In der Sendung «Gredig direkt» des Schweizer Fernsehens räumte Bundesrat Alain Berset am 20. Mai ein, auch er habe im Umgang mit der Pandemie Fehler gemacht: «Ich habe am Anfang die Wissenschaft zu wenig hinterfragt.» Damit meinte er, dass er fälschlicherweise auf die «Experten aus der Wissenschaft» gehört habe, was Gesichtsmasken angeht. Wissenschafter hätten darauf hingewiesen, dass die falsche Handhabung durch die Bevölkerung schädlich sein könne.
Maskenpflicht immer mehr ausgeweitet
Was nach Selbstkritik tönt, ist nichts anderes als Eigenlob. Alain Berset setzte – gegen die Auffassung der Experten – anfänglich eine Empfehlung und dann in mehreren Etappen eine immer weitergehende Maskenpflicht durch. Auf Anfrage des K-Tipp nach den Gründen der Maskenpflicht in der Öffentlichkeit sagt Daniel Dauwalder vom Bundesamt für Gesundheit: «Das Tragen einer Maske erhöht die Aufmerksamkeit und sensibilisiert die Leute gegenüber Covid-19.»
Klar ist aufgrund der aktuellen Studienlage: Eine Gesichtsmaske hält einen Teil der infektiösen, grösseren Virentröpfchen zurück, wenn man spricht oder hustet. Das gilt bei vielen Infektionskrankheiten. In einem Modellversuch mit echten Coronaviren kamen Forscher der University of Tokyo in Japan zum Ergebnis, dass das Ansteckungsrisiko gesenkt werden kann, wenn eine infizierte Person eine Maske trägt.
Was aber gilt bei gesunden Menschen? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hielt 2019 fest, es gebe «keine wissenschaftliche Evidenz», dass das Tragen von Masken durch Gesunde die Übertragung von Erregern wirksam reduziere. Ende des vergangenen Jahres ergänzte die WHO, es gebe «nur begrenzte und widersprüchliche wissenschaftliche Nachweise über die Wirksamkeit des Maskentragens von gesunden Menschen, um Infektionen mit Atemwegviren, einschliesslich Sars-CoV-2, zu verhindern». Eine im November 2020 publizierte Studie mit 4862 Teilnehmern, von denen ein Teil Masken trug, der andere nicht, habe keinen Unterschied bei Infektionen mit dem Coronavirus festgestellt.
Mit Bakterien und Pilzen verseucht
Die erfahrene deutsche Spitalhygienikerin Ines Kapp-stein stellte im vergangenen Jahr in einer ausführlichen Studie die weltweit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Tragen von Gesichtsmasken zusammen. Fazit: «Der Gebrauch von Masken im öffentlichen Raum ist schon allein aufgrund des Fehlens von wissenschaftlichen Daten fragwürdig.» Ziehe man dazu noch die erforderlichen Vorsichtsmassnahmen in Betracht, müssten Masken nach den aus Spitälern bekannten Regeln im öffentlichen Raum sogar «als Infektionsrisiko» betrachtet werden. Grund: Die Leute benützen die Masken mehrmals und berühren sie häufig mit den Fingern, ohne nachher sofort die Hände zu waschen. Die Verseuchung von gebrauchten Masken mit Bakterien und Pilzen wies der K-Tipp in einem Test nach (K-Tipp 15/2020).
Mit Maske kaum weniger Infektionen
Auch eine dänische Studie mit 6000 Personen ergab keinen eindeutigen Nutzen beim Tragen von Masken. Der Kardiologe Henning Bundgaard von der Universität Kopenhagen und weitere Forscher stellten fest: Von denjenigen Versuchspersonen, die eine Maske trugen, wurden 1,8 Prozent positiv auf eine Corona-Infektion getestet. Von denjenigen, die keine Masken trugen, waren es 2,1 Prozent. Es gab also keinen signifikanten Unterschied. Pikant: Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Studie wurden monatelang nicht publik gemacht. Erst nach fünfmonatiger Verzögerung erschien die Arbeit Mitte November 2020 in den renommierten «Annals of Internal Medicine» (USA).
