Das Versicherungsgericht St. Gallen sprach Klartext: «Es ist notorisch, dass gewisse Vermittler beim Beratungsgespräch die Kunden über die Tragweite ihrer Unterschriften im Unklaren lassen bzw. bisweilen gar absichtlich täuschen.»
Zu beurteilen hatte das Gericht den Fall von Johann Willi aus Mosnang SG. Er hatte Besuch eines Vermittlers. Nach dem Beratungsgespräch unterschrieb Willi mehrere Papiere. Er war der Meinung, er habe damit eine Offertanfrage bei der Krankenkasse gestellt. Willi sagt, der Vermittler habe ihm sogar mehrmals versichert, er unterschreibe nur eine unverbindliche Anfrage.
Anfrage war ein formeller Antrag
Doch in Tat und Wahrheit hat Willi einen formellen, bindenden Antrag unterschrieben – und zwar bei der Avenir, die zur Groupe Mutuel gehört. Prompt schickte die Avenir Rechnungen. Weil Willi nicht zahlte, wurde er betrieben.
Zunächst hatte der Mosnanger Glück bei diesem Streit: Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hob die Betreibungen auf. Es sei glaubhaft, dass der Kunde unter Druck gesetzt und getäuscht wurde. Deshalb entspreche die Unterschrift unter den Antrag nicht seinem tatsächlichen Willen. Man wisse ja vom «fragwürdigen Vorgehen der Vermittler in einer Vielzahl von Fällen».
«Kunden falsch oder gar nicht beraten»
Zu Willis grossem Ärger hat das Bundesgericht den St. Galler Entscheid aber ins Gegenteil gekehrt. Damit ist Willi definitiv bei der Avenir versichert. Laut Bundesgericht hat er ein Papier unterschrieben, auf dem deutlich «Beitrittserklärung» sowie «Erklärung des Antragstellers» stehe. Zudem habe er ein Beratungsprotokoll unterzeichnet, das den Satz enthält: «Ich bin informiert, dass es sich nicht um eine Offertanfrage handelt, sondern um einen formellen Antrag auf den Abschluss eines Versicherungsvertrages.» Bei «sorgfältigem Durchlesen der Formulare» sei das klar zu erkennen, sagt das Bundesgericht.
Der Vermittler war damals für die Salesline East GmbH in Dietlikon ZH aktiv. Diese Firma wurde inzwischen aufgelöst. Der Vermittler hat zu den Vorwürfen nicht Stellung genommen. Die Groupe Mutuel erklärt, sie habe keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Verhalten ihres Vermittlers.
Was Johann Willli passiert ist, deckt sich mit den vielen Reklamationen über Vermittler, die beim K-Tipp eingehen. Auffallend oft sind Krankenkassen der Groupe Mutuel involviert, weil diese ausschliesslich freie Vermittler einsetzt, um Kunden zu gewinnen.
Auch beim Ombudsman der Krankenversicherung sind unseriöse Vermittler ein Dauerthema. Viele würden ihre Kunden «falsch oder gar nicht beraten und mit zweifelhaften Methoden zum Versicherungsabschluss bzw. zum Kassenwechsel drängen». Die Beteuerungen der Versicherer, sie würden die Ausbildung der Vermittler ernst nehmen, sei «je länger, je weniger glaubhaft», ärgert sich der Ombudsman im neusten Jahresbericht.
Lassen Sie «Terminbettler» abblitzen
Das sind die wichtigsten Tipps im Umgang mit freien Vermittlern:
- Seien Sie sehr kritisch bei «neutralen» Krankenkassen-Vermittlern, die sich unaufgefordert bei Ihnen melden. Sie sind nur an ihrer eigenen Verkaufsprovision interessiert. Sie vermitteln deshalb nicht die beste Versicherungslösung.l Oft behaupten Vermittler, sie hätten eine gute Lösung. Mit dieser sei der Kunde besser und günstiger versichert als bei seiner jetzigen Krankenkasse. Das ist meist nicht der Fall.
- Unterschreiben Sie nie am Tag, an dem ein Vermittler bei Ihnen zu Hause war. Verlangen Sie Bedenkzeit und lesen Sie noch einmal alles in Ruhe durch.
- Die Formulare, die Vermittler vorlegen, sind immer offizielle Antragsformulare. Wer unterschreibt, ist an den Versicherungsantrag gebunden und hat kein Rücktrittsrecht mehr. Wenn Vermittler behaupten, es brauche die Unterschrift des Kunden als Bestätigung für den Vermittlerbesuch, ist das gelogen.
- Unterschreiben Sie keine «Beratungsprotokolle» und ähnliche Papiere. Im Streitfall dienen sie nur dem Vermittler, weil er so «beweisen» kann, dass er den Kunden richtig beraten und informiert hat.
- Unterschreiben Sie keine Blankovollmacht, mit der der Vermittler Ihre Krankenkasse kündigen kann.
- Sagen Sie nein, wenn sich «Terminbettler» melden und eine Gratis-Krankenkassenberatung anbieten (siehe K-Tipp 7/2013).
Unterschriften gefälscht
Dass Krankenkassen-Vermittler auch nicht vor Delikten zurückschrecken, zeigt der Fall von Edoardo Franzoso von der Züricher Firma NVL Neutrale Versicherungslösungen.
Er war im März 2013 zu Besuch bei Roland Kropf in Uster ZH – und nur wenige Tage später erhielt Kropf von der Krankenkasse CSS einen Willkommensbrief. Er sei ab Mitte 2013 bei der CSS versichert. Und das, obwohl Kropf absolut nichts unterschrieben hatte.
So stellte sich heraus, dass Vermittler Edoardo Franzoso nicht nur die Unterschrift des Kunden gefälscht, sondern viele Angaben im Antrag schlicht erfunden hatte – etwa das Bankkonto für Rückerstattungen sowie den Hausarzt. Und bei den Gesundheitsfragen, die der Vermittler ebenfalls selber ausfüllte, bezeichnete er den Kunden als Nichtraucher, obwohl Kropf starker Raucher ist.
Nicht nur das: Auch für Kropfs Lebenspartnerin Monika Müller und deren erwachsene Töchter fälschte Franzoso je einen Antrag. Bei Monika Müller erfand er ein nicht existierendes UBS-Konto, sogar ihr Geburtsdatum ist auf dem Antrag falsch.
Die Betroffenen haben gegen Vermittler Franzoso Strafanzeige eingereicht. Franzoso selber wollte mit dem K-Tipp nicht über den Fall und seine Beweggründe reden. Er räumt nur ein, er habe einen Fehler gemacht. An Monika Müller mailte er: «Es war nie meine Absicht, Ihnen zu schaden.»