den Bestimmungen.
Nicht geschlossene Schotttüren sind für zahlreiche Schiffskatastrophen verantwortlich. Aktuellstes Beispiel ist die «Costa Concordia», die im Januar dieses Jahres vor der italienischen Küste auf Grund lief. Hier sollen die Schotttüren noch 40 Minuten nach der Kollision offen gewesen sein, wie Filmaufnahmen von der Kommandobrücke belegen. 32 Passagiere starben.
Augenzeugen berichteten von einer chaotischen Rettungsaktion auf der «Costa Concordia». In Durchsagen wurde lediglich von einer «kleinen technischen Störung» gesprochen.
Offenbar dauerte es über eine Stunde, bis der Kapitän die Küstenwache alarmierte und die Fahrgäste in die Rettungsboote schickte. Als die Boote zu Wasser gelassen werden sollten, lag das Schiff schon zu weit auf der Seite, weshalb auf einer Schiffsseite keine Boote mehr gewassert werden konnten. Viele Leute sprangen in Panik über Bord. Retter zogen nach Angaben der Küstenwache 150 Personen lebend aus dem Wasser.
Gemäss den Solas-Bestimmungen muss ein Kreuzfahrtschiff für drei Viertel der Passagiere Rettungsboote (mit bis zu 150 Plätzen) an Bord haben. Für den Rest sind Rettungsflosse vorgeschrieben. Auf diesen haben je bis zu 100 Personen Platz. Sie können auch bei Schräglage des Schiffs ins Wasser gelassen werden. Zudem muss jedes Kreuzfahrtschiff noch Reserveflosse mitführen. Damit hat ein Kreuzfahrtschiff pro Passagier rein rechnerisch 11/4 Rettungsplätze.
Besser ausgestattet sind Frachtschiffe: Auf ihnen hat jede Person 4 Rettungsplätze. Der Grund: Frachter müssen auf jeder Schiffsseite Boote und Rettungsflosse für jeweils die gesamt Crew an Bord haben.
Gegendarstellung
Der K-Tipp (6/12) schrieb unter dem Titel «Elvia-Versicherung liess sich bitten», die Elvia habe im erwähnten Schadenfall erst eingelenkt, als der betreffende Versicherungsnehmer mit der Betreibung gedroht habe. Der durch den Artikel hergestellte Zusammenhang zwischen Betreibungsandrohung des betreffenden Versicherungsnehmers und der Leistungszusage der Elvia ist nicht zutreffend: Abgesehen vom zeitlichen Ablauf bestand kein Zusammenhang zwischen diesen beiden Vorgängen. Die Leistungszusage der Elvia erfolgte einzig aufgrund einer Neubewertung des Falles, nachdem der Versicherungsnehmer neue zusätzliche Unterlagen nachgereicht hatte.
Daniel Misteli, Chief Operation Officer, AGA International S.A, Paris, Zweigniederlassung Wallisellen (ex Elvia-Reiseversicherungsgesellschaft)
«Niemand hat eine professionelle Ausbildung»
Für Schifffahrtsexperte Peter Irminger ist klar: Um Unglücke mit Kreuzfahrtschiffen zu verhindern, gäbe es bessere Rettungssysteme. Doch sie kommen wegen fehlender Vorschriften nicht zum Einsatz.
K-Tipp: 100 Jahre nach dem Untergang der «Titanic» sind Kreuzfahrtschiffe zwar technisch besser ausgerüstet. Aber das Personal ist bei der Evakuation offenbar überfordert. Passagiere berichten immer wieder von dilettantischen Notfallübungen.
Peter Irminger: Niemand an Bord – auch nicht der Kapitän – hat eine professionelle Ausbildung in der Unterweisung und Durchführung von Notfallübungen. Man kriegt das in der Ausbildung bloss am Rande mit. Das mag für Frachtschiffe ausreichen, nicht aber für Kreuzfahrtschiffe mit mehreren Tausend Personen an Bord. Zwar gibt es für Offiziere sogenannte Krisen-Management-Kurse. Diese reichen meines Erachtens aber nicht aus, um sich im Notfall zu bewähren.
Es gibt nur wenige Offiziere an Bord. Ist der grösste Teil der Besatzung überhaupt nicht geschult?
Das Problem ist: Eigentlich gibt es nur wenige richtige Seeleute, wie Nautiker, Ingenieure und Matrosen, auf einem Schiff. Die meisten sind Zimmermädchen, Köche, Kellner, Musiker, Tänzer, Wäscher und so weiter. Zudem ist die Sprachenvielfalt der Crew solcher Schiffe enorm. Das führt zwangsläufig zu Kommunikationsproblemen.
Warum gibt es nicht vor dem Auslaugen Rettungsübungen?
Das wäre gut. Damit würden Passagiere und neu zugestiegenes Personal auf See von der ersten Minute an wissen, was im Notfall zu tun ist. Zuständig für den Erlass dieser Vorschrift wäre die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen.
Seit der «Titanic»-Katastrophe hätte man genügend Zeit gehabt, um technische Verbesserungen vorzunehmen, damit Schiffe weniger schnell sinken.
Es ist heute kein Problem, ein absolut unsinkbares Schiff zu bauen. Aber: Bei einem solchen Schiff wären Fenster und Balkone viel kleiner.
Hat ein Schiff Schlagseite, kann die eine Hälfte der Rettungsboote gar nicht mehr gewassert werden, wie das Unglück der «Costa Concordia» zeigt.
Diesen Missstand kritisiere ich seit vielen Jahren. Auf Frachtschiffen sind auf jeder Seite Boote und zusätzlich Rettungsinseln für jeweils alle Besatzungsmitglieder vorgeschrieben. Pro Person gibt es also total 4 Rettungsplätze. Auf Fahrgastschiffen sind für jede Person nur 11/4 Plätze vorgeschrieben, davon drei Viertel in Rettungsbooten, der Rest auf Rettungsflossen.
Gäbe es bessere Rettungssysteme?
Ja, es gibt Massenevakuierungssysteme in Form von grossen, aufblasbaren Rettungsinseln, die über aufblasbare Rutschen einfach erreicht werden können – und dies auch noch bei starker Schlagseite des Schiffs. Ähnliche Rettungssysteme kennen wir seit vielen Jahren aus der Luftfahrt. Weil solche Systeme aber auf Passagierschiffen nicht vorgeschrieben sind, werden sie kaum eingesetzt.
Woran erkennt man ein sicheres Kreuzfahrtschiff?
Grundsätzlich gilt: Je grösser ein Schiff ist, desto schwieriger ist ein Notfall zu meistern. Und wenn dieses Schiff dann noch sehr abgelegene Gebiete befährt oder Ozeane überquert, dann darf wirklich nichts schiefgehen.
Es gibt tatsächlich noch grosses Verbesserungspotenzial. Leider muss aber immer erst etwas Schlimmes passieren, damit sich etwas ändert. Ich erwarte nach dem Unglück der «Costa Concordia» signifikante Änderungen in den Bestimmungen zur Schiffssicherheit.
Zur Person
Peter Irminger, 48, aus Uster ZH war bis vor zehn Jahren als Kapitän auf den Weltmeeren unterwegs. Seit 18 Jahren ist er Havarie- und Schifffahrtsexperte, von denen er acht Jahre als Professor für Schifffahrtsrecht und Navigation an der Hochschule Bremen tätig war. Heute ist er Geschäftsführer der Firma Zass International, die nach Havarien die Interessen von Angehörigen der Opfer vertritt.