Was ist wichtiger: einigen wenigen Konzernen Milliardengewinne zu bescheren – oder die Bevölkerung vor Gift zu schützen? Auf diese Frage lässt sich das aktuelle Kräftemessen um das Pestizid Glyphosat reduzieren. Bauern versprühen den Unkrautvertilger in grossen Mengen auf den Äckern. Von dort findet er den Weg in die menschliche Nahrung. Bei einer Stichprobe der Zeitschrift «Gesundheitstipp» (5/15) hatte jeder zweite Glyphosat im Urin.
Europäische Behörde empfiehlt Zulassung
Die Zulassung von Glyphosat in Europa läuft dieses Jahr aus. Der US-Konzern Monsanto ist der führende Hersteller und Vertreiber des Pflanzengifts. Unter der Führung von Monsanto Europe wollen Agrochemieunternehmen die Zulassung verlängern.
Die Internationale Agentur für Krebsforschung, die zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört, warnte, das Unkrautvertilgungsmittel sei «wahrscheinlich krebsauslösend». Substanzen, die krebserregend sind, dürfen gemäss der Pestizidverordnung der EU nicht vertrieben und angewendet werden. Die Europäische Agentur für Ernährungssicherheit (EFSA) hält Glyphosat aber für unbedenklich. Sie stützt sich dabei auf die Bewertung des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Die europäische Agentur empfiehlt der EU daher, Glyphosat für weitere 15 Jahre zuzulassen.
EU-Staaten sind sich uneinig
Die Entscheidung, ob das Mittel weiter benutzt werden darf, ist noch nicht gefallen. Die EU-Staaten sind sich uneinig. Deutschland mit seiner mächtigen Chemieindustrie will den Unkrautvertilger weiter zulassen – aus Frankreich und anderen Staaten hingegen kommt ein klares Nein.
Das ist ein Etappensieg für die Kritiker des Pflanzengifts. Diese gibt es weltweit. 96 Wissenschafter aus 25 Ländern kritisierten die Empfehlung von EFSA und BfR in einem offenen Brief scharf. Unter ihnen war auch Martin Röösli, Leiter des Bereichs Umwelt und Gesundheit des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts in Basel.
Die Unterzeichner des Briefs werfen dem Bundesinstitut BfR vor, seine Bewertung von Glyphosat allein auf drei Studien zu stützen, die nicht öffentlich zugänglich seien. Die Kritiker hegen den Verdacht, dass diese Studien «von der Industrie gefördert oder lanciert worden sind».
Personelle Verflechtungen zwischen dem Bundesinstitut für Risikobewertung und Unternehmen der chemischen Industrie sind tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Beispiel: Inge Broer, die Vorsitzende der BfR-Kommission «Genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel», wirkte unter anderem an der Anmeldung von Patenten des Chemiemultis Bayer auf mehrere herbizidtolerante, gentechnisch veränderte Pflanzen mit. Bayer ist Lizenznehmer des Monsanto-Unkrautvertilgers in Deutschland. Broer ist ausserdem Mitbegründerin und Gesellschafterin der Firma BioOK GmbH, die unter anderem Dienstleistungen für Konzerne wie Monsanto anbietet.
Gerhard Eisenbrand war bis 2011 Vorsitzender der BfR-Kommission. Ungeachtet seiner Funktion als wissenschaftlicher Beirat des Bundesinstituts, die er bis vor kurzem innehatte, ist er Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor des europäischen Zweigs des International Life Science Institute (ILSI). Dieses wird von Unternehmen der Lebensmittelindustrie, der Agrochemie und Gentechnik finanziert.
«Übermässige Industrienähe»
Stefan Vieths, Mitglied der BfR-Kommission für Ernährung, führte im Auftrag von Monsanto Untersuchungen zum Allergiepotenzial gentechnisch veränderter Pflanzen durch. Ausserdem ist er Mitglied einer Arbeitsgruppe des ILSI, an der Agrochemieriesen wie BASF Plant Science, Bayer Crop Science, Monsanto und Syngenta beteiligt sind.
Laut dem Rechercheportal Lobbypedia.de sind das keine Einzelfälle. Bei mindestens 9 von 13 Mitgliedern des Bundesinstituts für Risikobewertung bestehe «der Verdacht der Voreingenommenheit und der übermässigen Industrienähe».
Strafanzeige wegen Betrugs eingereicht
Diese «Industrienähe» wird auch von anderer Seite dokumentiert. So berichtete die «Süddeutsche Zeitung» vor einem Jahr, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung unter anderem Leserbriefe an eine Fachzeitschrift als Studien der Glyphosat-Forschung gewertet habe. Viele der Autoren dieser Leserbriefe seien direkt oder indirekt für den Konzern Monsanto tätig gewesen.
Die Zeitung zitierte die Toxikologin Irene Witte: «Wenn man weiss, dass diese Briefe hauptsächlich aus dem Umfeld von Monsanto geschrieben wurden, liegt der Verdacht nahe, dass das BfR eher die Interessen von Monsanto vertritt, anstatt seiner Aufgabe nachzugehen, Gesundheitsschäden von der Bevölkerung abzuwenden.»
In der Schweiz nahmen Migros und Coop glyphosathaltige Produkte wie Roundup und Gesal aus dem Sortiment. Unter Führung von Greenpeace reichten verschiedene Schweizer Umwelt- und Konsumentenorganisationen eine Petition ein, damit Glyphosat verboten wird.
Acht europäische Umweltschutzorganisationen haben Strafanzeige wegen Betrugs erstattet – gegen Monsanto Europe, die europäische Agentur EFSA und das Bundesinstitut BfR. Adressaten sind die Staatsanwaltschaften von Berlin und Wien. Die Anzeigeerstatter werfen den Beschuldigten vor, im Antrag auf Verlängerung der Zulassung verschwiegen zu haben, dass Glyphosat in fünf dort genannten Studien bei Tieren Krebs verursacht hatte. Laut der EU-Verordnung über Pestizide sind Substanzen nicht zugelassen, die in mindestens zwei Tierversuchen eine signifikante krebserregende Wirkung zeigen.
Laut Strafanzeige wurden in den USA schon mehrmals Glyphosat-Testergebnisse gefälscht. Die schuldigen Labors seien strafrechtlich verurteilt worden.
Monsanto schreibt dem K-Tipp: «Wir distanzieren uns von medienwirksam inszenierten Diskussionen, die die Verunsicherung der Verbraucher zur Erreichung politischer Interessen zum Ziel haben. Wir fordern eine sachliche Diskussion auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse.»
Glyphosat im Bier: Diese Sorten sind belastet
Das Umweltinstitut München hat kürzlich in deutschen Bieren Rückstände des Pestizids Glyphosat nachgewiesen. Das Pflanzengift könnte über Getreidemalz ins Bier gelangt sein, vermutet das Umweltinstitut.
Die gemessenen Werte erreichten im Extremfall das 300-Fache des gesetzlichen Grenzwerts für Trinkwasser. Dieser liegt bei 0,1 Mikrogramm Glyphosat pro Liter. Für Bier besteht kein Grenzwert. Diese Glyphosatwerte mass das Umweltinstitut bei Biersorten, die teilweise auch in der Schweiz vertrieben werden: