«Ich habe einen Fehler gemacht»
Proteste, Drohungen und Boykotte: Damit müssen Immobilienbesitzer rechnen, die einer Mobilfunkbetreiberin erlauben, eine Antenne aufs Hausdach zu stellen.
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K-Tipp 3/2006
08.02.2006
Ernst Meierhofer - ernst.meierhofer@ktipp.ch
Stefan Meier betreibt im luzernischen Altishofen einen mittleren Bauernbetrieb. Er hält Kühe und Schweine und betreibt dazu noch Ackerbau. Seit 1995 steht eine Sunrise-Mobilfunkantenne auf seinem Grundstück.
Meier hatte damals zu dieser Antenne «ja» gesagt, um dem Dorf einen Gefallen zu tun. So kam der Sender nicht ins Wohngebiet, sondern ausserhalb, in die Landwirtschaftszone, zu stehen.
Aus diesem Grund sagte Meier auch «ja», als 2002 Orange zu ihm kam und ...
Stefan Meier betreibt im luzernischen Altishofen einen mittleren Bauernbetrieb. Er hält Kühe und Schweine und betreibt dazu noch Ackerbau. Seit 1995 steht eine Sunrise-Mobilfunkantenne auf seinem Grundstück.
Meier hatte damals zu dieser Antenne «ja» gesagt, um dem Dorf einen Gefallen zu tun. So kam der Sender nicht ins Wohngebiet, sondern ausserhalb, in die Landwirtschaftszone, zu stehen.
Aus diesem Grund sagte Meier auch «ja», als 2002 Orange zu ihm kam und ebenfalls eine Sendeanlage auf sein Grundstück stellen wollte - und zwar für die neue UMTS-Technologie. «Diesen Vertrag würde ich heute nicht mehr unterschreiben», bedauert Meier.
Denn gegen die geplante Antenne regte sich scharfer Protest. Von da an fühlte sich der Bauer nicht mehr wohl im kleinen Dorf, wo sich alle kennen. «Jeder zeigte auf mich, ich fühlte mich als schwarzes Schaf.» Meier wurde auch zum Sündenbock gestempelt mit Drohungen wie «Du bist schuld, wenn ich krank werde».
Heute herrscht wieder Frieden im Dorf. Denn Meier hat sich bis vor Bundesgericht erfolgreich gegen die Orange-Antenne gewehrt und einen Teilsieg errungen. Die Gemeinde Altishofen hat gar für seine Anwaltskosten und Spesen einen Kredit von 50 000 Franken gesprochen.
Was Bauer Meier erlebte, ist typisch für Standortgeber, die ihr Gebäude oder ihr Grundstück einer Mobilfunkbetreiberin (Orange, Tele2, Sunrise oder Swisscom) zur Verfügung stellen.
Bangen um die Existenz
Viele sehen zuerst nur das Geld - pro Standort zahlen die Betreiber zwischen 4000 und 9000 Franken pro Jahr -, und werden dann damit konfrontiert, dass ihre Umgebung die Antenne vehement ablehnt. Sobald die Bau-Ausschreibung und damit der Standort bekannt ist, hagelt es zum Teil massive und äusserst unangenehme Proteste, Drohungen und Boykotte. Als Folge davon bereuen Standortgeber ihre Unterschrift unter dem Mietvertrag und wollen ihn sofort rückgängig machen - was extrem schwierig ist.
Betroffene gibt es unzählige:
- Der Garagist Giuliano Piccinato aus Bättwil SO wurde vom Dorf boykottiert. Er bangt um seine wirtschaftliche Existenz.
- Die Leitung der evangelischreformierten Kirchgemeinde im Zürcher Quartier Fluntern hat einen Standortvertrag mit Swisscom abgeschlossen. Auf Geheiss einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung musste sie versuchen, die Sache rückgängig zu machen. Das kostete sie Tausende Franken für Anwalts- und Gerichtskosten - und war erst noch erfolglos.
- Zürich-Fluntern ist nicht die einzige Kirchgemeinde, die einen Kirchturm zur Verfügung stellte und zu spät realisierte, wie fatal dieser Schritt war. Bekannt wurden zum Beispiel auch Fälle aus Meilen ZH und Zermatt VS.
- In Malans GR ist eine Antenne in einem Kirchturm geplant, der zur Hälfte der politischen Gemeinde gehört. «Die Angelegenheit liegt mir auf dem Magen», sagt Gemeindepräsidentin Anita Thürer angesichts der Emotionen in der Gemeinde. Sie spricht von einem Fehlentscheid, bei dem die Gemeinde «zu wenig feinfühlig» war.
