Die Leistungen der SBB auf der Gotthardstrecke sind seit über 15 Jahren ein Trauerspiel: Pannenanfällige Züge mit entsprechenden Verspätungen und unkomfortable Reisewagen gehören zum Alltag auf der einstigen Paradestrecke. Auch nach Ausrangierung der störungsanfälligen Cisalpino-Kompositionen hat sich das nicht geändert.
Beispiel: Wer am Freitag, 8. Juli, in Zürich um 11.09 den Zug nach Lugano nahm, erfuhr vor Bellinzona: «Infolge Verspätung fährt der Zug nicht mehr weiter. Bitte aussteigen!» Eine halbe Stunde später kam ein Regionalzug. Bei Ankunft in Lugano betrug die Verspätung über eine Stunde. Abends um acht Uhr zurück nach Zürich gings immerhin ohne Umsteigen, aber wegen Brems- und Lokstörungen auch nicht unter einer Stunde Verspätung.
Bergstrecke wird vernachlässigt
Ab dem Fahrplanwechsel vom 11. Dezember fahren die SBB-Personenzüge meist durch den neuen Basistunnel. Die bisherige Verbindung über die Bergstrecke zwischen Göschenen und Airolo, auf der man rund 30 Minuten länger unterwegs ist, wird dann von den SBB nur noch schlecht bedient: Die Direktverbindungen werden gestrichen, die Interregio-Züge von Basel, Zürich und Luzern fahren nur noch bis Erstfeld. Wer weiter ins Tessin reist, muss hier umsteigen. Zwischen Erstfeld und Bellinzona fahren stündlich Regio-Express-Züge.
Das ausgedünnte Angebot der SBB verärgert Pro Bahn Schweiz, die Interessenvertretung der Bahnkunden: «Es ist unattraktiv, lieblos und sollte gar nicht erst eingeführt werden», sagt Präsident Kurt Schreiber. Allein das Umsteigen in Erstfeld bewirke Zeitverluste, sei unbequem, unbeliebt und widerspreche erst noch dem Grundsatz von Bahn 2000 mit möglichst vielen umsteigefreien Verbindungen. «Kommt hinzu, dass Züge mit reduziertem 1.-Klasse-Komfort und ohne Zugbegleitung eingesetzt werden», kritisiert Schreiber. Pro Bahn fordert, dass wie bisher Interregio-Züge über die Bergstrecke fahren.
Südostbahn will eine Konzession
Dass es kundenfreundlicher ginge, zeigt die Südostbahn AG (SOB). Das Unternehmen hat beim Bundesamt für Verkehr ein Konzept für die Gotthard-Bergstrecke ab Ende 2017 eingereicht. Denn dann laufen die meisten Konzessionen der SBB für den Fernverkehr aus. Die SOB will im Gegensatz zu den SBB alle zwei Stunden Direktverbindungen von Basel, Luzern und Zürich über die alte Gotthard-Bergstrecke bis Lugano anbieten. Zusätzlich ist ein Stundentakt auf der Strecke Arth-Goldau–Lugano via Gotthard-Bergstrecke geplant. Die Südostbahn ist überzeugt, die Strecke kostendeckend betreiben zu können – sogar mit neuem Rollmaterial und Zugbegleitern.
Das Bundesamt für Verkehr muss nun entscheiden, wer ab Ende 2017 die Konzession für die Gotthard-Bergstrecke erhält. Die Konzepte von SOB und SBB werden gemäss dem Bundesamt auf Kundenfreundlichkeit, betriebliche Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft.
Klar ist: Im direkten Vergleich schwingt das SOB-Angebot gegenüber jenem der SBB genau betreffend Direktverbindungen sowie einen kostendeckenden Betrieb obenaus.
«Das grosse Feuer spüren wir noch nicht»
Auch Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr, ist vom SBB-Angebot offenbar nicht begeistert. Er stellte in der Presse fest: «Die SBB haben sich engagiert, aber das grosse Feuer für den Betrieb der Gotthard-Bergstrecke spüren wir noch nicht.» Trotzdem liess er anklingen, dass die Neuvergabe der Konzession allenfalls um ein bis zwei Jahre verschoben werde.
Werden die SBB vom Bundesamt also bevorzugt behandelt? Sprecher Gregor Saladin sagt: «Ziel ist es, die Konzession bis Ende 2017 zu vergeben. Die Prüfung läuft. SBB und SOB werden gleich behandelt.»
Schon in den Jahren 2013 und 2014 hatte sich die SOB um den Betrieb der Gotthard-Bergstrecke beworben – und vom Bundesamt für Verkehr jeweils eine Abfuhr kassiert. Die Begründung damals: Das Angebot der SOB stelle die laufende Konzession der SBB in Frage.