Der Vorwurf wurde in den vergangenen Wochen in Zeitungen immer wieder verbreitet: Die Konsumenten seien die Hauptschuldigen bei der Verschwendung von Lebensmitteln. So behauptete zum Beispiel Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft, Anfang November im «Tages-Anzeiger»: «Schweizer werfen einen Drittel ihrer Nahrungsmittel weg.»
Der WWF haut auf seiner Website in dieselbe Kerbe: Die Konsumenten seien die grössten Verursacher des sogenannten Food-Waste. Gemäss Watson.ch sind die Privathaushalte sogar für «40 Prozent der Lebensmittelverschwendung verantwortlich». Wären die Zahlen korrekt, würde ein Vier-Personen-Haushalt täglich ein Kilogramm Lebensmittel wegwerfen.
Alle drei Aussagen beziehen sich auf den gleichen Bericht der ETH aus dem Jahr 2019, den das Bundesamt für Umwelt in Auftrag gab. Er stützt sich auf zwei ältere Arbeiten, eine Untersuchung von Kehrichtsäcken aus dem Jahre 2014 sowie eine Grüngutstudie von 2018. Beide untersuchten die Zusammensetzung des weggeworfenen Gutes.
Vorwürfe des Bundes sind nicht belegt
Diese Datengrundlage war den ETH-Autoren aber zu mangelhaft: Es blieb unklar, was und wie gemessen wurde. Deshalb zogen die Wissenschafter eine Untersuchung aus England und Wales heran und übertrugen deren Resultate auf die Schweiz.
Die britischen Autoren befragten vor zehn Jahren 2000 Haushalte über deren Umgang mit Esswaren und massen die Lebensmittelabfälle. Zu den vermeidbaren Verlusten zählten die Befrager auch Rüstabfälle wie zum Beispiel Kartoffelschalen.
Auf Anfrage des K-Tipp bestätigt ETH-Autor Claudio Beretta: «Die Zahlen zur Lebensmittelvernichtung in Schweizer Haushalten sind unsicher.» Eigene Erhebungen zu weggeworfenen Esswaren habe man nicht gemacht.
Eine andere ETH-Studie aus dem Jahr 2015 hatte die Verschwendung bei Kartoffeln vom Acker bis zum Teller untersucht. Die Autoren kamen zum Schluss, Haushalte würden nur 15 Prozent aller Lebensmittel wegwerfen. Die grosse Verschwendung erfolge auf den Äckern und bei der Anlieferung imGrosshandel. Zwei Drittel der geernteten Speisekartoffeln würden an den übersteigerten Qualitätsanforderungen scheitern – weil sie zu klein, zu gross, zu unförmig seien oder kleinere Makel hätten.
Grossverteiler spielen ihre Marktmacht aus
Dabei spielen die Migros und Coop eine zentrale Rolle. Sie bestimmen aufgrund ihrer Marktmacht, was verkauft und was weggeworfen wird. Das wurde dem K-Tipp von mehreren Kartoffelproduzenten bestätigt.
Die Verantwortung schieben die Grossverteiler aber gerne auf die Konsumenten ab – mit dem Argument, sie würden lediglich makellose Ware kaufen.
Immer wieder zeigt sich jedoch, dass die Grossverteiler treibende Kraft der Lebensmittelverschwendung sind. So deckte der K-Tipp im Sommer auf, dass Grossverteiler jährlich 5000 Tonnen Fleisch vernichten, statt es am Ablaufdatum einzufrieren und dann weiterzuverkaufen (K-Tipp 12/2022).
Der Bund verlangt nun, die Lebensmittelverluste bis 2025 um einen Viertel zu senken. Wird dieses Ziel nicht erreicht, will er den Handel zu konkreten Massnahmen verpflichten.