Babys sollen auf dem Beissring des US-Herstellers Baby Einstein herumkauen, um ihre Muskeln zu trainieren und Zahnfleischschmerzen zu lindern. So steht es auf der Internetseite von Galaxus.ch. Der Händler verkauft die Zahnungshilfe für Fr. 17.80. Doch die Webseite enthält keine Warnung davor, dass ein Baby beim Herumkauen gleich zwei heikle Chemikalien namens Bisphenol A und AF aufnimmt.
Bisphenole stören das Hormonsystem
Dass dem so ist, zeigten Tests des Dänischen Konsumentenrats Think und von weiteren Konsumentenschutzorganisationen aus Belgien, Frankreich, Italien, Österreich, der Slowakei und Tschechien. Das Problem: Bisphenole stören das Hormonsystem und können die Fortpflanzungsfähigkeit schädigen.
Der bekannteste Stoff der Gruppe, Bisphenol A, beeinträchtigt auch die Hirnentwicklung von Babys und Kleinkindern. Sie können später Lernschwierigkeiten, Hyperaktivität, Fettleibigkeit, Brust- oder Prostatakrebs entwickeln. Die EU-Chemikalienagentur Echa stuft Bisphenol A deshalb als «sehr bedenklichen Stoff» ein.
Auch viele andere Produkte für Kinder sind mit Bisphenolen belastet, wie die Tests zeigen. Untersucht wurden 121 Babykleider, Lederschuhe, Sonnenbrillen, Flaschen und Zahnungshilfen für Kinder. Die Labors ermittelten, ob Bisphenole sich aus den Materialien herauslösen, wenn sie mit Speichel in Berührung kommen.
Das Ergebnis: Bei 72 Produkten war das der Fall. Heikel ist das vor allem bei Produkten, die Babys oder Kleinkinder in den Mund nehmen, wie etwa Beissringe oder Trinkflaschen (siehe Tabelle).
Der Flaschenhersteller Sigg verweist darauf, dass seine Trinkflasche «Bella Unicorn» nicht für Babys und Kleinkinder konzipiert sei. Und Ikea Schweiz erklärt, man untersuche aktuell den Fall der Börja-Flasche.
Bisphenol A ist in der Schweiz seit 2017 in Säuglingsflaschen, seit 2019 in Beschichtungen von Lebensmittelbehältern für Kleinkinder und seit Dezember 2020 in Kassenzetteln verboten. In Spielsachen wie Beissringen darf der Stoff dagegen noch immer in kleinen Mengen vorkommen.
Ausweichstoffe sind ebenfalls gefährlich
Viele Hersteller weichen auf andere Bisphenole aus, sagt Joëlle Rüegg, Professorin für Umwelttoxikologie an der schwedischen Universität Uppsala. Dazu gehören die in Tests gefundenen Bisphenole AF, BP, G und M. Für sie gibt es keine Beschränkungen zum Gebrauch und nur wenige Studien zur Giftigkeit.
Ungefährlich sind auch diese Bisphenole nicht: So zeigten Rüegg und andere Forscher in einer Studie von 2021, dass siebenjährige Buben aus Schweden, die als Embryos Bisphenol F ausgesetzt waren, tiefere Intelligenzquotienten hatten als gleichaltrige Kinder. Für Rüegg ist klar: Die meisten Bisphenole ähneln chemisch und in der biologischen Wirkung dem Hormongift Bisphenol A.
Kinder sind der Chemikalie trotzdem weiterhin ausgesetzt: Forscher der Universität Lausanne untersuchten im Jahr 2020 den Urin von 109 Kindern im Alter von 6 bis 36 Monaten. Resultat: In fast jeder zweiten Probe befanden sich Rückstände verschiedener Bisphenole.
Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit nehmen Kinder die Stoffe über das Essen und Trinken auf, über Hausstaub sowie über den Mundkontakt mit Spielzeugen.
Bereits kleinste Mengen schädlich
Die EU-Lebensmittelbehörde Efsa schlug im April vor, den Grenzwert für die tägliche Aufnahmemenge von Bisphenol A um den Faktor 20 000 zu senken. Rüegg fordert sogar, alle Bisphenole in Kinderprodukten zu verbieten: «Es steht fest, dass Bisphenole schädlich für die Entwicklung sind. Die Behörden müssen gerade Kinder endlich vor den Gefahren schützen.»
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit wartet jedoch lieber ab. Eine Sprecherin erklärt dem K-Tipp, man prüfe «eine Regelung für die Schweiz», wenn die EU den Einsatz beschränke.