Die Schweizer Bauern mussten das Insektengift Imidacloprid im Juni aus den Schränken räumen. Der Bund entzog dem Nervengift aus der Gruppe der Neonikotinoide die Zulassung. Der Berner Bienenforscher Lars Straub kennt den Grund: «Für Bienen und andere Bestäuber wie Schmetterlinge und Wespen sind kleinste Mengen Neonikotinoide tödlich.»
Trotzdem dürfen Hobbygärtner im Gegensatz zu Bauern Imidacloprid weiter kaufen und einsetzen. Die Firma Sintagro zum Beispiel verkauft es auf ihrer Website für Fr. 12.90 als «hochattraktives Gel zur Bekämpfung von Haus- und Gartenameisen». Benutzer sollen es ins Ameisennest einbringen oder es in Form von Tropfen oder Linien daneben verteilen. Bienen kämen so nicht mit dem Gift in Kontakt, behauptet Sintagro.
Man kann nur hoffen, dass dem so ist: Denn eine einzige 5-Gramm-Tube enthält gemäss Lars Straub genug Imidacloprid, um Zehntausende Bienen zu töten. Pflanzen nehmen Neonikotinoide über die Wurzeln auf. So können selbst Pollen und Nektar für bestäubende Insekten giftig werden.
Der Verkauf dieser Gifte ist erlaubt, weil sie nicht als Pflanzenschutzmittel, sondern als Biozide zugelassen sind. Der Unterschied: Pflanzenschutzmittel bekämpfen Schädlinge auf Kulturpflanzen, Biozide bekämpfen Schädlinge auf Materialien wie Kleidern und Holz – aber auch im Haushalt. Das heisst: Je nach Einsatzort kann das gleiche Gift Pflanzenschutzmittel oder Biozid sein.
Irene Wittmer vom Verband der Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute fordert ein Verbot von Insektengiften auf befestigten Flächen, also etwa Wegen oder Terrassen im Garten. Es sei fahrlässig, Insektizide dort anzuwenden, wie das etwa Landi beim Ameisengiessmittel Capito Stop empfiehlt. «Die Stoffe können so direkt in Gewässer gelangen und grossen Schaden anrichten.» Zu den giftigsten Stoffen auf dem Markt gehören Pyrethroide, die die Gewässer stark belasten (siehe Box).
Das Ameisenspray Raid etwa – erhältlich bei Migros.ch, Coop Bau + Hobby und Galaxus – enthält das Pyrethroid Cypermethrin. «Ein Tröpfchen davon reicht aus, um die Hälfte der Bachflohkrebse in einem Bach auf einem Kilometer Länge zu töten», sagt Wittmer. Die Hersteller behaupten, dass bei Anwendung nach Packungsangaben kein «übermässiges Risiko» bestehe. Coop nahm den Raid-Spray nach der Anfrage des K-Tipp aus dem Sortiment.
Ohne Risikoprüfung zugelassen
Das Umweltrisiko, das von Bioziden ausgeht, sei ein blinder Fleck, sagt der Umweltanwalt und Chemiker Hans Maurer: «Bei vielen Stoffen weiss der Bund gar nicht, wie schädlich sie sind.» Grund: 1998 liess die EU alle Biozide, die auf dem Markt waren, ohne Risikoprüfung vorläufig zu. Die Risikoprüfung sollte folgen.
Bisher sind gemäss Europäischer Chemikalienbehörde ECHA von 658 vorläufig zugelassenen Wirkstoffen erst 42 Prozent überprüft. Heisst: 381 Wirkstoffe sind seit über 20 Jahren im Umlauf, obwohl unklar ist, wie schädlich sie sind. Diese Chemikalien erhalten auch in der Schweiz ohne vertiefte Prüfung eine «Übergangszulassung». Das Bundesamt für Gesundheit schreibt, dafür sei «keine umfassende Risikobeurteilung möglich».
Einige Mittel mit solchen Wirkstoffen, die im Verkauf sind: Finito Wespenspray mit dem Wirkstoff Tetramethrin, erhältlich bei Coop Bau + Hobby, Galaxus und OBI, Gesal Ameisenspray Barriere mit Prallethrin, erhältlich bei Bauhaus, Coop, Hornbach, Jumbo und in der Migros, sowie die Maag Matil Ameisen Box mit arsenhaltigem Natriumkakodylat, erhältlich bei Coop, Landi und in der Migros. Natriumkakodylat benutzte die US-Armee als «Agent Blue» im Vietnamkrieg, um Reisfelder zu vernichten und Regenwälder zu entlauben. In Schweizer Gärten soll es nun Ameisen vernichten. «Solange die Stoffe in Verkehr sind, verursachen sie Schäden an der Natur und teilweise auch beim Menschen», befürchtet Umweltanwalt Hans Maurer.
Das Parlament änderte im letzten Jahr das Chemikaliengesetz. Dieses sieht neu vor, dass der Bund Daten über Verwendung und Mengen der eingesetzten Biozide sammelt und Massnahmen zur Risikoreduktion festlegt. Das Gesetz wird aber voraussichtlich erst Ende 2023 in Kraft treten. Für das Insektengift Imidacloprid fordert Maya Graf, Ständerätin Grüne/BL, jetzt ein Verbot: «Es ist fahrlässig, ein Pestizid, das für Bauern verboten ist, für Private zuzulassen.»
Diese Insektengifte landen in Bächen
Die Labors der Kantone Bern, St. Gallen, Schaffhausen und Zürich und des Wasserforschungsinstituts Eawag analysierten Wasserproben aus den Monaten März bis Oktober 2019. Sie suchten in 17 Bächen nach Rückständen von 19 Insektengiften. Resultat: Die Labors wiesen 248 Mal eine Überschreitung des «ökotoxikologischen Qualitätskriteriums» nach (siehe Tabelle im PDF). Das heisst: Es gab so viele Rückstände im Wasser, dass Wasserlebewesen Schaden nehmen können. Am häufigsten kam Chlorpyrifos vor, ein Insektengift aus der Landwirtschaft, das 2020 verboten wurde. Dahinter folgen mehrere Insektengifte aus der Gruppe der Pyrethroide: Bifenthrin (57 Mal), Lambda-Cyhalothrin (35) und Cypermethrin (33). Gemäss Analysebericht eine «besorgniserregende Situation».