Eigentlich waren die Worte von Daniel Flach an einer Fachtagung in Bern nur für das Tagungspublikum gedacht. Wie der Hausarzt und Geschäftsführer der Notfallpraxis City-Notfall in Bern berichtete, zahlen Fachärzte und Spitäler dafür, dass ihnen ein Hausarzt einen Patienten überweist. Die Zeitung «Nordwestschweiz» machte die Sache publik.
Daniel Flach nannte an dieser Tagung gleiche mehrere Beispiele:
- Wenn die Gruppenpraxis A einen Privat- oder Halbprivatpatienten dem Privatspital B überweise, zahle dieses 500 Franken.
- Das Ärztenetzwerk C überweise seine Patienten für Computer- und Magnetresonanz-Tomografien stets ans öffentliche Spital D. Das sei dem Spital jeweils «eine grosszügige Geste» wert.
- Das Ärztenetzwerk E verlange von der Orthopädengruppe F für jeden Patienten, der für eine Operation überwiesen wird, einen fixen Betrag. Wenn die Orthopäden nicht zahlen, erhielten sie auch keine Patienten vom Ärztenetzwerk E.
Daniel Flach berichtete auch, dass ein Orthopäde beim City-Notfall in Bern vorstellig geworden sei. Er habe für jeden überwiesenen Patienten einen Geldbetrag geboten. Flach habe abgelehnt: «Wir überweisen unsere Patienten nur an erstklassige Chirurgen.» Der erwähnte Orthopäde gehöre nicht dazu.
Überweisung um des Geldes willen
Die Provisionen – auch «Kickbacks» genannt – sind höchst problematisch. Denn sie können dazu führen, dass ein Hausarzt seine Patienten nicht an den geeignetsten Facharzt oder das geeignetste Spital überweist, sondern dorthin, wo am meisten Geld herkommt – quasi an den Meistbietenden.
Doch das ist noch nicht alles: Es besteht sogar die Gefahr, dass die Ärzte ihre Patientinnen und Patienten ohne medizinische Notwendigkeit überweisen – nur des Geldes wegen. Schlimmstenfalls sogar für eine Operation.
Die Ärzteschaft ist sich dieser Risiken durchaus bewusst. Deshalb hat die Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH) in ihre Standesregeln geschrieben: «Arzt und Ärztin dürfen für die Zuweisung von Patienten und Patientinnen kein Entgelt oder andere Vorteile versprechen oder entgegennehmen.»
Provisionen stünden den Patienten zu
Der St. Galler Professor für Sozialversicherungsrecht Ueli Kieser ist der Meinung, dass Provisionen an Hausärzte gegen das Medizinalberufegesetz verstossen. In diesem Gesetz ist festgehalten: Ärzte wahren «ausschliesslich die Interessen der Patientinnen und Patienten und handeln unabhängig von finanziellen Vorteilen».
Sollte ein Hausarzt trotzdem Provisionen erhalten, dann stünden diese nach Ueli Kiesers Ansicht dem Patienten zu. Oder allenfalls der Krankenkasse, falls sie für die Behandlung aufkommt.
So sieht es auch der Berner Professor für Privatrecht Thomas Koller: «Nach meiner Beurteilung bestünde hier gestützt aufs Obligationenrecht eine Ablieferungspflicht. Die Situation ist vergleichbar mit den berühmten Retrozessionsfällen im Bankrecht.»
Klar zugunsten der Patienten lauten auch die Regelungen im Krankenversicherungsgesetz (KVG). Allerdings hat das KVG einen Haken. Es regelt nur Fälle, die von der Grundversicherung gedeckt sind. Die meisten Provisionen dürften aber für Halbprivat- und Privatpatienten fliessen.
Die wichtigsten Tipps für Patienten:
- Falls Ihr Hausarzt Sie an einen ganz bestimmten Facharzt oder ein bestimmtes Spital überweisen will: Fragen Sie, ob Sie zu einem anderen Arzt oder in ein anderes Spital gehen könnten.
- Falls nicht: Fragen Sie, ob der Arzt für die Überweisung eine Provision erhalte und wie hoch sie sei.
- Machen Sie deutlich, dass die Provision nicht ihm, sondern Ihnen zusteht.
Wie bei den Banken: «Kickbacks» gehören den Kunden
Wer einen Arzt aufsucht, erteilt ihm rechtlich einen Auftrag. Der Patient verpflichtet sich damit, für den Aufwand des Arztes ein Honorar zu zahlen. Der Arzt als Beauftragter muss den Patienten sorgfältig beraten, behandeln und allein dessen Interessen wahren.
Um Interessenkollisionen auszuschliessen, sagt das Gesetz, dass ein Beauftragter kein Geld von anderen annehmen darf. Und wenn er dies doch tut, muss er das dem Patienten bekanntgeben und ihm das Geld aushändigen.
Bekannt wurden die Begriffe «Retrozession» und «Kickback» im Bankenwesen. Banken, die im Auftrag von Kunden Fondsanteile kaufen, kassieren von den Fondsgesellschaften eine Provision – eben eine «Retrozession» oder einen «Kickback».
Das Bundesgericht hat mehrfach entschieden, dass die Banken diese Gelder ihren Kunden weitergeben müssen. Dasselbe gilt auch für Ärzte, Anwälte oder Architekten.