- In Luzern sagt eine Privatperson nach ihrem Ärger mit den Nachbarn: «Ich habe einen Fehler gemacht.»
- Die Schützengesellschaft Menziken AG möchte aus einem Vertrag mit Sunrise für eine geplante Antennenanlage am Schützenhaus aussteigen. Damit seien «nicht abzuschätzende Risiken für Mensch, Tier und Pflanzen verbunden», begründet Schützenpräsident Bruno Pfister im Schreiben, in dem er die Zustimmung zum Baugesuch vorsorglich zurückzieht. Diese Problematik habe Sunrise «verschwiegen». «Für uns stellt dieses Bauprojekt in all seinen Auswirkungen eine ernsthafte Bedrohung dar.»
- Auch eine geplante Antenne auf dem Dach der Landi in Reiden LU erregte Anstoss. Genossenschaftspräsident Adolf Burgherr spricht von «schlaflosen Nächten» und Boykottdrohungen. Er ist überzeugt: «Wir hätten unten im Verkaufsladen mehr verloren als die 4000 Franken pro Jahr, die wir mit der Antenne auf dem Dach verdient hätten.»
Viele Verträge werden nicht erneuert
- Auch die Heilsarmee bereut ihre Unterschriften unter zwei Verträgen in Biel und Zürich. «Die damalige Leitung der Heilsarmee schätzte die Brisanz der Angelegenheit falsch ein und wurde von der Heftigkeit der Reaktionen überrascht», heisst es heute. Es sei «ein beträchtlicher Imageschaden entstanden».
Die Beispiele zeigen: Eine Antenne aufs Dach stellen zu lassen, ist nur noch etwas für Immobilienbesitzer mit starken Nerven. Zudem drohen ihnen Haftungsklagen, falls sich erweisen sollte, dass Antennen klar nachweisbare Strahlenschäden verursachen.
Das hat auch Auswirkungen auf Eigentümer von Häusern oder Grundstücken, die schon länger eine Antenne auf dem Dach haben. Viele von ihnen werden den langjährigen Vertrag wohl nicht mehr erneuern, wenn er dereinst ausläuft.
Wie zum Beispiel die Zürcher Wohnbaugenossenschaft Turicum. «Wir wollen unseren Mietern keine Antenne mehr zumuten und haben der Swisscom mitgeteilt, dass wir die langjährigen Standortverträge nach Ablauf nicht mehr erneuern werden», sagt Präsident Urs Frei. Die Verträge gelten allerdings noch bis 2012.
Der Rückzug aus dem Vertrag ist meist nicht möglich
Wenn Immobilienbesitzer mit einer Mobilfunkbetreiberin einen langjährigen Vertrag für einen Antennenstandort unterschreiben, ist ein vorzeitiger Rücktritt aus juristischen Gründen sehr schwierig.
Eine Möglichkeit: Man kann seine Unterschrift unter dem Baugesuch zurückziehen. Im Fall des Bauern Stefan Meier hat das Bundesgericht entschieden, dass die Gemeinde daraufhin das Baugesuch zu Recht nicht bearbeitet hat.
Dieser Weg ist aber nicht in allen Kantonen möglich. Und: Die Mobilfunkbetreiberin hat dann immer noch die Möglichkeit, den renitenten Standortgeber gerichtlich zu zwingen, das Baugesuch erneut zu unterzeichnen. Bauer Meier hat von Orange aber nichts mehr gehört.
Offen bleibt auch der Ausgang des Verfahrens im Fall des Garagisten Picciotto. Er argumentiert, der Boykott der Bevölkerung sei für ihn existenzgefährdend, und das sei ein wichtiger Grund, den Vertrag sofort aufzulösen. Dieser Fall liegt vor Bundesgericht.
Am erfolgversprechendsten sind Verhandlungen mit der Mobilfunkbetreiberin. So kommt ab und zu ein reumütiger Standortgeber aus seinem Vertrag heraus. In den allermeisten Fällen bleiben die Betreiber allerdings hart und drohen sogar mit Schadenersatzforderungen.
Das «Forum Mobil», das für die Mobilfunkbetreiber die Öffentlichkeitsarbeit besorgt, erwartet von den Standortgebern, dass sie sich an ihre Zusage halten. «Die Betreiber halten sich auch an das bestehende Recht», sagt Sonja Bietenhard vom «Forum Mobil». Und: «Auch wenn man Verständnis für die Wut verängstigter Nachbarn hat - Mobbing und Boykotte gegen Standortgeber sind keine Lösung des Problems.»