Gefangen in der Coop-Filiale
Bei ihrer Jagd auf Ladendiebe ist den Mitarbeitern einer Coop-Filiale in Olten fast jedes Mittel recht. Zweimal innert kurzer Zeit kamen dabei Kunden zu Schaden.
Inhalt
K-Tipp 17/2002
16.10.2002
Philipp Lütscher pluetscher@ktipp.ch
Mittwoch, 18. September, kurz vor 17 Uhr: Wie so oft geht Siv Lehmann nach der Arbeit in den Coop im Oltener Einkaufszentrum Oltimo. Sie packt ein paar Dinge ins Körbli und stellt sich in die Reihe an der Kasse, vor sich zwei junge Männer. Die beiden zahlen und gehen Richtung Ausgang.
In diesem Moment ruft eine Frau, die sich später als Ladendetektivin herausstellt, einer Verkäuferin zu: «Schliess die Türe!» Die Detektivin spricht die beiden Männer an und sagt, sie habe si...
Mittwoch, 18. September, kurz vor 17 Uhr: Wie so oft geht Siv Lehmann nach der Arbeit in den Coop im Oltener Einkaufszentrum Oltimo. Sie packt ein paar Dinge ins Körbli und stellt sich in die Reihe an der Kasse, vor sich zwei junge Männer. Die beiden zahlen und gehen Richtung Ausgang.
In diesem Moment ruft eine Frau, die sich später als Ladendetektivin herausstellt, einer Verkäuferin zu: «Schliess die Türe!» Die Detektivin spricht die beiden Männer an und sagt, sie habe sie beim Stehlen beobachtet: «Bitte folgen Sie mir ins Büro.»
Die beiden denken nicht daran. Sie reagieren empört und gereizt. Jetzt stellen sich auch die drei Verkäuferinnen dazu. Einem der beiden Männer wird das zu viel. Er schreit: «Lasst uns raus hier!»
«Öffnet endlich die Türe!»
Siv Lehmann ist beunruhigt. Sie befürchtet, die Verdächtigten könnten sich zu einer Kurzschlussreaktion hinreissen lassen.
Lange Minuten verstreichen. Nach wie vor sind rund 30 Kunden eingeschlossen. Jetzt wird es Siv Lehmann zu viel. Sie ruft: «Öffnet endlich die Türe!» Die Ladendetektivin weigert sich. Lehmann gibt nicht auf: «Ihr gefährdet euch ja selber. Habt Ihr keine anderen Instruktionen?» Darauf die überforderte Ladendetektivin: «Was kann man denn machen? Haben Sie eine Idee?» Siv Lehmann kann es nicht fassen: «Das ist nicht meine Sache. Ich will nur raus hier.»
Kurze Zeit später trifft die Polizei ein. Die Polizisten führen die Verdächtigten ins Büro und die Kunden können den Coop gemäss Lehmann erst nach 20 Minuten wieder verlassen.
Siv Lehmann regt sich heute noch auf: «Man darf doch als Kundin nicht im Laden festgehalten werden.»
Dieser Ansicht ist auch Günter Stratenwerth. «Das muss man sich nicht gefallen lassen», sagt der ehemalige Professor für Strafrecht an der Uni Basel. «Die Kundin könnte eine Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung oder zumindest Nötigung einreichen.»
Entsprechend peinlich ist der Vorfall der Coop-Direktion. Stephanie Weiss, Pressesprecherin von Coop Nordwestschweiz: «Das Personal hätte die Türen nicht so lange verschlossen halten dürfen. Wir müssen uns bei den Kunden dafür entschuldigen.» Weiss erwähnt, dass der betreffende Coop in einem «schwierigen Quartier» mit hoher Kriminalität liege.
Ist das der Grund für den Übereifer der Mitarbeiter dieser Coop-Filiale? Bereits im Sommer hatte nämlich der Filialleiter einen Ladendieb mit einem Pfefferspray an der Flucht hindern wollen. Weil sich das starke Gas im geschlossenen Raum nicht verflüchtigen konnte, mussten sich mehrere Kunden mit Atembeschwerden auf den Boden legen.
Grosseinsatz von Polizei und Feuerwehr
Die herbeigerufene Feuerwehr konnte die Art des Gases nicht bestimmen und löste Grossalarm aus. Kurz darauf trafen Stadt- und Kantonspolizei, 30 Mann der Feuerwehr Olten, 22 Mann des Katastrophendienstes der Feuerwehr Aarau mit Sauerstoffanhänger, ein Rega-Helikopter und sechs Ambulanzfahrzeuge ein.
Der Ladendieb ist übrigens bis heute nicht gefasst worden.
Kunden müssen sich nicht alles gefallen lassen
- Taschenkontrollen: Das Personal darf die Taschen von Kunden nur durchsuchen, wenn am Ladeneingang unübersehbare Hinweistafeln auf derartige Kontrollen aufmerksam machen. In Läden ohne entsprechende Hinweistafel darf das Personal keine routinemässigen, stichprobenartigen Taschenkontrollen durchführen.
- Diebstahl: Taschenkontrollen sind in allen Läden zulässig, wenn jemand bei einem Diebstahl ertappt wird. In diesem Fall darf das Personal auch in Taschen und Kleider des Täters greifen, um ihm das Diebesgut wieder abzunehmen.
- Schadenersatz: Kunden, die bei einem Einsatz gegen Ladendiebe psychisch oder physisch zu Schaden kommen, können beim Ladenbesitzer Schadenersatz fordern.