Die Frischluft in den Flugzeugkabinen wird meistens direkt bei den Triebwerken angesaugt (siehe Grafik). Sie strömt dann gekühlt und gefiltert in den Innenraum. Seit Jahren berichten Flugpersonal und Passagiere von Zwischenfällen, die auf giftige Dämpfe in Flugzeugkabinen zurückgehen.
Der jüngste Vorfall: Eine Boeing 777 der American Airlines startete am 27. Januar von London nach Los Angeles. Nach zwei Stunden musste der Pilot umkehren. Mehrere Flugbegleiter und Passagiere klagten über starke Übelkeit und Schwindel. Laut englischen Medien habe es in der Kabine nach Verbranntem gerochen.
Über 600 Ereignisse in acht Jahren
Das ist kein Einzelfall: Die deutsche Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung erhob die Zahl von «Fume Events» für die Jahre 2006 bis 2013. Unter «Fume Events» versteht man jegliche Ereignisse mit Gerüchen, Rauch oder Nebel im Flugzeuginnenraum sowie gesundheitliche Beeinträchtigungen von Flugzeuginsassen. Resultat: Bei 663 Meldungen konnte ein Zusammenhang mit der Kabinenluft hergestellt werden.
Der Swiss-Pilotenverband Aeropers schreibt auf Anfrage des K-Tipp: «Auch im vergangenen Jahr ist es bei uns zu entsprechenden Vorfällen gekommen.» Und die Kabinenpersonal-Vereinigung spricht von «einigen Vorfällen». Das Bundesamt für Zivilluftfahrt schreibt dem K-Tipp: «Letztes Jahr wurden von allen Schweizer Fluggesellschaften 84 ‹Smoke-Smell-Fälle› gemeldet.»
Behörden und Hersteller wiegeln ab
Die Flugzeughersteller und die zuständigen Behörden behaupten, von diesen Vorfällen gehe kein Risiko aus. Boeing erklärt, die Kabinenluft sei sicher. Ein Airbus-Manager beantwortet die Frage, wie sein Unternehmen mit der Luftproblematik umgeht, schlicht so: «Es gibt keine Probleme mit verschmutzter Kabinenluft. Das ist absurd.» Beim Bundesamt für Zivilluftfahrt heisst es: «Man kennt diese Dämpfe. Offenbar haben gewisse Menschen danach gewisse Symptome. Es gibt aber keine Hinweise für eine relevante gesundheitliche Gefährdung.»
Mediziner der Universität Göttingen (D) sehen das anders: Arbeitsmedizinerin Astrid Heutelbeck und ihre Kollegen untersuchten fast drei Jahre lang rund 140 Patienten, die nach Flügen über Beschwerden klagten. Die meisten waren Angestellte von Airlines. Die Ärzte analysierten jeweils unmittelbar nach den Flügen die Blut- und Urinproben ihrer Patienten. Wichtigstes Ergebnis: Sie fanden regelmässig sogenannte flüchtige organische Verbindungen oder deren Abbauprodukte. Als mögliche Ursache vermuten die Ärzte Kerosin, Öle oder Enteisungsmittel, die in den Turbinen bei starker Hitze freigesetzt werden. Diese Stoffe können zu Schleimhautreizungen führen oder Kopfschmerzen und Unwohlsein auslösen.
Obergrenzen für flüchtige organische Verbindungen in der Kabinenluft gibt es nicht. Die Werte werden nicht kontrolliert. Die Studienleiterin Heutelbeck kritisiert: «Das sind alles Stoffe, die in Verbraucherprodukten verboten sind.»
Flugpersonal fordert Massnahmen
Das Kabinenpersonal und die Piloten fordern schon seit Jahren technische Massnahmen. Laut Aeropers sind das unter anderem Sensoren, die gefährliche Dämpfe erkennen können, bessere Filter oder die Verwendung von weniger giftigen Triebwerks-ölen. Die Swiss sagt, für das Öl gebe es «keine Alternative» und Sensoren «für die von uns betriebenen Flugzeuge sind keine erhältlich». Wegen möglicher Filter stehe man in Diskussion mit den Herstellern.
Dabei gäbe es bereits eine Lösung: Die Flugzeughersteller könnten die Kabinenluft nicht über die Triebwerke, sondern separat zuführen. Dies ist technisch möglich, wie die moderne Boeing 787 zeigt. Der «Dreamliner» saugt die Luft für die Kabine nämlich mit einem Kompressor an, der am Flugzeugrumpf angebracht ist. Sowohl Airbus als auch Boeing setzen aber bei anderen Maschinen weiterhin auf die Luftzufuhr über die Triebwerke, um Kosten und Gewicht zu sparen.