Ein internationales Forscherteam um Jan Brauner von der University of Oxford (GB) prüfte die Wirkung verschiedener Massnahmen gegen Covid-19 in 41 Ländern – darunter auch der Schweiz. Die Experten kamen zum Schluss, dass die Schliessung von Schulen und Hochschulen die Coronapandemie am effektivsten eindämmte. Sie senke die Virenausbreitung im Durchschnitt um 50 Prozent. Dagegen habe die Schliessung von Geschäften einen mässigen und die Vorschrift, zu Hause zu bleiben, einen geringen Einfluss auf die Eindämmung der Pandemie. Die Maskentragpflicht hat laut den Experten mit 2 Prozent einen minimen Einfluss.
Für eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum fehlt es nicht nur an einem wissenschaftlichen Nachweis des Nutzens – es gibt auch keine Evidenz für ihre Wirksamkeit. Vor einem Jahr waren in der Schweiz noch keine Masken vorgeschrieben. Trotzdem sank die Positivitätsquote in den Monaten Mai und Juni auf den bisherigen Tiefstpunkt während der Pandemie. Am 1. Juli ordnete der Bundesrat dann eine Maskenpflicht in Bahnen und Bussen an. Seither stieg die Quote der positiv Getesteten.
Im Herbst verordnete die Regierung zudem eine Maskenpflicht in den Läden – obwohl die Erfahrungen einzelner Kantone mit dieser Massnahme keine Wirksamkeit belegten (K-Tipp 16/2020). Folge: Die Positivitätsrate stieg weiter, sie erreichte im Oktober und November gar neue Höchstwerte. Seit Anfang Jahr sinkt die Quote der positiv Getesteten Woche für Woche. Trotzdem führte der Bundesrat ab 18. Januar 2021 zusätzlich eine Maskenpflicht im Büro ein.
Tiefere Todeszahlen in liberalen Ländern
Auch ein Blick über die Landesgrenzen spricht nicht für die besondere Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen: Die Corona-Todeszahlen liegen in der Schweiz trotz rigiden Massnahmen bei 883 pro Million Einwohner. Zum Vergleich: In Schweden gab es für das ganze Jahr 2020 weder eine Empfehlung noch eine Pflicht zum Maskentragen. Das Land hatte etwas weniger Todesfälle zu beklagen (864). Sogar nur auf 224 Covid-Todesfälle pro Million Einwohner kam Dänemark. Auch dort gingen die Behörden viel weniger rigoros vor als die Schweiz. Sie empfahlen erst ab Juli 2020 das Tragen einer Maske, und erst im August gab es für einige öffentliche Plätze eine Maskenpflicht.
Italien und Frankreich hingegen setzten auf ein hartes Maskenregime – mit wenig Erfolg: In Italien gab es seit April 2020 eine generelle Maskenpflicht – dennoch war die Zahl der Toten mit 1227 pro eine Million Einwohner für das ganze Jahr sehr hoch. Frankreich verlangte im Mai für gewisse öffentlich zugängliche Orte eine Maske und dehnte ab Juli die Massnahme auf alle öffentlichen Plätze aus. Die Zahl der Toten belief sich auf 958 pro Million.
Wie gering der Einfluss der Masken auf die Pandemie ist, zeigt auch das Beispiel USA: In Florida läuft das öffentliche Leben seit Ende September 2020 wieder wie in der Zeit vor der Pandemie. Kalifornien hingegen setzte stark auf Masken. Gemäss Zahlen der Johns-Hopkins-Universität (USA) liegt die Zahl der Covid-Todesfälle in Florida 8 Prozent unter dem Durchschnitt des Landes. Die zweite Welle im Winter überstand Florida deutlich besser als Kalifornien.