Vor sieben Jahren hörte Roberto Romeo aus Turin von einem Tag auf den anderen nicht mehr richtig. Die Ärzte entdeckten am Gehörgang einen gutartigen Tumor. Sie operierten das Geschwulst. Dabei mussten sie dem Patienten auch den Hörnerv des rechten Ohrs entfernen. Seitdem hört Romeo nur noch mit dem linken Ohr und ist nicht mehr voll erwerbsfähig. Zuvor arbeitete der heute 57-jährige Manager 15 Jahre lang bei der italienischen Telecom.
Das Besondere an Roberto Romeos Job: Er musste nach eigenen Angaben während der Arbeitszeit täglich zwischen drei und vier Stunden mit dem Handy telefonieren.
Romeo klagte vor dem Arbeitsgericht der norditalienischen Stadt Ivrea gegen die Unfallversicherung des Betriebs und verlangte eine Entschädigung.
Anfang April erging das Urteil: Der Richter gab Romeo recht und anerkannte den Tumor als Berufskrankheit. Folge: Die Unfallversicherung muss Romeo lebenslänglich eine monatliche Rente von 500 Euro zahlen. Das Gericht stützte seinen Entscheid auf aktuelle Studien und Gutachten von Experten. Sie zeigen: Es besteht ein Zusammenhang zwischen hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung von Handys und dem Risiko, an einem Hirntumor zu erkranken.
Diverse Studien bestätigen Risiko
Das sind die wissenschaftlichen Erkenntisse zum Thema:
Risiko intensiver Handygebrauch: Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte die Mobilfunkstrahlung bereits 2011 als «möglicherweise krebserregend» ein. Diese Einschätzung beruhte unter anderem auf der Interphonestudie. Sie ergab: Intensiver Handygebrauch erhöht das Risiko für Hirntumore um 40 Prozent. Unter «intensivem Gebrauch» verstehen die Forscher, dass jemand in seinem Leben total mindestens 1640 Stunden mit dem Handy am Ohr telefoniert hat. Dafür reicht es, wenn jemand während fünf Jahren täglich eine Stunde per Handy telefoniert.
Bis zu fünffach höheres Hirntumorrisiko: Das Gericht in Ivrea stützte sich zudem auf die Forschungsergebnisse der schwedischen Wissenschafter Lennart Hardell und Michael Carlberg. Diese kamen zum Schluss: Vielnutzer von Handys haben über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren ein bis zu fünffach erhöhtes Risiko für bestimmte Hirntumore. Es handelt sich dabei um dieselben Tumorarten, die 2016 in den USA an Ratten unter entsprechender Bestrahlung festgestellt wurden (NTP-Studie).
Mobilfunk als «krebserregend» einstufen: Weltweit wurden bislang rund 1380 Untersuchungen zum Einfluss von Mobilfunk auf die menschliche Gesundheit durchgeführt. Das geht aus der Datenbank EMF-Portal der Technischen Universität Aachen (D) hervor. Basierend auf dem aktuellen Forschungsstand, fordern Hardell und Carlberg eine neue Bewertung des Risikos: Die WHO müsse Mobilfunkstrahlung in die Kategorie «krebserregend» einordnen.
Die Bedeutung des Urteils wurde in vielen Medien relativiert: Ein klarer Zusammenhang zwischen Hirntumoren und der Nutzung von Mobiltelefonen sei nicht nachweisbar, es gebe keine Langzeitstudien, der Wirkmechanismus sei unklar. Tatsächlich ist wissenschaftlich noch nicht abschliessend geklärt, wie genau die Handystrahlung auf die menschlichen Organe wirkt. Doch das Gericht in Ivrea beruft sich auf das Vorsorgeprinzip: Auch bei Asbest wisse man bis heute nicht genau, auf welche Weise der Stoff schädige. Dennoch ist seine Schädlichkeit unbestritten.
Der Fall Romeo ist nicht das erste Mal, dass ein italienisches Gericht den Zusammenhang zwischen Krankheit und Handystrahlung als gegeben erachtet. Bereits 2012 hatte das Kassationsgericht in Rom das häufige Mobiltelefonieren eines Managers als Ursache für dessen Tumorerkrankung anerkannt.
Suva: «Bei eindeutiger Ursache versichert»
Wie reagiert die Suva auf das Urteil aus Ivrea? Sie ist der grösste Unfallversicherer der Schweiz. Berufskrankheiten müssen in der Schweiz wie Unfälle entschädigt werden. Gegenüber dem K-Tipp sagt Suva-Sprecher Serkan Isik: «Wenn das berufsbedingte Telefonieren mit dem Handy eindeutig als Ursache für eine Berufskrankheit festgestellt würde, wäre dies bei der Suva grundsätzlich versichert.»
Weniger Handystrahlung
So lässt sich die Strahlenbelastung durch Handys reduzieren:
- Telefonieren Sie per Festnetz, halten Sie Telefonate mit dem Handy kurz.
- Verwenden Sie zum Telefonieren mit dem Handy Kopfhörer oder Headsets. Die Zeitschrift «Saldo» testete kabellose Headsets in Ausgabe 19/2016. Den Test finden Sie unter www.ktipp.ch/eH3429.
- Schalten Sie das Handy aus, wenn Sie es nicht brauchen.
- Telefonieren Sie nur bei gutem Empfang und nicht im Auto oder im Zug.
- Kaufen Sie ein Handy mit niedrigem Sar-Wert. Er misst die Erwärmung des Gehirns durch Handystrahlen. «Saldo» testete kürzlich Smartphones bis zu einem Preis von 400 Franken (Ausgabe 1/2017). Diverse Modelle fielen dabei mit einem tiefen Sar-Wert auf. Hier geht es zum Test: www.ktipp.ch/eJb158.
Buchtipp: Wie man Elektrosmogquellen erkennt und was man dagegen tun kann, lesen Sie im Ratgeber «Gesundheitsrisiko Elektrosmog». Bestellen Sie das Buch auf www.ktipp.ch.