Wenn Rosa S. ein Hotelzimmer putzt, sammelt sie als Erstes den Abfall ein. Dann zieht sie die verschmutzte Bettwäsche ab. Sie reinigt im Badezimmer die gekachelten Wände sowie den Spiegel und klaubt in der Dusche die Haare aus dem Siphon. Danach putzt sie die Armaturen, das Lavabo und das WC. Es darf keinen einzigen Wasserflecken auf den glänzenden Flächen haben.
Wenn Rosa S. mit dem Bad fertig ist, ist das Zimmer an der Reihe: Lampen, Tische, TV – alles wird mit dem feuchten Putzlappen und einem Desinfektionsmittel gereinigt. Dann bezieht sie das Bett neu und füllt die Minibar auf. Zum Schluss saugt sie das Zimmer und nimmt den Boden feucht auf.
All diese Arbeiten dürfen nicht länger als 20 Minuten dauern. Wenn es nicht reicht, ist der Druck gross, schneller zu arbeiten oder unbezahlte Überstunden zu machen.
Letztes Jahr putzte Rosa S. im Hotel Aja in Zürich, das heute Mercure Zürich City heisst. Die Hotelgäste zahlten rund 150 Franken für eine Nacht. Sie war im Stundenlohn angestellt, für 20 Franken. Monatlich arbeitete sie etwas mehr als 100 Stunden und kam so auf einen Lohn von 1500 bis 2000 Franken netto.
Trinkgeld ist wichtiger Lohnbestandteil
2000 Franken pro Monat reichen kaum zum Leben. Trinkgeld wäre Rosa S. deshalb hochwillkommen gewesen. Doch davon konnte die Putzfrau nur träumen. Sie arbeitete rund ein Jahr in diesem Hotel. Aber kaum ein Gast liess anscheinend bei der Abreise Trinkgeld im Zimmer liegen. Rosa S. wurde misstrauisch. Denn normalerweise können Putzfrauen in der Hotelzimmerreinigung gemäss eigenen Aussagen mit bis zu 300 Franken Trinkgeld im Monat rechnen.
Vor ein paar Monaten betrat sie eines Morgens ein Zimmer nur wenige Momente nach ihrer Chefin und sah, wie diese einige Münzen einsteckte. Das sei nicht das einzige Mal gewesen, erzählt Rosa S. dem K-Tipp. Auch ihre Kolleginnen hätten die Vorgesetzte beim Wegnehmen des Trinkgelds ertappt.
Dagegen gewehrt haben sich die Putzfrauen nicht. Zu gross sei die Angst gewesen, die Stelle zu verlieren, sagt Rosa S. Wie sie selbst waren einige der Putzfrauen noch nicht lange in der Schweiz. Sie hätten sich sehr unsicher gefühlt, weil der Job in der Hotelreinigung die erste Arbeitsstelle in der Schweiz gewesen sei.
Inhaberin des Hotel Aja war bis Oktober die DSR Hotel Holding in Hamburg. Der deutsche Hotelbetreiber hatte die Zimmerreinigung an die Schweizer Reinigungsfirma Premium Hotelcleaning in Jona SG ausgelagert. Rosa S. war bei dieser Firma angestellt. Geschäftsführerin Lorraine Burkhard bestreitet, dass Putzfrauen in ihrer Firma um ihr Trinkgeld gebracht würden. Sie beteuert, dass das Trinkgeld den «Zimmermädchen» zustehe.
Trinkgelder sind für diejenigen Leute bestimmt, welche die Dienstleistung erbracht haben. Ein Hotel oder ein Restaurantbetrieb kann aber im Vertrag vereinbaren oder in einem internen Reglement bestimmen, dass Trinkgelder in eine gemeinsame Kasse abzugeben sind, die unter allen Angestellten oder einer Kategorie – etwa den Putzfrauen – aufgeteilt wird. Eine solche Abmachung gab es im Fall von Rosa S. jedoch nicht.
Externe Putzfrauen häufiger betroffen
Adriana Santos machte die gleichen Erfahrungen wie Rosa S. Sie putzte in den vergangenen drei Jahren in fünf verschiedenen Hotels in und um Zürich Gästezimmer. In drei Hotels teilte das Putzteam das Trinkgeld unter sich auf. So kam sie jeden Monat zusätzlich zu 200 bis 300 Franken. In zwei Hotels erwischte auch sie ihre Chefinnen, wie sie vor den Putzfrauen in die Zimmer gingen und das Trinkgeld kassierten.
Nicole Niedermüller von der Gewerkschaft Unia Zürich sagt: «Die Wegnahme des Trinkgelds passiert vor allem in Hotels, welche die Zimmerreinigung an externe Reinigungsfirmen ausgelagert haben.»
Der K-Tipp fragte bei zehn bekannten 4- und 5-Sterne-Hotels aus der ganzen Schweiz nach, ob sie die Reinigung ausgelagert hätten und wie sie die Verteilung des Trinkgeldes regeln. Das Hotel Bellevue Palace in Bern und der Schweizerhof in Luzern nahmen Stellung. Beide Hotels führen die Reinigung mit eigenem Personal durch. Beim Bellevue Palace kommt das Trinkgeld in eine Kasse, die unter dem Putzpersonal aufgeteilt werde. Der Schweizerhof wollte diese Frage nicht beantworten.
Gar keine Fragen zum Trinkgeld für das Putzteam beantworten folgende Luxushotels: Einstein (St. Gallen), Ritz-Carlton (Genf), Les Trois Rois (Basel), Royal St. Georges (Interlaken), Schweizerhof (Bern), Badrutt Palace (St. Moritz) sowie Baur au Lac und Dolder Grand (beide Zürich).
Eine faire Bezahlung wäre möglich
Mehr Verantwortung für das Reinigungspersonal übernimmt der Zürcher Frauenverein. Der Betrieb führt 18 Hotels, darunter die Häuser der Marke Sorell.
In diesen 3- und 4-Sterne-Hotels sind die Putzfrauen angestellt. «Dadurch können wir auf die Arbeitsbedingungen einen direkten Einfluss nehmen», schreibt Sprecherin Nathalie Rotschi. Konkret: Sorell zahle keine Löhne unter 4000 Franken im Monat. Das Trinkgeld gehe zu 100 Prozent an die Putzfrauen.
«Am besten gibt man ein Trinkgeld direkt in die Hand»
Adriana Santos aus Winterthur ZH hat schon in vielen Hotels geputzt. Sie rät: «Am besten gibt man ein Trinkgeld direkt in die Hand.» Aber viele Gäste sehen die Putzleute nicht. Deshalb lassen es die Gäste im Zimmer liegen. Santos: «Das geht auch. Gerne mit einem Zettel und dem Vermerk ‹Für die Zimmerreinigung›. So ist klar, für wen das Geld gedacht ist.»
Kann man das Trinkgeld auch an der Reception abgeben? Santos weiss aus eigener Erfahrung: «Das ist schlecht für uns Putzfrauen. Dieses Geld sehen wir nie. Denn oft ist die Zimmerreinigung vom übrigen Hotelbetrieb abgekoppelt.»